Remchingen. Die BürgerInnen von Remchingen, ihr Bürgermeister und ihr Pfarrer gaben sich absolut weltoffen und hießen Flüchtlinge herzlich willkommen. Der Platz vor der Kulturhalle war am Sonntagabend, 26. Juli, mit rund 700 Menschen proppenvoll, und es wurden freudig die verschiedensten Länderfähnchen geschwenkt. Ja, eine Zeit lang habe ich es wirklich geglaubt, dass das alles von tiefstem Herzen und aus politischer Überzeugung kam. Aber irgendwas war doch seltsam an der Situation. Aber was?
Viele strahlende Gesichter waren zu sehen – aber auch Betroffenheit lag irgendwie in der Luft. Diverse Politprominenz zeigte sich. Auch die baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) war unter den TeilnehmerInnen. Bürgermeister Prayon redete. Pfarrer Kaltenbach auch. Die gebürtige Algerierin Julietta Memaj-Doganci aus Kieselbronn umrahmte das Ganze musikalisch mit ihrer Geige. Alles sehr berührend. Ganz kurz kämpfte ich sogar mit den Tränen. Woher dann mein Unbehagen?
Die Vorgeschichte
In der Nacht zum Samstag, 18. Juli, brannte das frühere Vereinsheim der Motorradfreunde Remchingen, ein leerstehendes Haus am Ortsrand. Als kurz darauf die Feuerwehr vorfuhr, stand der Dachstuhl schon voll in Flammen. Das dreistöckige Haus war nicht mehr zu retten. Menschen kamen aber nicht zu Schaden. Die Polizei ging von Anfang an von Brandstiftung aus. In das Haus sollten Flüchtlinge einziehen (wir berichteten). Der Verdacht hat sich zwischenzeitlich bestätigt. Das Feuer wurde mit Brandbeschleuniger gelegt (siehe hierzu auch: „Polizei entdeckt Benzin im Brandschutt„).
Der Bürgermeister
Was Bürgermeister Luca Wilhelm Prayon (CDU) vor der Kulturhalle von sich gab, war zwar rhetorisch gut vorgetragen, aber inhaltlich ging er mit keinem Wort auf die möglichen Ursachen und Auslöser von Brandanschlägen gegen Flüchtlingsunterkünfte ein. Er verlor auch kein Wort darüber, wie er dem rechten Terror begegnen will. Er sprach viel davon, dass in Remchingen kein Platz für Fremdenfeindlichkeit sei, aber er zog nicht einmal in Erwägung, dass die Täter auch aus dem Ort stammen könnten. Kein Wort darüber, dass es in Remchingen – wie überall – auch dumpfes braunes Gedankengut gibt. Und immer wieder betonte er, dass Remchingen eine so erfolgreiche Gemeinde sei, weil es viele Zugezogene gebe. „Die Remchinger Geschichte ist eine Geschichte der Zuwanderung, der Integration und der Ausbildung einer selbstbewussten Bürgerschaft“, betonte der Herr Bürgermeister. Sie sind halt alle hier „sympathisch, innovativ und zukunftsorientiert“. Ja dann!
Der Pfarrer
Pfarrer Rudolf Kaltenbach sprach viel von Nächstenliebe, aber kein Wort über Fluchtursachen. „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan“, ergoss er über die versammelten Bürgerinnen und Bürger. Was meinte dieser Diener Gottes damit? Meinte er die Mitschuld Deutschlands am Leid von vielen Menschen in Kriegs- und/oder Armutsgebieten? Meinte er etwa die Tatsache, dass Deutschland als einer der größten Rüstungsexporteure eine große Schuld auf sich geladen hat und weiterhin auf sich lädt? Die Mitschuld daran, dass diesen Menschen nichts anderes mehr bleibt, als die Flucht? Eine Flucht, die viele mit ihrem Leben bezahlen müssen. Meinte er vielleicht das? Ich hätte es mir sehr gewünscht, dass es endlich mal einer offen ausspricht. Gerade von einem Christen darf man doch zumindest diese Ehrlichkeit erwarten. Aber: weit gefehlt. Über all diese Tatsachen verlor er kein Wort. Warum sollte er auch? Er ist ja „nur“ ein Pfarrer?!
Die Ministerin
Ich hoffte dann insgeheim auf ein paar treffende Worte von Integrationsministerin Bilkay Öney. Aber auch diese Hoffnung löste sich alsbald in Luft auf. Um es kurz zu machen: Sie sagte nichts. Einfach überhaupt nichts. Spätestens als mir das klar wurde, dass die Dame sich nur medienwirksam zur Schau stellte, verlor ich jede Hoffnung auf eine wirklich politische Botschaft an diesem Tag. Einen Vorteil hatte das alles nun doch: Ich musste nicht mehr mit den Tränen kämpfen. Meine Rührung wandelte sich zusehends in Frust und Desillusion.
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Die restlichen PolitikerInnen
Für die Medienvertreter waren dann doch auch noch ein paar Promis – und Semi-Promis – auf dem Kundgebungsplatz vertreten. In vorderster Front standen die CDU-Landtagsabgeordnete Marianne Engeser, die SPD-Bundestagsabgeordnete Katja Mast und der CDU-Bundestagsabgeordnete Gunther Krichbaum. Mehr als ein In-die-Kamera-Strahlen und hin und wieder ein betroffenes Gesicht machen war aber auch bei diesen Herrschaften nicht drin. Eine politische Botschaft in Form eines Redebeitrags war einfach nicht angesagt. Warum auch? Ist ja nicht wirklich was passiert, oder? Ich hatte wohl für eine kurze Zeit vergessen, in was für einem Land ich lebe. In was für einem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem ich mich zurechtzufinden habe. Wenn man das nicht vergisst, dann wundert einen vieles nicht wirklich. Halt alles so schön bunt hier!
Der Mitveranstalter
Veranstalter der Kundgebung war neben der Gemeinde Remchingen das Netzwerk Asyl. Auch da will ich nicht um den heißen Brei reden. Eine Botschaft in Form eines Redebeitrags? Nix is! Scheinbar haben auch diese Leute inhaltlich absolut nichts zum Thema beizusteuern.
Weltoffenheit (fast) perfekt inszeniert
Für die Kamerateams der diversen Fernsehsender und für die vielen PressefotografInnen wurde am Ende noch das Meer aus bunten Fähnchen geschwenkt. Die Fähnchen wurden vor Beginn der Kundgebung fleißig an die TeilnehmerInnen verteilt. Nationalflaggen, von denen die meisten FahnenschwenkerInnen bestimmt nicht mal den dazugehörigen Ländernamen kennen. Geschweige denn, dass sie über die Lebenssituation der jeweiligen Bevölkerung informiert wären. Weltoffenheit perfekt inszeniert.
Parteifahnen waren unerwünscht. Warum denn das? Haben gewisse Parteien vielleicht Angst davor, dass sie mit der „Weltoffenheit“ ihre Wählerinnen und Wähler vergraulen könnten? Ein Gedanke, der mir nicht abwegig erscheint.
Wie konnte ich nur annehmen, dass von diesen Leuten ein aufrichtiges politisches Zeichen gesetzt werden könnte?
Ganz am Rande ein kleiner Lichtblick
Was erblickten denn da meine doch etwas enttäuschten Augen? Eine kleine Gruppe mit einem großen Transparent und einer roten Fahne, die wild und hoch am Rande der Kundgebung geschwenkt wurde. Ich machte mich sogleich auf den Weg zu diesen „Provokateuren“ und befragte sie.
Es handelte sich um eine antirassistische Gruppierung aus Karlsruhe, die sich aus unterschiedlichen Organisationen und Einzelpersonen zusammen setzt. Diese lose Gruppe engagiere sich auch gegen Pegida-, Kargida-Aufmärsche und aktuell gegen das rassistische Treiben von „Widerstand Karlsruhe“. Sie sähen zwischen den rassistischen Umtrieben und dem Brandanschlag gewisse Zusammenhänge. Das eine hänge mit dem andren stark zusammen, schlussfolgerten sie.
Ein Sprecher der Gruppe erklärte, dass sie es gut fänden, wie viele Menschen sich hier versammelt hätten, um „Flagge zu zeigen“. Er kritisierte jedoch, dass wenig über den Brandanschlag gesagt wurde. „Das Wort Brandanschlag habe ich nicht gehört, das Wort Brand habe ich nicht gehört, und ich habe auch nicht gehört, dass Menschen – zumindest indirekt – bedroht wurden“, führte er aus. Es sei nicht klar benannt worden, warum es gehe, und dass man etwas dagegen tun müsse. Es sei zwar Mitgefühl zum Ausdruck gebracht worden, aber die politische Botschaft habe absolut gefehlt.
Von Bürgermeister Luca Wilhelm Prayon (CDU) seien sie gebeten worden, die Fahne der Partei DIE LINKE wegzupacken.
Bemängelt wurde auch, dass bei der antifaschistischen Demonstration kurze Zeit nach dem Brandanschlag (wir berichteten) keine Beteiligung der Remchinger BürgerInnen zu verzeichnen gewesen sei.
Der Tatort
Nach der Kundgebung fuhr ich noch zum Tatort. Das zerstörte Haus war von einigen Zivilbeamten der Kriminalpolizei „bewacht“. Einer von ihnen befand sich in einem Müllcontainer. Ein übereifriger Staatsschutzbeamter wies mich und einen Kollegen darauf hin, dass wir das Haus nicht betreten dürften. Die Herrschaften fuhren weg. Nach wenigen Minuten kam ein Mercedes zurück, und der diensteifrige Staatsschützer gibt abermals von sich, dass wir das Haus nicht betreten dürften. Er verwies auf die angebrachte Versiegelung und erinnerte mich irgendwie an Louis de Funès.
Hoffentlich ist er und seine Kollegen bei den Ermittlungen in diesem Fall auch so eifrig bei der Sache. Aber wahrscheinlich bleibt halt doch alles schön bunt hier – im idyllischen Remchingen.
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