Stuttgart. Sie stritten ab, zu den Grauen Wölfen zu gehören, formten aber ständig mit der Hand deren Zeichen: Rund 150 türkische NationalistInnen zogen am Samstagnachmittag, 11. Juli, durch die Stuttgarter Innenstadt. Sie protestierten gegen den „vorherrschenden Staatsterror und die Assimilation durch den chinesischen Staat“ in Ost-Turkistan.
Als eine kleine Gruppe kurdischer und linker GegendemonstrantInnen auftauchte und „Schulter an Schulter gegen Faschismus“ skandierte, hielten die Ordner der türkischen NationalistInnen ihre verärgerten Landsleute zurück und verhinderten einen Zusammenstoß.
Nach dem Ende der Demonstration zog eine größere Gruppe von TeilnehmerInnen mit türkischen Fahnen zum Stuttgarter Rathaus. Ihr lautstarker Auftritt unterbrach die Schlusskundgebung eines Schweigemarschs, mit dem am Samstag über 2000 Menschen der Opfer des zwanzig Jahre zurückliegenden Völkermords in Srebrenica gedachten. Viele TeilnehmerInnen zeigten sich über die Störung enttäuscht und verärgert.
Die türkischen NationalistInnen hatten sich zunächst vor dem Stuttgarter Hauptbahnhof in der Lautenschlager Straße versammelt. Dort durchsuchten Polizisten jeden, den sie nach Aussehen und Kleidung als möglichen Gegner der Grauen Wölfe einstuften, und hielten seine Personalien fest. Stellenweise verhielten sich die Einsatzkräfte dabei äußerst grob.
Zu der Demonstration hatte ATIB Plochingen aufgerufen. ATIB steht für Avrupa Türk-Islam Birligi, Union der Türkisch-islamischen Kulturvereine Europa. Dem Dachverband gehören nach eigenen Angaben in Deutschland 123 Moscheevereine an. ATIB wurde als Dachverband von Vereinen gegründet, die sich 1987 von der Auslandsorganisation der Grauen Wölfe abspalteten. Zu den Zielen der Grauen Wölfe gehört die Vereinigung aller Turkvölker der Welt in einem großtürkischen Reich unter der Führung der Türkei. Neben anderen ethnischen Gruppen und religiösen Gemeinschaften sehen sie als Hauptfeinde die Kurden.
ATIB wird auch heute noch mit den Grauen Wölfen in Verbindung gebracht. Vertreter der Aleviten und der Armenier kritisieren einen Mangel an Distanz zu extremistischen Verbänden. Auch das ZDF stellte in einer Reportage im Mai 2015 Verbindungen zwischen Grauen Wölfen und ATIB her, was der Verband empört zurückwies.
Sicher ist, dass bei der Demonstration in Stuttgart Teilnehmer immer wieder das Wolfszeichen zeigten und auch vor Kameras mit ihm posierten. Eine türkische Journalistin räumte den Beobachter News gegenüber ein, dass sich Anhänger der Grauen Wölfe unter den DemonstrantInnen befänden. Das lasse sich bei einer öffentlichen Demonstration nicht vermeiden, gehe aber nicht von den Veranstaltern aus.
Die DemonstrantInnen zogen von der Lautenschlager Straße durch die Theodor-Heuss-Straße und über den Rotebühlplatz zum Kronprinzplatz. Dort waren Parolen einer Gegendemonstration von ungefähr 20 Männern und Frauen zu hören. Das elektrisierte einige TeilnehmerInnen der ATIB-Demonstration so sehr, dass nur die Ordner sie daran hindern konnten, sich auf ihre GegnerInnen zu stürzen. Die Polizei wäre chancenlos gewesen. Die blau gekleideten BeamtInnen wurden danach durch massiver ausgerüstete Einsatzkräfte in grüner Montur ersetzt.
Die ATIB-Kundgebung, bei der eine offenbar stark ergriffene Rednerin sprach, bewegte sich ungefähr 150 Meter weiter in Richtung Rotebühlplatz in den Schatten. Die GegendemonstrantInnen hatten keinen Blickkontakt mehr und lösten ihre Versammlung auf.
Nach der Schlusskundgebung lief ein Großteil der türkischen NationalistInnen zum Markplatz und mischte sich lautstark unter die TeilnehmerInnen des Gedenkens an die Opfer von Srebrenica. Dort ermordeten serbische Milizen vor 20 Jahren vor den Augen von Blauhelmsoldaten über 8300 muslimische Bosnier. Viele TeilnehmerInnen der Srebrenica-Kundgebung zeigten sich empört über den Vereinnahmungs- und Unterwanderungsversuch der ATIB-DemonstrantInnen. Ordner ermahnten die türkischen NationalistInnen zur Ruhe.
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