Von unseren ReporterInnen und der Redaktion – Stuttgart. Sie sollte ein machtvolles Zeichen setzen: eine Menschenkette von der Stuttgarter Friedenskirche zum Mahnmal gegen Krieg und Faschismus am Stauffenbergplatz. Doch obwohl ein breites Bündnis zu ihr aufgerufen hatte, blieb der Zulauf unter den Erwartungen. Die Kette gehörte wie weitere Friedens-Aktivitäten am Samstag, 6. Juni, nicht zum offiziellen Programm des Evangelischen Kirchentags in Stuttgart. „Das Thema Pazifismus wurde an den Rand gedrängt“, bedauerte die Gesellschaft Kultur des Friedens.
Dennoch: Die Menschenkette um die Mittagszeit „war ein deutliches Signal, damit Deutschland seiner Verantwortung für den Frieden gerecht werden soll und damit die evangelische Kirche auf dem Kirchentag in Stuttgart ein klares Friedensbekenntnis abgibt“, betonte Paul Russmann von „Ohne Rüstung Leben“, einer der Organisatoren der Friedenskette.
Die Kette habe zwar an manchen Stellen nicht geschlossen werden können. Doch es nahmen viele Menschen an ihr teil, darunter die frühere EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann, der Friedensbeauftragte des Rates der EKD und leitende Geistliche der Bremischen Evangelischen Kirche Renke Brahms und der badische Landesbischof Jochen Cornelius-Bundschuh.
Für den Abzug aller US-Atomwaffen aus Europa
Drei Forderungen erhoben die Teilnehmer der Menschenkette Russmann zufolge: „Wir treten für ein Ende des Einsatzes von Kampfdrohnen ein, die von hier aus befehligt werden, wir fordern den Abzug der US-Atomwaffen aus Europa und die Schließung der beiden US-Kommandozentralen hier in Stuttgart.“
Zu der Menschenkette für den Frieden hatten zahlreiche christliche Friedensorganisationen, das Friedensnetz Baden-Württemberg, die AnStifter, die DFG-VK sowie die Stuttgarter Kreisverbände der SPD, der Jusos und der Linken aufgerufen. Es war die größte Friedensaktion beim Deutschen Evangelischen Kirchentag.
AFRICOM und EUCOM: Kein Einsatz von Kampfdrohnen mehr!
Die Gesellschaft Kultur des Friedens organisierte weitere Veranstaltungen zum Thema. Nach einer Auftaktkundgebung am Mahnmal gegen Krieg und Faschismus ging es zu einer weiteren Kundgebung vor dem AFRICOM in Stuttgart Möhringen. Dort forderte der Journalist Franz Alt vor mehr als 500 Zuhörerinnen eine andere Energie- und Friedenspolitik. Die Abhängigkeit vom Öl sei Ursache für viele Kriege und müsse überwunden werden: “ Die Sonne schickt uns keine Rechnung“.
Der Vorsitzende der Gesellschaft Kultur des Friedens Henning Zierock forderte, dass die US-Kommandozentralen auf Stuttgarter Boden geschlossen werden. An ihrer Stelle solle dort ein internationales Zentrum für zivile Konfliktlösungen eingerichtet werden. Dieser Forderung wird in einem Offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel, den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und den Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn mit tausenden Unterschriften Nachdruck verliehen.
Friedenszug vom AFRICOM zur Martinskirche
Flüchtlinge aus afrikanischen Ländern erhoben vor dem AFRICOM ihre Stimme für eine solidarische Außenpolitik, die sich an den Lebensinteressen der Menschen und Völker orientiert und nicht vorwiegend an einseitigen Wirtschaftsinteressen. Künstler wie der Liedermacher Konstantin Wecker verstärkten diese Forderung.
Ein Friedenszug mit der Lokomotive Stuttgart führte nach der Kundgebung zur Martinskirche in Möhringen zu einer Konzertlesung mit der Theologin Margot Käßmann und Konstantin Wecker. Sie haben ein Buch „Entrüstet Euch- für ein Menschenrecht auf Frieden“ herausgegeben. Es enthält auch einen Beitrag der Gesellschaft Kultur des Friedens.
Käßmann-Lesung „politisch zu einseitig“
Sie charakterisierte die Lesung als „beeindruckendes Zeugnis für den aktiven, politischen Pazifismus“. Die Kirchentagsleitung habe die zuvor als offizielle Verranstaltung angefragte Lesung als „politisch zu einseitig“ abgelehnt. Darauf sprang die Gesellschaft als Kultur des Friedens ein und organisierte die Veranstaltung zusammen mit der Martins-Kirchengemeinde. Nach Angaben der Veranstalter kamen etwa 3000 Besucherinnen. Da die Kirche nur 1000 Menschen fasst, mussten die anderen 2000 Interessierten die Veranstaltung über eine Außenübertragung verfolgen.
Henning Zierock erinnerte mit einem Gruß der letzten Überlebenden der Geschwister Scholl, der in Stuttgart wohnenden 95-jährigen Elisabeth Hartnagel, an das 3. Flugblatt der Widerstandsgruppe Weiße Rose: „Verbergt eure Feigheit nicht unter dem Mantel der Klugheit.“ Dies sei auch ein Kontrapunkt zu der Friedenspraxis der Kirchentagsführung, die mit zahlreichen aktiven Regierungpolitikern besetzt sei.
Zierock sprach sich im Sinne der Veranstaltung “ Entrüstet Euch“ für ein „Menschenrecht auf Frieden aus“. Die Forderung wurde mit 10 000 Unterschriften beim Kirchentag dem ehemaligen UN-Generalsekretär Kofi Annan übergeben.
Illustre Redner in der Hanns-Martin-Schleyer-Halle
Kofi Annan, Frank-Walter Steinmeier und Joachim Gauck gehörten zu den prominentesten Rednern beim Kirchentag. Annan und Steinmeier sprachen am Samstag, 6. Juni, bei einem Podium zur internationalen Politik über Wege aus der Krise und zum Frieden. Die Hanns-Martin-Schleyer-Halle reichte nicht aus für alle Interessierten. Auch vor dem Eingang drängten sich noch Besucherinnen.
Auch Margot Käßmann sprach in der Schleyer-Halle vor 8000#BesucherInnen. Sie geißelte die Gier nach Vermehrung von Vermögen und forderte neben einem Schuldenerlass für Griechenland eine „Ethik des Genug“. Bundespräsident Joachim Gauck steuerte ein Grußwort zum Kirchentags-Programm bei.
- Joachim Gauck
- Kofi Annan
- Frank-Walter Steinmeier
„Aus Stuttgart 21 klug werden: Oben bleiben!“
Ebenfalls am Samstag, 6. Juni, gab es am frühen Nachmittag auch eine Großdemonstration gegen Stuttgart 21 vor dem Hauptbahnhof. Etwa 7000 Gegnerinnen des Tiefbahnhofs kamen nach Angaben der Veranstalter. Die Polizei sprach von 2000. Aufgerufen hatten die Theologinnen und Theologen gegen Stuttgart 21. Das Motto der Kundgebung lehnte sich an das Motto des Kirchentags an: „Aus Stuttgart 21 klug werden: Oben bleiben!“
Unter anderem sprachen Volker Lösch und der Journalist Franz Alt. Matthias von Herrmann, Pressesprecher der Parkschützer, forderte, dass die Politiker die Interessen der Bürger vertreten. Stuttgart 21 stehe diesen Interessen jedoch entgegen: Der Bahnverkehr werde nicht verbessert, der Städtebau profitiere nicht davon, das Projekt habe eine negative Kosten-Nutzen-Bilanz. Kanzlerin Angela Merkel müsse jetzt zeigen „dass sie klug ist und Stuttgart 21 beendet wird“.
Martin Poguntke von den Theologinnen und Theologen gegen S21:
Es ist höchste Zeit, dass unsere Politiker klug werden und die Fehlplanung ‚Stuttgart 21‘ aufgeben, statt weiter organisiert wegzuschauen. Die beiden Bürgerbegehren zum Ausstieg der Stadt Stuttgart aus S21, über die der Gemeinderat am 2. Juli abstimmen will, sind eine gute Gelegenheit, das unterirdische Trauerspiel namens Stuttgart 21 zu beenden. Die verantwortlichen Politiker profilieren sich seit Jahren als Schildbürger der Nation, indem sie sich von der Bahn betrügen lassen und die falschen Versprechen und die Vertragsbrüche der Bahn einfach hinnehmen. Damit muss jetzt Schluss sein, denn bei Stuttgart 21 heißt es: klug werden, oben bleiben!
Weitere Fotos von der Friedenskette:
Weitere Fotos vom Protest vor AFRICOM:
Weitere Fotos aus der Hanns-Martin-Schleyer-Halle:
Weitere Fotos vom Protest gegen Stuttgart 21 beim Kirchentag:
Folge uns!