Remchingen. Der Alarm kam fünf Minuten nach Mitternacht. Ein Autofahrer hatte von der B 10 aus das Feuer gesehen: In der Nacht zum Samstag, 18. Juli, brannte das frühere Vereinsheim der Motorradfreunde Remchingen, ein leerstehendes Haus am Ortsrand. Als kurz darauf die Feuerwehr vorfuhr, stand der Dachstuhl schon voll in Flammen. Das dreistöckige Haus war nicht mehr zu retten. Menschen kamen aber nicht zu Schaden. Die Polizei geht von Brandstiftung aus. In das Haus sollten Flüchtlinge einziehen.
Ein fremdenfeindlicher Hintergrund ist naheliegend, aber bisher nicht bewiesen, betonte die Polizei bei einer eilig einberufenen Pressekonferenz am Samstag. Die Kriminalpolizei bildete eine 17-köpfige Ermittlungsgruppe, zu der auch Staatsschutzbeamte und Brandsachverständige des Landeskriminalamts gehören. Am Nachmittag zogen etwa dreißig AntifaschistInnen in einer Spontandemo durch den Ort, um ihre Empörung, aber auch Solidarität mit Geflüchteten zu zeigen.
Die baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney besichtigte den Tatort. Viele Politiker – vom Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (Grüne) über Guido Wolf und Thomas Strobl aus der Landesspitze der CDU bis zu Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) – beeilten sich, Fassungslosigkeit und Empörung zu äußern. Das baden-württembergische Innenministerium wies die Polizei an, die Überwachung vorhandener und geplanter Flüchtlingsunterkünfte zu verstärken.
Ein technischer Defekt ist auszuschließen
Remchingen ist eine Gemeinde mit knapp 12 000 Einwohnern zwischen Karlsruhe und Pforzheim. Das vollständig ausgebrannte Vereinsheim liegt abgelegen am Rand eines Gewerbegebiets in der Meilwiesenstraße im Ortsteil Singen. Es ist von zwei Seiten mit Fahrzeugen zu erreichen. Von hinten ist das Grundstück aber nur schwer einzushen. Die Gemeinde hatte das Gebäude Anfang des Jahres gekauft. Es hätte vermutlich zwölf, vielleicht 17 Menschen ein Dach über dem Kopf bieten können. Am Dienstag wollten die Behörden das Haus besichtigen. Es muss nun abgerissen werden, der materielle Schaden liegt bei 70 000 Euro.
Die Polizei schließt einen technischen Defekt in dem unbewohnten Gebäude als Brandursache aus, sagte der leitende Kriminaldirektor Karl-Heinz Ruff bei der Pressekonferenz im Sitzungssaal der Kulturhalle im Remchinger Ortsteil Wilferdingen. Die Polizei ermittelt wegen des Verdachts auf vorsätzliche Brandstiftung. Das Medieninteresse an der Konferenz war groß, doch es kamen auch viele interessierte Einwohner.
Ruff räumte ein, dass es auch in Remchingen „einen Kreis rechtsgerichteter Personen“ gebe. Ihre Zahl liege aber im einstelligen Bereich. Sie seien auch bisher nicht durch Gewalt-, sondern nur durch Propagandadelikte wie Zeigen des Hitlergrußes oder Hakenkreuzschmierereien aufgefallen.
Polizei fragt nach Beobachtungen um Mitternacht
Die Polizei warnte bei der Pressekonferenz, vorschnell von einem fremdenfeindlichen Hintergrund auszugehen. Dennoch: „Natürlich drängt sich der Verdacht auf. Wir sind ja keine Kinderschüler“, sagte Thomas Rüttler, der Leiter der Ermittlungsgruppe. Er erwartet Mitte nächster Woche erste Ergebnisse der Spurenauswertung. Die Polizei setze aber vor allem auf Zeugen.
Die noch in der Nacht eingeleitete Fahndung nach möglichen Tätern sei ergebnislos geblieben. „Wir hoffen, dass jemand etwas gesehen hat“, sagte Rüttler. Am gegenüberliegenden Haus ist eine Videokamera installiert. Im Juni gab es zwei Versuche, in das Gebäude einzudringen. Ob sie mit dem Geschehen in der Nacht auf Samstag in Zusammenhang stehen, ist nicht klar.
Nach den Worten der leitenden Oberstaatsanwältin Sandra Bischoff kommt entweder fahrlässige Brandstiftung in Frage – ein Vergehen, das mit einer Geldstrafe oder Gefängnis von bis zu fünf Jahren geahndet wird, oder vorsätzliche Brandstiftung. Sie wird mit bis zu zehn Jahren Freiheitsentzug bestraft.
Das Haus war nicht auf Google-Maps-Landkarte verzeichnet
Bürgermeister Luca Prayon zeigte sich fassungslos über das Geschehen: „Brandstiftung ist ein unglaublich düsteres Delikt.“ Neben den Menschen in den umliegenden Häusern seien auch Feuerwehrleute gefährdet gewesen. „Wir hoffen, dass es keinen fremdenfeindlichen Hintergrund gibt“, betonte er. Auch der Landrat des Enzkreises Karl Röckinger zeigte sich „sehr betroffen“. Der Brand bedeute einen schweren Rückschlag. Sein Landkreis müsse im Juli 150 Flüchtlinge unterbringen. Unter anderem soll die Halle einer Hochschule als Unterkunft genutzt werden.
Das Haus, sagte der Leitende Kriminaldirektor Ruff auf die Frage eines Journalisten, war nicht auf der Landkarte verzeichnet, die bei Google-Maps kursierte. Sie soll vom neonazistischen „III. Weg“ erstellt worden sein. Der „III. Weg“ veröffentlicht auf seiner Homepage auch eine Anleitung, wie Flüchtlingsheime – etwa durch Propaganda und Rechtsmittel – legal zu verhindern seien.
Polizei hofft beim Schutz der Heime auf Hilfe der Anwohner
Die Karte zeigte bundesweit Flüchtlingsunterkünfte, bis Google sie aus dem Netz nahm. Inzwischen ist sie oder eine Nachbildung wieder abrufbar. Sie sei ein einziger roter Fleck, sagte Ruff. Er geht davon aus, dass auch die bestehenden Unterkünfte im Enzkreis aufgeführt sind.
Die Frage nach der Sicherheit der Flüchtlingsheime stelle sich nicht erst nach der Nacht zum Samstag. Die Polizei fahre Streife und überwache die Gebäude, sagte Ruff. Der beste Schutz sei jedoch, „dass die Kommunen und Gemeinden mit dem Thema offen umgehen“. Das Klima in einer Gemeinde könne solche Taten begünstigen oder erschweren. Allein könne die Polizei sie nicht verhindern. Allerdings könne keine noch so gute „Willkommenskultur“ einen „Spinner oder Geistesgestörten“ ummodeln, sagte Bürgermeister Prayon.
DemonstrantInnen fordern Bleiberecht für Flüchtlinge
Die Solidaritätsdemonstration führte vom Remchinger Bahnhof aus mit mehreren kurzen Zwischenkundgebungen anderthalb Stunden zügig trotz Mittagshitze durch den sonst eher ruhigen, von Vorgartenidylle geprägten Ort. Sie führte auch zu dem ausgebrannten Haus, wo am frühen Nachmittag noch Brandsachverständige arbeiteten. Die DemonstrantInnen erklärten, einen Rechtsruck und rechte Gewalt nicht hinnehmen zu wollen: „Ob Pegida oder AfD, stoppt den Rechtsruck in der BRD“ war eine ihrer Parolen.
„Say it loud, say it clear, refugees are welcome here“ war jedoch am häufigsten zu hören, ebenso „Um Europa keine Mauer, Bleiberecht für alle und auf Dauer“. Die Demo-TeilnehmerInnen machten aber auch ihrer Wut über die aktuelle Flüchtlingspolitik Luft. „Nazis zündeln, der Staat schiebt ab. Das ist das gleiche Rassistenpack“, riefen sie und forderten: „No border, no nation, stop deportation.“
Ortsbewohner machen Handyfotos vom Demozug
Die Route führte unter anderem zur Peter-Härtling-Schule und zur Kirche. Bei mehreren kurzen Zwischenkundgebungen wandten sich die Demonstrantinnen an die „lieben Menschen in Wilferdingen“. Auch Kapitalismuskritik wurde laut: „Gegen das Konstrukt von Volk, Nation und Rasse – für uns gibt’s nur eins: Klasse gegen Klasse.“
Die Polizei begleitete den Demozug, hielt sich aber zurück. Die wenigen Einwohner der Gemeinde, die am Samstagnachmittag unterwegs waren, zeigten sich teils interessiert, teils eher verständnislos. Aus Fenstern, hinter Klappläden und Jalousien hervor wurde das seltene Ereignis mit Handys fotografiert und gefilmt. Sehr vereinzelt gab es Missfallensäußerungen – so etwa in der Schwarzwaldstraße und in der Nähe des zerstörten Hauses. Aus einem an die Geschäftsräume einer Firma angebauten Wohngebäude drohte ein Mann, seinen durchaus imposanten Hund laufen zu lassen. Er forderte die DemonstrantInnen auf, arbeiten zu gehen, er zahle schließlich Steuern. Völlig unklar blieb, was das mit dem Thema und der Demonstration zu tun hatte.
Erst vor kurzem Hakenkreuzschmierereien in Welzheim
Auch Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall (SPD) verurteilte am Samstag in einer Erklärung die mutmaßliche Brandstiftung in dem geplanten Flüchtlingsheim. „Die Polizei wird alles daransetzen, die Straftat aufzuklären“, sagte Gall. Sie werde in der Region ihre Präsenzmaßnahmen verstärken. Die Zahl der Vergehen gegen Asylheime sei mit fünf Straftaten im ersten Quartal 2015 im Südwesten aber vergleichsweise niedrig, wiegelte er ab.
Wir halten das für eine Verharmlosung. Erst am 10. Juli 2015 wurden in Welzheim die Moschee mit Hakenkreuzen beschmiert (wir berichteten). Auch auf der Skaterbahn fanden sich Nazisymbole, Mord- und Terrordrohungen (siehe „Nazisymbole und Drohungen auch auf der Skaterbahn„).
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