Von Anne Hilger und der Redaktion – Stuttgart. „Wenn die Linke in den baden-württembergischen Landtag will, muss der Parteichef selbst antreten.“ Das sagten in den letzten Monaten viele. Jetzt hat sich Bernd Riexinger, 59, entschieden: Er will seine Partei zusammen mit der 32-jährigen Mannheimer Stadträtin Gökay Akbulut bei der Wahl im März 2016 als Spitzenkandidat in den Landtag führen.
Das gibt die Linke am Freitag, 19. Juni, bei einer Pressekonferenz in Stuttgart bekannt. Sie will dort auch Eckpunkte ihres Wahlprogramms nennen. Bernd Riexinger ist überzeugt, dass die Linke im nächsten Jahr die Fünf-Prozent-Hürde nehmen wird. Viele Wählerinnen und Wähler, vor allem der SPD und der Grünen, seien von der Landespolitik enttäuscht. Der versprochene Politikwechsel mit dem Grünen-Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann sei ausgeblieben.
Der Stuttgarter Landtag brauche jedoch dringend „einen roten Farbtupfer“, sagte der Bundesvorsitzende der Linken in einem Interview – nämlich „eine Opposition, die diesen Namen verdient“. Riexingers Kandidatur ist bereits die zweite spektakuläre Personalie der Linken zur Landtagswahl. Der 34-jährige Stuttgarter SÖS-Stadtrat Hannes Rockenbauch, als Vertreter der Bewegung gegen Stuttgart 21 auch überregional bekannt, kandidiert ebenfalls für die Partei.
Riexinger sieht gute Chancen
Die Linke kam bei der Landtagswahl 2011 in Baden-Württemberg auf 2,8 Prozent. Damals herrschte wegen des umstrittenen Tiefbahnhof- und Immobilienprojekts Stuttgart 21 und unter dem Eindruck der Reaktorkatastrophe in Fukushima eine aufgeheizte Stimmung. Die Mehrheitsverhältnisse zwischen Grünen und SPD in der Opposition auf der einen Seite und der Koalition aus der Dauer-Regierungspartei CDU mit dem unbeliebten Ministerpräsidenten Stefan Mappus und der FDP waren denkbar knapp.
Nächstes Jahr könnte es anders aussehen. In Umfragen zur Landtagswahl steht die Linke derzeit zwischen vier und fünf Prozent. „Viele haben bei der letzten Wahl taktisch gestimmt, sie wollten Mappus verhindern. Diesmal können die Leute völlig unbeschwert entscheiden, und deshalb rechne ich mir gute Chancen aus“, sagte Riexinger der Wochenzeitung „Kontext“.
Politik für Verkäufer und Erzieherinnen
Während sich Grüne und SPD politisch stark von den Interessen der Wirtschaft leiten ließen, wolle die Linke „das Primat der Politik wieder einführen. Die Wirtschaft muss den Menschen dienen und nicht umgekehrt“. Die Vorbehalte gegenüber der Linken hätten stark abgenommen, und sie schreckten ihn auch nicht, erklärte der frühere Gewerkschaftssekretär Riexinger gegenüber „Kontext“:
„Ich bin gern ein Schmuddelkind, wenn das bedeutet, dass ich die Menschen vertrete, die für die anderen Parteien bedeutungslos sind. Ich kämpfe für die Hartz-IV-Empfänger, für die Erwerbslosen, für die Verkäuferinnen aus dem Niedriglohnbereich, für die Erzieherinnen. Da sind die Menschen, die jeden Monat schauen müssen, wie sie ihre Miete bezahlen können. Und wenn es schmuddelig ist, gegen die Überwachung durch die NSA, gegen Waffenexporte, gegen Kriegseinsätze zu kämpfen, dann bitte.“
Als Gewerkschaftssekretär Organisator von Streiks
Bernd Riexinger, geboren am 30. Oktober 1955 in Leonberg, ist gelernter Bankkaufmann. Er war freigestellter Betriebsrat bei der Leonberger Bausparkasse und wurde 1991 Gewerkschaftssekretär. Als Geschäftsführer des Verdi-Bezirks Stuttgart organisierte er viele Arbeitskämpfe. Er gehörte zu den Initiatoren des Protests gegen die Agenda 2010 und war Mitglied des geschäftsführenden Landesvorstands der WASG und später der Linken in Baden-Württemberg.
Im Juni 2012 wurde Riexinger zum Bundesvorsitzenden der Linken gewählt. Mit seiner ruhigen, bescheidenen und zugewandten Art gelang es ihm und seiner Ko-Vorsitzenden Katja Kipping, in einer zugespitzten Konfliktsituation die verschiedenen Flügel der Partei zu versöhnen. Entsprechend groß sind innerhalb der Linken die Wertschätzung für den Vorsitzenden und sein Rückhalt. Das zeigte sich bei seiner Wiederwahl im Mai 2014.
Mannheimer Stadträtin mit Wurzeln in der Türkei
Die Mannheimer Stadträtin Gökay Akbulut wurde am 16. November 1982 in der Türkei geboren und kam mit neun Jahren nach Deutschland. Sie hat einen kurdisch-alevitischen Migrationshintergrund. Sie ist in Hamburg aufgewachsen und hat in Heidelberg Politik, Soziologie und Öffentliches Recht studiert. Seit ihrem Abschluss unterrichtet sie unter anderem an der Mannheimer Abendakademie.
Dass Riexinger und Akbulut das Spitzenduo bilden sollen, ist ein Vorschlag des Landesvorstands der Linken. Formal müssen sie zunächst von den Mitgliedern in ihren Wahlkreisen in Stuttgart und Mannheim als Landtagskandidaten aufgestellt werden. Beide Kreisvorstände haben sich bereits für sie ausgesprochen. Beim Landesparteitag am 21. November sollen sie dann als Spitzenkandidaten gewählt werden. Da es in Baden-Württemberg bei der Landtagswahl keine Zweitstimmen und keine Landeslisten gibt, handelt es sich nicht um eine formale, sondern allein um eine politische Funktion. Sie gilt aber gemeinhin als umso wichtiger.
Folge uns!