Stuttgart. Die „Autonomen Nationalisten Göppingen“ waren eine kriminelle Vereinigung. Zu diesem Schluss kam die Staatsschutzkammer des Landgerichts Stuttgart und verurteilte am Donnerstag, 13. August, drei Angeklagte als Rädelsführer und einen als Mitglied. Zwei der Angeklagten erhielten Haftstrafen ohne Bewährung. Die AN Göppingen hätten nicht nur Hetze betrieben und den Nationalsozialismus verherrlicht, sondern auch Angst und Schrecken verbreitet. Das Urteil ist aber kein Grund zur Freude, findet unser Kommentator Ferry Ungar.
Manuel G. muss zwei Jahre und vier Monate hinter Gitter, Manuel M. zwei Jahre und zwei Monate. Daniel R. erhielt eine Jugendstrafe von einem Jahr und zwei Monaten zur Bewährung. Stephan H. wurde zu einem Jahr und vier Monaten zur Bewährung verurteilt. Die Richterin betonte, dass die Neonazis nur wegen der von ihnen begangenen Straftaten verurteilt worden seien und nicht wegen ihrer politischen Gesinnung.
Die vier verurteilten Männer waren im Februar 2014 nach einer Razzia festgenommen worden. Die Beamten stellten nicht nur umfangreiches Neonazi-Propagandamaterial sicher. Sie fanden auch diverse Waffen – darunter Schusswaffen. Das Innenministerium von Baden-Württemberg hat am 18. Dezember 2014 ein Vereinsverbot gegen die im Raum Göppingen agierenden „Autonomen Nationalisten“ (AN Göppingen) verhängt. Das Vermögen des Vereins wurde beschlagnahmt. Die Mitglieder durften ab diesem Zeitpunkt seine Symbole nicht mehr benutzen.
Seit ihrer Gründung im Jahr 2009 hat die Vereinigung im Kreis Göppingen Versammlungen mit überregionalem Teilnehmerkreis organisiert, nachts Aufkleber und Plakate angebracht und Gewalttaten verübt. Mit vielen dieser Aktionen haben die AN Göppingen ihre ideologische Nähe zum historischen Nationalsozialismus bekundet und zur Relativierung deutscher Kriegsverbrechen beigetragen. Seit der Gründung der Gruppe im Jahr 2009 bis zum Erlass der Verfügung sind den Behörden in Baden-Württemberg weit über 150 Aktivitäten der Vereinigung bekannt geworden.
Die Staatsanwaltschaft hatte den Angeklagten unter anderem die Bildung einer kriminellen Vereinigung, Sachbeschädigungen und gefährliche Körperverletzungen vorgeworfen.
Die Vorsitzende Richterin erklärte nach 45 Verhandlungstagen in ihrer Urteilsbegründung, die Neonazis seien in Göppingen in den Jahren 2012 und 2013 besonders aktiv gewesen und hätten sich in über 50 Fällen strafbar gemacht. Sie begingen Straftaten wie Sachbeschädigungen, Körperverletzungen und Verleumdungen. Es wurden über 120 Zeugen befragt und über 160 abgehörte Telefongespräche der angeklagten Neonazis analysiert.
*****************************************************************************************************************
Kommentar von Ferry Ungar:
Ein deutliches Urteil – gut so?! Wirklich gut so?
Da wurden vier Neonazis vom Stuttgarter Landgericht verurteilt. Zwei auf Bewährung, die anderen zwei müssen in den Knast. Zuvor wurde ihre Organisation verboten. Ist doch auch für jeden antifaschistisch denkenden Menschen ein Grund zur Freude. Oder?
Zwei der vier Angeklagten saßen rund eineinhalb Jahre in Untersuchungshaft. Nicht dass ich etwa Mitleid mit den braunen Straftätern hätte, aber aus welchem Grund saßen die denn so lange in U-Haft? In der Hauptsache wegen Sachbeschädigungen und Körperverletzungen. Körperverletzungen mit Folgen im unteren Bereich. Die Sachbeschädigungen waren im Bereich Parolen sprühen und Aufkleber anbringen angesiedelt. Und natürlich nicht zu vergessen: Bildung einer kriminellen Vereinigung.
Die saßen in U-Haft und wurden jetzt verurteilt. Freu dich doch, Mensch. Dir kann man es irgendwie auch nicht recht machen.
Kein Grund zur antifaschistischen Freude
Warum kommt bei mir bei diesem Urteil keine (antifaschistische) Freude auf? Ganz einfach: Weil dieses Urteil einen klaren Einblick in die Struktur der herrschenden Justiz offenlegt. Dieses Urteil beweist, dass dieser Staat mit Antifaschismus absolut nichts zu tun haben will. Diese „Rechtsprechung“ kann absolut keiner Antifaschistin und keinem Antifaschisten gefallen. Denn die angeklagten Neofaschisten saßen weder in U-Haft, noch wurden sie jetzt verurteilt, weil sie einer faschistischen und neonazistischen Organisation angehörten. Und genau das ist der Punkt. Dieses Urteil hat einfach nichts, absolut gar nichts mit Antifaschismus zu tun. Obwohl der politische Hintergrund klar bewiesen wurde.
Und wie komme ich jetzt auf die Idee, das so hochzukochen?
Erstens, weil ich mich klar zum Antifaschismus bekenne. Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Und zweitens, weil das Gesetz der Bundesrepublik vorsieht, dass Organisationen von (Neo-)Nazis verboten sind. Im Artikel 139 des Grundgesetzes ist festgehalten, dass die Bestimmungen des Potsdamer Abkommens ihre Gültigkeit behalten, nach denen auch die Nachfolgeorganisationen der NSDAP und das Verbreiten nationalsozialistischen Gedankenguts verboten und unter Strafe zu stellen sind.
Warum werden diese gesetzlichen Regelungen nicht konsequent angewandt? Warum gibt es für diese braune Brut überhaupt die Möglichkeit, sich zu organisieren? Warum wurden die Mitglieder der AN-Göppingen nicht (auch) deshalb verurteilt? Warum?
Kommt man in diesem Land in den Knast, weil man sich der Sachbeschädigung durch Anbringen von Aufklebern auf Zigarettenautomaten schuldig gemacht hat? Wäre es nicht angebrachter, dass man in den Knast kommt, weil man faschistische und neonazistische Ziele verfolgt und sich zur Erreichung dieser Ziele in einer Faschistenbande organisiert? Die gesetzlichen Grundlagen dafür sind vorhanden.
Weshalb betonte die Richterin in ihrer Urteilsbegründung, dass die Neonazis nur wegen der von ihnen begangenen Straftaten verurteilt worden seien und nicht wegen ihrer politischen Gesinnung? Könnte es sein, dass mit diesem Urteil auch der Weg für die zukünftige Vorgehensweise der Justiz gegen AntifaschistInnen und Linke geebnet wurde?
Keine gutes Omen für AntifaschistInnen
Man hat hier zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Einerseits mimte der Staat ein hartes Vorgehen gegen Neonazis. Andererseits wurde die Richtung vorgegeben, wie zukünftig auch mit AntifaschistInnen verfahren werden kann.
Das vorliegende Urteil und die vorausgegangene U-Haft setzt neue Maßstäbe. Nicht etwa im Kampf gegen die Faschisierung in unserem Land – denn der politische Hintergrund wurde ausdrücklich nicht berücksichtigt. Sondern Maßstäbe in der Kriminalisierungsmöglichkeit von allen politischen „Straftaten“. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!
*****************************************************************************************************************
Frühere Beiträge zu diesem Thema:
Mit Schlagstock und Pfefferspray schnell bei der Hand
Folge uns!