Von Angela Berger – Neckarwestheim. Vor der Reblandhalle in Neckarwestheim fanden sich am Dienstagmorgen, 16. Juni, zirka 40 AktivistInnen und Einwender ein. Grund war ein vom Umweltministerium (UMW) angesetzter Erörterungstermin zur Abriss-Genehmigung für den Block 1 des AKWs Neckarwestheim. Die Bürgerinitiativen hatten ihre Teilnahme unter Protest abgesagt.
Zu der Abriss-Genehmigung gab es mehr als 2500 Einwendungen. In ihnen wurden zahlreiche Kritikpunkte am geplanten Verfahren genannt. Es sollte aber, so die Bürgerinitiative, die inhaltliche Kritik aufgegriffen und bearbeitet werden. Wenn nötig, müsse der Betreiber weitere Stellungnahmen abgeben und müssten neue neutrale Gutachten erstellt werden.
Nun aber fand die Erörterung unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Außer den Ministeriumsmitarbeitern und den Vertretern des Betreibers (ENBW) durften nur die Einwender teilnehmen. Kritiker bemängeln, dass das Ministerium den Erörterungstermin angesetzt hat, obwohl die Einwendungen. noch nicht geprüft wurden und nicht alle zusätzlichen Unterlagen vorliegen.
Neue Anlagen nicht in Erörterung einbezogen
Die Bürgerinitiativen AG AtomErbe Neckarwestheim hat ihre Teilnahme laut einer Presse-Mitteilung am 10. Juni abgesagt und zu einer Protestveranstaltung und einer alternativen Erörterung aufgerufen. Die gesundheitliche Unversehrtheit der Bevölkerung solle vor die Interessen der ENBW an Kostenminimierung gestellt werden.
Grund für die Kritik ist unter anderem, das dieser Erörterungstermin der einzige bleiben soll und die zwei neuen Anlagen, die zum Abbau von Block 1 gebaut werden sollen, von dieser Erörterung ausgenommen sind. Für den Abbau des einen Teils des AKW Neckarwestheim soll ein Standort-Atommülllager (SAL) und ein Reststoffbearbeitungszentrum (RBZ) gebaut werden.
Bürgerinitiativen warnen vor Rumpfverfahren
Sie wurden aber außerhalb des Genehmigungsverfahrens lediglich unter „normalem“ Baurecht beantragt – gerade als ob es etwa um eine neue Gemeindehalle ginge. Dass dort auch strahlende Materialien bearbeitet werden, findet in einem normalen Bauantrag keine Beachtung. Der Abbau wird mindestens 15 bis 20 Jahre dauern, vielleicht noch länger, wie das Beispiel des AKW Greifswald zeigt.
Statt die Einwendungen zu beachten und die Bürger zu beteiligen, reiße die EnBW das ganze Abriss-Projekt auseinander und zerpflücke es in viele kleine Teilverfahren und Verwaltungsbescheide. Das sei ein „amputiertes Erörterungsverfahren“. Außer im aktuellen „Rumpfverfahren“ über die Einwendung blieben die Bürger überall außen vor. Die Bürgerinitiativen fordern stattdessen einen sorgfältigen Umgang mit der Materie und eine umfassende Information und Beteiligung der Öffentlichkeit.
Nur ein Bruchteil des Abfalls gilt als Atommüll
Die Betreiberfirma sei lediglich daran interessiert den Abbau möglichst kostengünstig durchzuführen. Wegen dieses Ziels beachte sie die Sicherheit der betroffenen Bürger nicht ausreichend. Nach dem Sicherheitsbericht der EnBW wolle der Betreiber nur zirka 1 Prozent, nämlich 3300 der 330 900 Tonnen Abrissmaterial als radioaktiven Atommüll entsorgen.
198 500 Tonnen, das sind 60 Prozent des Abrissmaterials, sollen „herausgegeben“ werden. Das bedeutet, dass Gebäude wie etwa Maschinenhäuser, die auf dem Gelände und außerhalb des Kontrollbereichs liegen, abgerissen, zerkleinert und etwa im Straßenbau wiederverwendet werden.
Die restlichen 39 Prozent werden „freigemessen“. So nennt man es, wenn die radioaktiven Abrissmaterialien „gereinigt“, chemisch behandelt und gemischt werden – so lange, bis sie innerhalb der zulässigen Grenzwerte liegen. Sobald etwas „freigemessen“ ist, obliegt es nicht mehr der Atomaufsicht, und die Verwendung wird nicht mehr kontrolliert.
Kein Abriss vor Entfernung der Brennelemente!
Wer kontrolliert, ob Gegenstände und Gebäudeteile nicht kontaminiert sind, wenn es kein Gesamtverzeichnis vor Beginn des Abbaus gibt? Die Bürgerinintiativen fordern ein gesamtes radioaktives Gesamtkataster, bevor der Betreiber mit dem Abriss beginnt. Möglicherweise wurde schon längst mit dem Abriss begonnen, obwohl der Block 2 noch voll in Betrieb und so die Sicherheit nicht für die ganze Anlage gewährleistet ist.
Die Landesgeschäftsführerin des BUND Sylvia Pilarsky-Grosch verlangt die verbindliche Zusage, dass mit dem Abbau des Atomreaktors erst begonnen wird, wenn die hochradioaktiven Brennelemente aus ihm entfernt worden sind. In einer Pressemitteilung vom 15. Juni fordert sie außerdem:
Diese neuen Atomanlagen müssen in das Verfahren zur Stillegungs- und Abrissgenehmigung eingebunden werden, denn ohne diese Anlagen kann der Rückbau nicht stattfinden.
Es sei völlig unverständlich, weshalb die EnBW die formale Öffentlichkeitsbeteiligung beim Reststoffbearbeitungszentrum (RBZ) und beim Standortabfalllager (SAL) verweigert.
Vertagungsantrag wurde abgeschmettert
Dazu auch Wolfgang Treiber, einer der Einwender. Er verließ den Saal, nachdem sein Antrag abgelehnt worden war:
Ich habe eben den Antrag gestellt, den Erörterungstermin zu vertagen beziehungsweise auf unbestimmte Zeit zu unterbrechen, bis gewährleistet ist, dass wesentliche Fragen wie zum Beispiel die radioaktive Belastung der Bevölkerung durch das (SAL) und das (RBZ) Bestandteil des Verfahrens sind. Von diesen beiden Anlagen wird in Zukunft die westenliche radioaktive Belastung der Bevölkerung ausgehen. Ein Erörterungstermin ohne Einbeziehung dieser beiden Anlagen ist, überspitzt gesagt, so wie wenn Bürgerbeteiligung beim Außenanstich der Anlage erwünscht ist, aber nicht bei der Erörterung der Gefahr durch das radioaktive Inventar für die Bevölkerung.
Da in so einem Rumpfverfahren die wesentlichen Aspekte nicht zur Sprache kommen können, sei eine sinnvolle Erörterung nicht möglich.
Umweltminister hat mit Erörterung kein Problem
Anders Umwelt- und Energieminister Franz Untersteller von den Grünen in seiner Stellungnahme zur Absage der Bürgerinitiativen beim Erörterungstermin:
Die Kritik, die am Genehmigungsverfahren geäußert wird, ist aus Sicht des Umweltministeriums unberechtigt. Dennoch ist es sinnvoll, diese Kritik im Erörterungstermin zu diskutieren. Dafür ist er da.
Das klang in den Ohren vieler wie „lass denen mal die Möglichkeit, sich zu äußern, aber aus Sicht des Umweltministeriums hat die EnBW alles richtig gemacht“. Welchen Sinn hat es dann noch, an einer solchen Erörterung teilzunehmen? Auch deswegen gab es draußen vor der Tür des Saals einen alternativen Erörterungstermin der Bürgerinitiative. Zumindest dort wurden die Einwender ernst genommen.
- Das Podium im Saal
- Franz Wagner, AG AtomErbe Neckarwestheim
- Franz Pöter, BUND
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