Von unseren ReporterInnen – Stuttgart. Soviel Resonanz fand der Aufruf zu einer „Demo für Alle“ gegen die Akzeptanz sexueller Vielfalt und besonders gegen die Homo-Ehe noch nie: Nach Angaben der Veranstalter kamen am Sonntag, 21. Juni, 4600 Männer, Frauen und Kinder nach Stuttgart, um gegen den neuen Bildungsplan der grün-roten Landesregierung, gegen „Gender-Ideologie“ und eine angebliche „Frühsexualisierung“ zu protestieren. Die Polizei zählte 4000 Bildungsplangegner. Auch bis zu 400 GegendemonstrantInnen waren vor Ort.
Die Organisatoren der „Demo für alle“ fühlen sich von dem starken Zulauf offenbar ermutigt. Für Sonntag, 11. Oktober, wollen sie erneut zum Marsch durch Stuttgart aufrufen, wurde inzwischen bekannt.
Die Bildungsplangegner versammelten sich am 21. Juni um 14 Uhr auf dem Schillerplatz, die GegendemonstrantInnen um 12.30 Uhr auf dem Schlossplatz. Unter anderem sprach die Landesvorsitzende der Grünen Jugend Lena Christin Schwelling. Sie hielt den Bildungsplangegnern ein frauenfeindliches und homophobes Weltbild vor. Weitere Redebeiträge kamen von Janka Kluge (VVN-BdA) und einem Sprecher des Antifaschistischen Aktionsbündnisses Stuttgart und Region (AABS). Ein Teil der KritikerInnen der Bildungsplangegner zog schon während der Gegenkundgebung in Richtung Schillerplatz, die anderen folgten nach deren Abschluss.
Kritiker sehen in der „Demo für Alle“ eine gefährliche Allianz konservativer Christen, rechtspopulistischer und nationalistischer Kräfte. Um die Demonstration der Bildungsplangegner zu ermöglichen, baute die Polizei eine starke Drohkulisse auf. Sie war mit mehreren Hundertschaften vor Ort – unter anderem mit mindestens zehn Polizeireitern. Gegen Blockadeversuche setzten die Beamten wie schon häufiger in jüngerer Zeit statt Schlagstock und Pfefferspray stumpfe Gewalt mit Fäusten, Wegstoßen und Wegzerren ein. Beobachter schilderten vor allem BfE-Einheiten als sehr aggressiv.
GegendemonstrantInnen erhielten Platzverweise und Anzeigen
Ein Polizist fragte einen Fotografen der Beobachter News am Schillerplatz, ob er einen Presseausweis besitze. Auf die Antwort „selbstverständlich“ folgte in drohendem Ton, er solle zurückgehen, wenn er ihn behalten wolle. Allerdings sind Presseausweise Eigentum der ausstellenden Verbände. Als der Beamte bemerkte, dass eine Videokamera mitlief, wurde er wesentlich freundlicher. Die Polizei verhielt sich im weiteren Verlauf gegenüber unseren MitarbeiterInnen weitgehend korrekt.
Allerdings wurde eine Fotografin der Beobachter News auf dem Schillerplatz ohne Anlass penibel kontrolliert. Sie konnte deshalb gut eine Viertelstunde nicht fotografieren. Als Grund wurde zunächst nur „allgemeine Personenkontrolle“ genannt. Als sie auf einer Erklärung bestand, weshalb gerade sie kontrolliert werde, andere Journalisten hingegen nicht, bekam sie zur Auskunft, man könne sie wegen ihrer Kleidung für dem linken Spektrum zugehörig halten.
Polizei erteilt elf Platzverweise
Die Polizisten bestanden darauf, nicht nur ihren Presse-, sondern auch ihren Personalausweis zu sehen. Eine Beamtin erklärte gleichwohl, die Polizei sei „absolut neutral“. Die Kontrolle, die sich in die Länge zog, sei keine Schikane. Man mache nur Stichproben. Allerdings zeigte sich einer der beteiligten Beamten später im vertrauten Gespräch mit Demonstranten gegen den Bildungsplan.
Die Beamten erteilten vor und während der Demonstration elf Platzverweise, heißt es in einer Mitteilung. Sie zeigten zwei Personen wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, vier Personen wegen Körperverletzung und zwei Personen wegen Beleidigung an. Acht Personen müssen laut Pressemitteilung mit Anzeigen wegen Verstößen gegen das Versammlungsgesetz rechnen. Darüber hinaus hätten die Einsatzkräfte ein Einhandmesser, Pfefferspray und Schals beschlagnahmt, „die vermutlich als Vermummungsmittel vorgesehen waren“.
Auch die NPD war dabei
„Für Ehe und Familie – Stoppt Gender-Ideologie und Sexualisierung unserer Kinder!“ war das Motto der offenbar auch aus der weiteren Umgebung zusammengezogenen TeilnehmerInnen der „Demo für Alle“. Schon bei der Kundgebung auf dem Schillerplatz überwogen wie immer die Farben Rosa und Blau auf T-Shirts, Plakaten und Luftballons – alles professionell bedruckt und von den Veranstaltern der „Demo für Alle“ zur Verfügung gestellt.
Vor allem christlich-konservative und fundamentalistische Kreise waren dem Aufruf gefolgt, nach Stuttgart zu kommen – aber wie schon früher auch Vertreter der ultrarechten „Identitären Bewegung“ oder Parteigänger der NPD. „Deutsche Familien wollen diesen Bildungsplan nicht“, hieß es am Montag lapidar auf der Homepage des NPD-Kreisverbands Ostalb, wo sich eine Bildergalerie von der Demonstration findet. Auch PI-Stuttgart und die Piusbruderschaft waren vertreten.
Piraten bei Bildungsplangegnern nicht willkommen
Die rechten Kräfte in den eigenen Reihen hinderten die Teilnehmer von Kundgebung und Demonstration nicht, protestierenden AntifaschistInnen „Nazis raus!“ entgegen zu schleudern. Obwohl nach eigener Auffassung Demokraten, entfernten sie auch Mitglieder der Piratenpartei aus ihren Reihen. Von einer „Demo für Alle“ konnte also keine Rede sein.
Dafür waren auch CSU-Anhänger und Mitglieder evangelischer Arbeitskreise der CDU vertreten, ebenso die Schülerunion aus Ludwigsburg und Stuttgart. Christoph Scharnweber vom Evangelischen Arbeitskreis der Heilbronner CDU sprach in Reimen. Er verlas außerdem ein Grußwort der CDU-Bundestagsabgeordneten Thomas Dörflinger (Wahlkreis Waldshut) und Thomas Bareiß (Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen). Auch Thomas Maria Renz, Weihbischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart, schickte ein Grußwort.
Erneut tragende Rolle der AfD
Malte Kaufmann von der CDU-Mittelstandsvereinigung Rhein-Neckar trat ans Mikrofon, ebenso Thomas Jahn, der sich der Menge als Kommunalpolitiker der CSU vorstellte. Er sei mit über fünfzig Teilnehmern mit einem Bus aus dem Allgäu angereist. „Wir haben die Bewegung Konservativer Aufbruch in der CSU gegründet“, erklärte er.
Hedwig Beverfoerde, Veranstalterin der Demo, sprach ebenfalls. Eine tragende Rolle spielte erneut die AfD. So trat Lukas Kuhs von deren „Landesausschuss Familie und Demographie“ auf. Auch der Stuttgarter Arzt und AfD-Stadtrat Heinrich Fiechtner und Karl-Christian Hausmann, stellvertretender CDU Kreisvorsitzender, waren wieder dabei. Unterstützung erhielt die „Demo für Alle“ auch aus Frankreich. Jerome Brunet von der „Manif Pour Tous“ übermittelte ein Grußwort. Eine weitere Rednerin war Karin Heepen, Bundesvorsitzende der Kleinpartei „Bündnis C“ (Christen für Deutschland), die Ende März aus der „Partei Bibeltreuer Christen“ und der AUF (Partei für Arbeit, Umwelt und Familie) hervorging.
Scharmützel am Rand der „Demo für Alle“
Nach ihrer Kundgebung stellten sich die Teilnehmerinnen der „Demo für Alle“ so auf, als ob sie ihren Zug durch die Stadt in Richtung Schlossplatz beginnen wollten. Tatsächlich verließen sie den Schillerplatz jedoch in Richtung Markthalle. Weiter ging es über die Planie zum Charlottenplatz, über die Konrad-Adenauer-Straße, zum Gebhard-Müller-Platz und zum Staatstheater. Dort traft der Demozug gegen 16.15 Uhr ein. Eine Zeitlang war die Bundesstraße gesperrt gewesen.
Während des Marschs der Bildungsplangegner gab es am Rand kleinere Scharmützel zwischen GegendemonstrantInnen und der Polizei. Am Ort der Abschlusskundgebung sei die Stimmung aufgeheizt gewesen. Sie habe „die Absperrungen mit massiven Kräften sichern“ müssen, berichtet die Polizei. GegendemonstrantInnen durchquerten den Eckensee, um den Platz vor dem Staatstheater zu erreichen. Die Polizei forderte sie per Lautsprecherdurchsage auf, damit aufzuhören, Teilnehmer der „Demo für Alle“ und Polizisten mit Wasser zu bespritzen. Als die Bildungsplangegner am abziehen waren, starteten etwa 150 ihrer GegnerInnen noch eine Spontandemonstration über die Königstraße.
Weitere Bilder des Tages
Folge uns!