Von Caro Talbach – Deizisau (Kreis Esslingen). Ein geeigneter Raum fand sich trotz monatelanger Suche nicht. So berichtete Lucius Teidelbaum am Donnerstag, 25. Juni, unter freiem Himmel direkt vor dem Rathaus von Deizisau über „Allerlei Rechtes im Ländle“. Das Antifaschistische Bündnis Kreis Esslingen (ABKE) hatte in seiner Kampagnenwoche „Aktiv gegen Rassismus und Faschismus – eine Woche voller Engagement“ zu dem Vortrag eingeladen. Hätte Bürgermeister Thomas Matrohs Teidelbaums Ausführungen verfolgt, hätte er erfahren, dass es in Deizisau und im Kreis Esslingen durchaus rechte Aktivitäten gibt.
Rathaus-Chef Thomas Matrohs tauchte jedoch erst nach der Veranstaltung auf, um mit der Polizei den Abbau des Zeltes des Antifaschistischen Bündnisses zu beobachten. Einige von dessen Mitgliedern waren wenige Tage zuvor von der Polizei angegangen worden, als sie Flyer mit dem Hinweis auf die Kampagnenwoche verteilten. Es wurden auch Platzverweise verhängt, wobei unklar blieb, auf welches Gebiet sie sich genau bezogen. Die Situation klärte sich erst, als die AntifaschistInnen einen Rechtsbeistand einschalteten.
Beim Vortrag Lucius Teidelbaums am Donnerstag gab es keine Zwischenfälle – hin und wieder streiften aber eigenartige Personen weitläufig um den Veranstaltungsort. Der Autor und Historiker ist bekannt durch seine Publikationen bei „Der rechte Rand“ und bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, außerdem durch Vorträge. Ihm zufolge verbindet der völkische Nationalismus alle rechten Strukturen in Baden-Württemberg. Er verwies auf eine Studie der Universität Leipzig vom Juni vergangenen Jahres. Ihr zufolge ist „jeder fünfte Deutsche noch immer ausländerfeindlich. Die zweithöchsten Zustimmungswerte erreichen mit 13,6 Prozent chauvinistische Aussagen. Fünf Prozent der Deutschen sind antisemitisch eingestellt“.
Kinder- und Tierschutz als Tarn-Anliegen
In jüngerer Zeit sei aber die Asylpolitik zum Kernthema der Rechten geworden, sagte Teidelbaum. Sie träten etwa bei Diskussionen über Flüchtlingsprobleme verstärkt auf und versuchten, Stimmung zu machen und die Bürger aufzuwiegeln. Man müsse solche Veranstaltungen auch in kleinen Gemeinden besuchen und genau beobachten, wer dort aktiv sei. Es sei ein wirksamer Schutz davor, dass sich Faschisten einnisten, wenn man dort rechtzeitig eine Alternative gegen rechte Tendenzen aufzeige und Aufklärungsarbeit leiste. Aber auch der Tierschutz und der Schutz von Kindern seien Anliegen, mit denen sich Rechte gerne schmückten, um Zugang zu Bürgern zu bekommen. Es lohne sich in jedem Fall, genau hinzuschauen, bevor man sich einer Gruppe anschließt oder mit ihr sympathisiert.
Der Landesverband der NPD mit Sitz in Weikersheim-Elpersheim, der Landesverband der „Jungen Nationalen“ in Crailsheim und der „Ring Nationaler Frauen (RNF) mit Edda Schmidt aus Bisingen als Vorsitzender und einer Regionalgruppe in Villingen-Schwenningen: Das war nur ein Teil der rechten Gruppen im Land, die Teidelbaum aufzählte. Es gebe außerdem ungefähr zwanzig regelmäßige Stammtische und Kameradschaften in Baden-Wüttemberg, bei denen sich Rechte träfen.
NPD will wohl Gasthaus in Meßstetten kaufen
Ein Beispiel sind die „Autonomen Nationalisten Göppingen“. Das Innenministerium von Baden-Württemberg hat am 18. Dezember 2014 ein Vereinsverbot gegen die im Raum Göppingen agierende Gruppe verhängt (wir berichteten mehrfach). Die Prozesse gegen führende Mitglieder mit dem Vorwurf, eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben, sind noch im Gang. Ein anderes Beispiel sind die „Freien Nationalisten Esslingen“, die ungefähr seit März 2013 aktiv sind. Zu ihnen gehören Teidelbaum zufolge zirka 15 Personen aus der Esslinger Gegend. Zwei Mitglieder wohnten in Deizisau.
Die sogenannten Kameradschaften seien aber keine starren Gruppierungen. Sie schlössen sich immer wieder mit anderen zusammen und trennten sich auch wieder. Die meisten Kommunikationsportale seien inzwischen wieder geschlossen worden. Die NPD versuche wohl aktuell gerade, in Meßstetten eine Kneipe zu kaufen. Dort gibt es eine Landeserstaufnahmestelle für Flüchtlinge (LEA). Gäbe es einen Stützpunkt der Rechten im Ort, könnte der Widerstand gegen die Aufnahmestelle wieder größer werden.
Versandhandel, Labels, Konzerte
Es gibt auch Verlage, Versandhandel und Labels in Baden-Württemberg, die Propaganda verlegen und vertreiben, sagte der Referent. Als Beispiel nannte er den Grabert- und den Hohenrain-Verlag in Tübingen, den Kopp-Verlag mit Sitz in Rottenburg, die „Alten Kameraden“ oder auch „Kameraden“ mit Sitz in Stuttgart oder „Z für Zukunft“ mit Sitz in Göppingen. Sie seien aber nur eine Auswahl von Verlagen, die in Baden-Württemberg aktiv rechte Propaganda verbreiteten. Als Versände und Labels zählte Teidelbaum „Chaos Crew Records“ mit Sitz in Rastatt, „Ragnarök Records“ aus Karlsruhe und „RACords“ aus Waiblingen auf.
Es gebe überdies rechte und Grauzonen-Konzerte, auf denen die „braunen Lebenswelten“, Nazipropaganda und die entsprechende Musik vertrieben würden. Es werde geschätzt, dass etwa 80 Prozent aller rechten Veranstaltungen inoffiziell stattfinden, also nicht öffentlich beworben werden.
Rechtskonservative Kaderschmiede in Weikersheim
Teidelbaum erwähnte auch den rechten Rand der Union. Er nutze beispielsweise das von Hans Filbinger gegründete „Studienzentrum Weikersheim“ regelmäßig für Vorträge und Verbindungstreffen. Der „Spiegel“ nannte das Studienzentrum die „rechtskonservative Kaderschmiede der Unionsparteien“. Teidelbaum empfahl einen Blick auf die Wikipedia-Seite zum Zentrum Weikersheim. Besonders die Referentenliste sei aufschlussreich.
Es gebe in Baden-Württemberg überdies klerikale Strukturen wie PI-Stuttgart aus Feuerbach mit guten Kontakten zu „Pro Köln“ und Messeständen bei Parteiversammlungen der Republikaner oder die „Bürgerbewegung Pax Europa“ mit Sitz in Gemmingen. Ihre Mitglieder träfen sich immer am ersten Dienstag des Monats im Feuerbacher Bürgerhaus. Erwähnenswert seien auch die Identitären. Sie hätten ethnopluralistische Vorstellungen, was bei den Stuttgarter „Demos für Alle“ der Bildungsplangegner schon zu sehen war.
Die stets gleiche Hetze immer wieder neu verpackt
Der Sozialwissenschaftler Alexander Häusler hält die Identitäre Bewegung für „ein neues Label für alte Inhalte“ aus der rechten Szene. Sie sei eindeutig rassistisch, islamfeindlich und völkisch eingestellt. Als ernstzunehmende Massenbewegung bewertete Häusler die Identitären jedoch noch nicht, sagte Teidelbaum. Anfang Februar 2013 habe der Sozialwissenschaftler seiner Beurteilung noch hinzugefügt, dass sich ihre Aktivität bisher vor allem auf das Internet konzentriere.
Es gebe jedoch „organisatorische Anknüpfungspunkte“ an die Pro-Deutschland-Bewegung und die mit ihr verbundene „German Defence League“. Die größte Gefahr sehe Häusler im jugendaffinen Auftreten der Identitären. Jugendliche mit einem „zwar diffus fremdenfeindlichen, aber nicht radikalen Weltbild“ könnten so schneller angesprochen werden als von Neonazis. Janka Kluge, die Landessprecherin der VVN-BdA, schreibt dazu: „Rechte Strategen sind ständig auf der Suche nach neuen Verpackungen für ihre immer gleiche Hetze.“
Auch Graue Wölfe in Baden-Württemberg aktiv
Weitere rechte Gruppen seien in Baden-Württemberg die Bozkurtlar/ Grauen Wölfe, Mitglieder der rechtsextremen nationalistischen Partei („Milliyetçi Hareket Partisi“, MHP). „Die Ideologie ist der türkische Rechtsextremismus. Als Feindbilder sehen die Grauen Wölfe die kurdische Organisation PKK, welche auf einschlägigen Webseiten als „Babymörder“ bezeichnet wird, und jegliche Kurden, welche eine ‚Gefahr‘ für die Türkei darstellen. Ebenfalls als Feindbilder gelten des Weiteren Juden, Christen, Armenier, Griechen, Kommunisten, Freimaurer, Israel beziehungsweise ‚Zionisten‘, die EU, der Vatikan und die Vereinigten Staaten“, heißt es bei „Wikipedia“.
Die Kampagnenwoche „Aktiv gegen Rassismus und Faschismus“ des Antifaschistischen Bündnisses Kreis Esslingen (ABKE) ging vom 20. bis zum 27. Juni. Sie begann mit einem Infostand auf dem Wochenmarkt von Deizisau und wurde am Samstag, 27. Juni, dort mit einer Kundgebung abgeschlossen.
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