Von Anne Hilger – Stuttgart. Eine Abfuhr für die Schlichter, aber auch für die Verhandlungsführer der Gewerkschaften und der Kommunalen Arbeitgeber: Gut zwei Drittel der Befragten haben den Schlichterspruch für die 240 000 Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst abgelehnt. Das gilt gleichermaßen für Verdi- wie für GEW-Mitglieder. Die Gremien der beiden Gewerkschaften werden nun entscheiden müssen, wie es weiter geht. Möglicherweise gibt es erneut Streiks in Kitas und anderen sozialen Einrichtungen.
Verdi und GEW sind in einer Zwickmühle. Es dürfte schwer werden, den unterbrochenen Arbeitskampf wieder anzuschieben, und es ist fraglich, ob die betroffenen Eltern den streikenden ErzieherInnen gewogen bleiben. Aber für die beiden Gewerkschaften führt bei einem so klaren Votum vermutlich kein Weg an weiteren Streiks vorbei, wenn sie glaubwürdig bleiben wollen – es sei denn, sie erreichen doch noch auf dem Verhandlungsweg Verbesserungen.
Verdi-Chef Frank Bsirske erklärte nach dem Votum der Mitglieder die Schlichtung für gescheitert. „Das ist ein absolut klares Signal an die eigene Gewerkschaft und auch an die Arbeitgeber“, wird er zitiert. Der Streik werde fortgesetzt. Er werde der Bundestarifkommission am Dienstag in Frankfurt eine entsprechende Empfehlung geben.
Streikdelegierten-Konferenz von Verdi berät in Fulda
69,13 Prozent der Mitglieder von Verdi haben den Schlichterspruch abgelehnt. Bei der GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) waren es mit 68,8 Prozent kaum weniger. Allerdings betont die GEW, das von ihrer Satzung geforderte Quorum für eine Urabstimmung – mindestens 75 Prozent für Streik – sei „klar verfehlt“ worden. Es sei nun eine politische Bewertung nötig.
Das Ergebnis wird am Samstag, 8. August, von den Delegierten aus den Streik-Einrichtungen des Sozial- und Erziehungsdienstes auf der vierten bundesweiten Verdi-Streikdelegierten-Konferenz in Fulda beraten. Vor dem Hintergrund dieser Diskussion soll die Bundestarifkommission von Verdi am Dienstag, 11. August, über das weitere Vorgehen beschließen, heißt es in einer Mitteilung der Gewerkschaft. Die Gremien der GEW tagen ebenfalls. Ende der Woche treffen sich erneut die Verhandlungsdelegationen der Gewerkschaften und der kommunalen Arbeitgeber.
Wenig Fingerspitzengefühl bei der Schlichtung
Schlichter waren der frühere sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) und der ehemalige Oberbürgermeister von Hannover Herbert Schmalstieg (SPD). Nach wochenlangen Streiks in Kitas hatten sie für die verschiedenen Berufsgruppen Erhöhungen zwischen zwei und viereinhalb Prozent vorgeschlagen – allerdings bei einer vergleichsweise langen Laufzeit des Tarifvertrags bis ins Jahr 2020. Da das Ergebnis der Schlichtung weit hinter den Erwartungen der Gewerkschaften zurückblieb, legten sie es ihren Mitgliedern zur Bewertung vor.
Die baden-württembergische Landes-Chefin von Verdi Leni Breymaier wies trotz ihres Verständnisses für die Enttäuschung Anfang Juli gegenüber der „Stuttgarter Zeitung“ eine pauschale Kritik am Schlichterspruch zurück. Eine Schlichtung sei „keine Jubelveranstaltung für Gewerkschaften“. Kita-Erzieherinnen, die um die 30 Jahre alt seien, erhielten 4,89 Prozent mehr Gehalt – das sei bemerkenswert. Sie sehe aber auch, „dass wir im Bereich der Sozialarbeiter wenig bis nichts erreicht haben“. Ihr Fazit: „Wir haben sicherlich nicht das erreicht, was wir erreichen wollten.“ Besonders enttäuscht zeigten sich etwa Beschäftigte der Behindertenhilfe, in der sich auch nicht-kommunale Arbeitgeber am Tarifabschluss von Verdi orientieren (siehe „Ärger über Schlichterspruch„).
Die GEW rudert offenbar zurück
Di GEW betont in einer Erklärung vom 8. August, dass die Diskussion in den vielen Mitgliederversammlungen, die es bundesweit gab, „weitaus differenzierter“ verlaufen sei, als das deutliche Ergebnis der Mitgliederbefragung nahelege. Gegner und Befürworter des Schlichterspruchs seien sich aber einig gewesen, dass „die von den Beschäftigten geforderte deutliche Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe“ nicht erreicht worden sei.
Für einige Beschäftigtengruppen, etwa viele Kita-Leitungen, seien „zumindest vorzeigbare Verbesserungen“ erreicht worden. Andere, etwa SozialarbeiterInnen, gingen jedoch so gut wie leer aus. „Das schmerzt, denn es steht in scharfem Kontrast zum großen Gefühl der Solidarität, das diese Streikbewegung getragen hat“, erklärt die GEW.
Besonders kämpferisch klingt die Erklärung der GEW allerdings nicht: „Die Mitglieder der GEW-Tarifkommission Bund/Kommunen, selbst mehrheitlich Beschäftigte im Sozial- und Erziehungsdienst, werden nun kommende Woche abwägen müssen, ob wir durch weitere Streiks am Ende wirklich mehr erreichen.“
Unser Kommentar: Diskussion erfrischend anders
Das Kalkül der Arbeitgeber ist aufgegangen. Die Schlichtung für den Sozial- und Erziehungsdienst hat Verdi und GEW in eine Sackgasse manövriert. Nun ist den Verhandlungsführern die übliche Tarifroutine aus der Hand geglitten. An den Streiks beteiligten sich viele Mitglieder, die zuvor noch nie im Arbeitskampf waren. Sie zeigten erstaunlichen Mut und entwickelten Selbstbewusstsein. Es war klar, dass sie sich nicht so leicht abspeisen lassen würden.
Überdies gaben die gute Stimmung bei den Streiks und der Zuspruch der Öffentlichkeit Anlass zu großen Hoffnungen. Die kommunalen Arbeitgeber blieben jedoch hart. Das konnten sie, weil die Streikfolgen ja „nur“ die Eltern betrafen, die provisorische Betreuungsmöglichkeiten organisieren, aber nicht dauerhaft ausweichen können. Der Schlichterspruch, der Fingerspitzengefühl vermissen ließ, war dann für die meisten eine Enttäuschung.
Verdi zog die Basis aus den Arbeitskampfbetrieben immer wieder zu Streikdelegierten-Konferenzen zusammen. Das ist basisdemokratisch vorbildlich, aber für die Gewerkschaftsführung risikoreich. Das bestätigte sich jetzt. Die Diskussionen der Streikdelegierten entwickelten sich erfrischend anders, als sie meist von Tarifkommissionen geführt werden. Solche Kommissionen setzen sich in der Regel aus geschulten Funktionären und Delegierten mit viel betrieblicher Erfahrung zusammen. Ihre Erwartungen sind meist niedriger, und sie lassen sich leichter Richtung „Sozialpartnerschaft“ und „Betriebsfrieden“ lenken. Die Tarifkommissionen können ein Votum der Basis aber auch nicht übergehen. Nun ist guter Rat teuer.
Siehe auch unser Interview mit Jochen Dürr Ärger über Schlichterspruch und weitere Berichte über den Arbeitskampf im Sozial- und Erziehungsdienst
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