Von Jens Volle – Stuttgart. Karl-Michael Merkle alias “Michael Mannheimer” und Michael Stürzenberger, Stammredner bei rassistischen Kundgebungen, haben die Stuttgarter Zeitung (StZ) auf Unterlassung verklagt. In einem Artikel hatte sie die beiden als „bekannte Neonazis“ bezeichnet. Am Donnerstag, 11. Juni, war die mündliche Verhandlung. Das Urteil soll am 29. Juni verkündet werden.
Juristische Wortklaubereien beherrschten die stickige Atmosphäre in Gerichtssaal 155 im Stuttgarter Landgericht. Stickig, weil die Luft sehr schlecht und es draußen sehr heiß war. Oder lag es an den abstrusen Ausführungen eines zornigen und verwirrt wirkenden Manns, der in einer lauten und abgehetzten „Rede“ erzählte, dass Nazis links gewesen seien, da sie ja Nationalsozialisten sind und Sozialisten seien ja links?
Der Mann mit dem Kompass an seiner Armbanduhr heißt Karl-Michael Merkle, nennt sich in seinen Publikationen Michael Mannheimer und tritt unter diesem Pseudonym auch auf Kundgebungen auf. Häufig auch in letzter Zeit im Rahmen von Pegida in unterschiedlichen Städten. Sein Auftritt bei den patriotischen Karlsruhern gegen die Islamisierung des Abendlandes (Kargida) zusammen mit dem Bundesvorsitzenden der Partei „Die Freiheit“, Michael Stürzenberger ist Grundlage des Prozesses.
Die StZ hatte in einem Bericht über die Kundgebung von Kargida geschrieben: „Mehrfach traten in Karlsruhe bekannte Neonazis wie „Michael Mannheimer“ (alias Karl-Michael Merkle), ein rechtsradikaler Blogger und ausgewiesener Islamhasser, oder Michael Stürzenberger, von der rechtspopulistischen Kleinpartei „Die Freiheit“, auf.“
Stürzenberger sieht sich als Komplott-Opfer
Zusammen mit ihrer Rechtsanwältin Heidrun Jakobs, klagten sie gegen die StZ auf Unterlassung. Es handle sich klar um eine Schmähkritik, so Jakobs, und diese sei ein Angriff auf die Persönlichkeitsrechte. Es gehe nur darum, ihre beiden Mandanten abzuqualifizieren. Stürzenberger selbst ging noch weiter und warf der StZ vor, Teil eines Komplotts zu sein. Es verfolge das Ziel, alle Islamkritiker mundtot zu machen.
Richter Fähnle zufolge liegen die Äußerungen der StZ irgendwo zwischen Tatsachenbehauptung und Meinungsäußerung, allerdings mit einer starken Tendenz zur Meinungsäußerung. Im Zweifel müsse zugunsten der Meinungsäußerung entschieden werden. In der Verhandlung solle nun geklärt werden, ob die Formulierungen „bekannte Neonazis“, „rechtsradikaler Blogger“, „ausgewiesener Islamhasser“ und „rechtspopulistische Kleinpartei“ unter den Begriff der Meinungsäußerung fallen und somit von der Pressefreiheit gedeckt sind, oder ob sie den Tatbestand der Schmähkritik oder Formalbeleidigung erfüllen und somit die Persönlichkeitsrechte der Kläger verletzen.
Schmähkritik? Von wegen!
Rechtsanwalt Raymund Brehmenkamp, der die StZ vertritt, wies den Vorwurf der Schmähkritik entschieden zurück. Der Begriff Neonazi sei in der politischen Diskussion nicht genau definiert. Wenn Merkle und Stürzenberger auf Kundgebungen sprechen, die von Neonazis angemeldet wurden und an denen auch eine große Anzahl von Neonazis teilnehmen, könne man sie auch als solche bezeichnen.
Es bedürfe nicht, wie Jakobs ausführte, des Nachweises, dass eine als Neonazi bezeichnete Person in einer vom Verfassungsschutz als neonazistisch eingeordneten Organisation Mitglied sein muss. Die Worte „rechtsradikal“, „Islamhasser“ und „rechtspopulistisch“ erschlössen sich von selbst, wenn man einmal eine Publikation der beiden liest.
Beifall für abenteuerliche Argumente
Sehr haarsträubend und abenteuerlich klangen die Argumente Merkles und Stürzenbergers. Dennoch wurden sie mit ständigen Zustimmungen von den meisten der etwa 20 Zuschauer versehen. Es hätte ja im Dritten Reich eine enge Zusammenarbeit zwischen Nationalsozialisten und islamischen Verbänden in der Türkei gegeben.
Der Islam sei ja ein genauso faschistoides System wie der Nationalsozialismus. Wer demnach den Islam kritisiert, könne also gar kein Neonazi oder irgendwie rechts sein. Komisch nur, dass Merkle betont, dass die Nazis ja links gewesen wären. Dann müsste er ja doch rechts sein, weil er ja behauptet, ein entschiedener Gegner des NS-Regimes zu sein.
Austeilen und einstecken
Auch habe Merkle schon über 100 Länder bereist, habe viele ausländische Freunde, darunter sogar Muslime, und das wäre ja sehr paradox, wenn er ein Rechtsradikaler wäre. Auch die Behauptungen Stürzenbergs hörten sich eher nach herbeigezogenen Alibis an: Er arbeite ja eng mit jüdischen Menschen zusammen, und da alle Neonazis zwangsweise auch Antisemiten seien, erfülle auch er diese Voraussetzung nicht.
Die Tendenz der Richter spiegelte sich in ihren Äußerungen wider. So meint ein besitzender Richter, es sei schon eine gewisse Ironie, dass sich Merkle und Stürzenberger durch die StZ verunglimpft fühlen. Sie würden das doch in ihren öffentlichen Auftritten über den Islam ebenso tun. Der Vorsitzende Richter meinte zudem, wer austeile müsse eben auch einstecken können.
Nationalsozialismus angeblich links
Rechtsanwältin Jakobs erwiderte darauf, dass es sich lediglich um eine „derbe Sprache“ bei ihren Mandanten handle und sie auch nur den Islam an sich und sein System kritisierten, nicht aber die Muslime selbst. Rechtsanwalt Brehmenkamp meinte allerdings, dass dies untrennbar voneinander sei.
Mit entscheidend soll die Vorsilbe „Neo“ sein. Die Bezeichnung „Nazi“ sei hingegen falsch. Der Begriff „Neonazi“ sei in der öffentlichen Diskussion sehr breit angesiedelt, erklärte Richter Fähnle.
Mannheimer/Merkle vertrat die Auffassung, dass für die StZ jeder ein Neonazi sei, der nicht links ist.
Für den Kläger Stürzenberger sind der Nationalsozialismus und der politische Teil des Islam „sich sehr ähnlich“. Auch für den Vorsitzenden der rechtspopulistischen Kleinstpartei „Die Freiheit“ war der Nationalsozialismus „eine linke Bewegung“.
Unser Kommentar: Es bleibt nun der 29. Juni abzuwarten, an dem das Urteil gefällt werden soll – und zu hoffen, dass es im Sinn der Presse- und Meinungsfreiheit ausfällt. Es wäre ein fatales Zeichen, wenn künftig mit Klagen gerechnet werden muss, wenn Zeitungen Rassisten und Neonazis als das bezeichnen, was sie sind.
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