Stuttgart/Tübingen. Wer war 1980 verantwortlich für das verheerende Attentat auf dem Oktoberfest in München? Gundolf Köhler, Mitglied der „Wehrsportgruppe“ von Karl-Heinz Hoffmann und Tübinger Student, galt jahrelang als Alleintäter. Doch jetzt ermittelt die Bundesanwaltschaft erneut. Das Attentat ist Thema des Kriminalmagzins des SWR „Spur des Verbrechens“. Die Sendung läuft am Freitag, 5. Juni, ab 18.15 Uhr.
Filmemacher Hermann Abmayr hat sich mit Klaus Pflieger, der damals zu den Ermittlern gehörte, auf Spurensuche gemacht. Der frühere baden-württembergische Generalstaatsanwalt war in verschiedenen Funktionen auch mit den RAF-Prozessen und dem Fall Kiesewetter befasst. Erst vor Kurzem sprach er in Tübingen. Er sieht Köhler noch immer als Einzeltäter.
In der Sendung wird auch Wolfgang Schorlau interviewt. Er hat einen Krimi zum Oktoberfest-Attentat geschrieben, bei dem im September 1980 in München durch die Explosion einer Rohrbombe 211 Menschen verletzt und 13 getötet wurden. Es war der schwerste rechtsterroristische Anschlag der Nachkriegsgeschichte.
Pflieger: Attentat entsprang Köhlers persönlichem Desaster
Auch Gundolf Köhler starb. Er hatte die Rohrbombe in einen Abfalleimer beim Haupteingang der Wiesn gelegt, wobei sie explodierte. Außerdem werden in der Sendung weitere rechtsradikale Anschläge des Jahres 1980 dokumentiert.
Das Oktoberfest-Attentat „war eine Mischung aus rechtsradikaler politischer Tat und persönlichem Desaster.“ Davon zeigte sich Klaus Pflieger bei seinem Vortrag in Tübingen überzeugt. Franz-Josef Strauß hatte damals kurz vor der Bundestagswahl großes Interesse daran, das Attentat linken Straftätern zuzuordnen. „In München war sicher bei manchen ein gewisser Druck zu spüren – bei mir ist er nicht angekommen“, versichert der frühere Staatsanwalt jedoch.
Schon damals bei Ermittlungen „alle Register gezogen“
Ob Köhler Mittäter oder zumindest Mitwisser hatte, stand Pflieger zufolge schon zu Beginn der Ermittlungen als Frage im Raum. Andernfalls wäre der Fall gar nicht weiter untersucht worden, da mit Gundolf Köhler der Attentäter tot war – und gegen Tote wird nicht ermittelt. Es sei schwer genug gewesen, ihn zweifelsfrei als Bombenleger zu überführen, sagte Pflieger.
„Wir haben alle Register gezogen“, versichert der frühere Staatsanwalt. Der Ermittlerstab habe 1700 Zeugen befragt, ohne Hinweise zu finden. Köhler habe seinen Kontakt zur Wehrsportgruppe Hoffmann abgebrochen, er lag schon einige Jahre zurück. „Er wollte Berühmtheit erlangen, war persönlich am Ende“, ist Klaus Pflieger überzeugt. Er vermutet, dass es „ein gezielter Selbstmord war“. Und noch etwas räumt er ein: „Es geht einem auf den Keks, permanent vorgeworfen zu bekommen, wir hätten nicht richtig recherchiert.“
Kiesewetter gilt weiterhin als Zufallopfer
Pflieger sprach in Tübingen auf Einladung der Geschichtswerkstatt, des Seminars für Zeitgeschichte, des Vereins Gegen das Vergessen – für Demokratie, des Club Voltaire und der Volkshochschule. Hauptthema des Abends im Kupferbau der Universität war der Baader-Meinhof-Prozess in Stuttgart-Stammheim, der im Mai vor vierzig Jahren begann.
Im Gespräch mit Moderator Michael Kuckenburg und dem Publikum äußerte sich auch zum Fall Michèle Kiesewetter. Die Polizistin soll in Heilbronn zum zehnten und letzten Opfer der Rechtsterroristen des NSU geworden sein, ihr Streifenkollege wurde schwer verletzt. Der Bundesanwalt sieht Kiesewetter als Zufallsopfer. Die Herkunft der Polizistin aus Thüringen, die verwendeten Waffen, Zeugenaussagen und von den Ermittlern nicht verwendete Phantombilder geben jedoch Rätsel auf.
Pflieger: Beim Polizisten-Mord richtige Täter gefunden
Eine solche Tat ist auch für die Ermittler belastend, sagte Pflieger. Bis zum Auffliegen des NSU tappte die Polizei im Dunkeln. Ihn habe „völlig überrascht, dass dafür Rechtsterroristen wie bei den ‚Dönermorden‘ verantwortlich gewesen sein sollen“, sagte Pflieger. Er sei aber sicher, dass nun die richtigen Täter gefunden worden seien, da niemand die erbeuteten Waffen weitergeben würde.
Pflieger zeigte sich erfreut, dass die Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses des baden-württembergischen Landtags vor kurzem bei einer Tatortbegehung zum Schluss kamen, dass die vorliegenden Zeugenaussagen nicht genügten, an der bisherigen Theorie zu zweifeln. Die Phantombilder seien nicht veröffentlicht worden, weil die von der Polizei zusammengetragenen Hinweise keinen hinreichenden Verdacht ergäben hätten. Möglicherweise wären Unschuldigte verdächtigt worden.
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