Von Anne Hilger – Heidelberg. Vor fünf Jahren flog durch Zufall ein Spitzel auf, den die Polizei in linke und antifaschistische Gruppen an der Uni Heidelberg eingeschleust hatte. Er gaukelte Freundschaft vor, forschte Hunderte von AktivistInnen zum Teil bis ins Persönlichste hinein aus und erstattete seinen Vorgesetzten Bericht. Rund hundert DemonstrantInnen, unter ihnen viele Betroffene, erinnerten am Samstagnachmittag, 22. August, in Heidelberg an den Skandal und protestierten gegen staatliche Überwachung.
Sieben Opfer Simon Brommas und seiner Auftraggeber vom LKA reichten Klage ein. Sie wollen bestätigt bekommen, dass der Einsatz des verdeckten Ermittlers rechtswidrig war. Er hatte sich an der Uni Heidelberg mit gefälschten Ausweisen und Dokumenten als „Simon Brenner“ eingeschrieben und so auch die Universität getäuscht. Vier Jahre, nachdem die Klage eingereicht wurde, beginnt am Mittwoch, 26. August, um 10 Uhr die Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht in der Röntgenstraße 2a in Karlsruhe. Ab 9 Uhr ist eine Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude geplant.
Veranstalter der Demonstration am Samstag war der Arbeitskreis (AK) Spitzelklage mit Michael Dandl als Ansprechpartner. Der Zug durch die Innenstadt bei bestem Sommerwetter wurde von einer völlig überdimensionierten Zahl polizeilicher Einsatzkräfte begleitet. Unvoreingenommene BeobachterInnen mussten annehmen, hier wären Terroristen oder andere Schwerstkriminelle unterwegs.
Polizei wandte geheimdienstliche Methoden an
Es waren jedoch die Opfer einer polizeilichen Spitzelaktion und AktivistInnen, die sich aus persönlichen oder politischen Gründen mit ihnen solidarisierten. Mit mehreren Zwischenkundgebungen dauerte die Demonstration über zwei Stunden. Das Motto: „Gegen staatliche Überwachung – Den Heidelberger Spitzelskandal vollständig aufklären!“ Es sprachen VertreterInnen des Studierendenrats der Uni Heidelberg, der Antifaschistischen Initiative und der Roten Hilfe Heidelberg/Mannheim (siehe beide Redebeiträge unten im Wortlaut), außerdem des veranstaltenden AK Spitzelklage.
„Der flächendeckende, mit geheimdienstlichen Methoden bewerkstelligte Eingriff in elementare Grundrechte diente keineswegs der Aufklärung eventueller Straftaten, sondern war ausschließlich proaktiv angelegt, um allgemein Informationen über linke Gruppen zu sammeln und sie zu irgendeinem Zeitpunkt in der Zukunft zu kriminalisieren“, stellte der AK Spitzelklage klar.
Bespitzelt bis weit in die Privatsphäre
Alle Redner verurteilten die rechtswidrige Überwachungsmaßnahme und die Vertuschungsversuche der Behörden. Vielen Opfern des Spitzeleinsatzes waren die Empörung und die persönliche Verletzung selbst nach dieser langen Zeit noch anzumerken. Abgesehen von der politischen Dimension des Skandals hatte sie die Täuschung durch einen vermeintlich Gleichgesinnten und persönlich Nahestenden tief getroffen. Das wurde schon beim Demo-Auftakt an der Stadtbücherei deutlich. Nachdem ein Sprecher des AK Spitzelklage zur allgemeinen Belustigung die Demo-Auflagen verlesen hatte – auch das gehörte zu den Auflagen -, sprach Matthias Richter von der „Kritischen Initiative“ für die Veranstalter.
Von dem verdeckten Einsatz seien viele Gruppen und Einzelne betroffen gewesen, die für eine freiere, gerechtere Gesellschaft eintraten – eine Gesellschaft, in der auch Geflüchtete ein Zuhause finden und Nazis nichts zu suchen haben. Niemals hätten sie gedacht, Ziel polizeilicher Überwachung zu werden, erklärte er. Der LKA-Spitzel Simon Bromma habe sich in das Privatleben seiner Opfer eingeschlichen, sei in ihren Wohnungen zu Gast gewesen, habe in ihren Elternhäusern übernachtet und viele persönliche Gespräche geführt.
Behörden wollen Aufklärung verhindern
„Vor vier Jahre haben wir Klage eingereicht, um Aufmerksamkeit auf diesen krassen Eingriff in unser Leben zu lenken und Aufklärung zu erzwingen“, sagte Richter. Nun komme es erstmals zu einer Hauptverhandlung. Dem Gericht lägen die Akten jedoch nicht vollständig und in weiten Teilen nur geschwärzt vor. „Die Polizei tut alles, damit Aufklärung unmöglich wird“, so der Redner. „Sie sollten sich schämen dafür, dass Sie hier stehen“, wandte er sich unter Beifall an die umstehenden Polizisten.
Die Demo-Route führte durch die Poststraße, die Alte Bergheimer Straße und die Eppelheimer Straße, erneut durch die Poststraße zum Bismarckplatz, durch die stark belebte Hauptstraße zum Uni-Platz und zum Marktplatz. Dort wurde die Versammlung aufgelöst. Eine erste Zwischenkundgebung gab es vor dem Polizeirevier in der Römerstraße, das den Spitzeleinsatz angeordnet hatte.
Grün-Rot hält am Einsatz von Polizeispitzeln fest
Michael Dehmleiter von der Roten Hilfe stellte eine Passage aus dem Entwurf der grün-roten Landesregierung zur Reform des Polizeigesetzes in den Mittelpunkt seiner Rede. „Der präventivpolizeiliche Einsatz von Vertrauenspersonen ist ein unersetzliches Mittel zur Abwehr von Gefahren, die der öffentlichen Sicherheit und Ordnung drohen“, heißt es da – was immer das sein soll. Was genau sie präventiv als Gefahr einschätze, liege allein im Gutdünken der Polizei – ein Willkürparagraf also. Dehmleiter forderte die Abschaffung der Geheimdienstrechte der Polizei und des „widerwärtigen Inlandsgeheimdiensts ‚Verfassungsschutz‘, außerdem der „Gesinnungsparagrafen aus der 129er-Familie“.
Das „wirklich Gruselige“ an der zitierten Gesetzes-Passage sei jedoch, dass Baden-Württembergs SPD-Innenminister Reinhold Gall sagt, „wenn die Polizei was will und glaubt, dass es ihr was bringt, dann bekommt sie es“. In Wirklichkeit werde damit Machtlosen, die sich gegen die Verhältnisse wehren, ein Instrument aus der Hand geschlagen. Die Entwicklung hin zu einer besseren Welt werde dadurch „umso blutiger“, sagte Dehmleiter.
Berufsverbot gegen Michael Csaszkóczy scheiterte
Am Bismarckplatz sprach der Realschullehrer Michael Csaszkóczy für die Antifaschistische Initiative Heidelberg. Ihr galt der Spitzeleinsatz in erster Linie. Die Behörden wollten Csaszkóczy wegen seiner Mitgliedschaft in der AIHD aus dem öffentlichen Schuldienst entfernen. Der Versuch wurde nach vier Jahren Berufsverbot höchstinstanzlich als grundrechtswidrig verurteilt. Zugrunde lagen über 20 Jahre Bespitzelung durch den „Verfassungsschutz“ genannten Inlandsgeheimdienst.
Trotz seiner Rehabilitierung wird Csaszkóczy weiter mit geheimdienstlichen Methoden beobachtet. Der AIHD wirft der „Verfassungsschutz“ unter anderem vor, Informationen über die „Hammerskins“ zu verbreiten, „eines der gewalttätigsten und radikalsten klandestinen Netzwerke der Naziszene“, das allerdings durchsetzt von V-Leuten sei. Csaszkóczy betonte, dass Simon Bromma kein Spitzel des Verfassungsschutzes, sondern der Polizei war. „Das Trennungsverbot wurde immer weiter ausgehöhlt“, kritisierte der Lehrer.
Die gesamte Universität wurde getäuscht
Auf dem Uni-Platz sprach Tenko Glenn Bauer als Vertreter des Studierendenrats. Der Spitzel mit dem Tarnnamen Simon Brenner habe sich bei einem Infotag der Uni Heidelberg am Stand der Linken-SDS vorgestellt und sich später an Bildungsstreik-Demos und anderen Aktionen beteiligt. Alle an der Universität seien hinters Licht geführt worden. „Da der Spitzel eine Art lebende Kamera war, war es ein Einsatz gegen die gesamte Universität. Es gab keine Nichtbetroffenen“, sagte Bauer.
Er erinnerte an ähnliche Überwachungseinsätze andernorts – unter anderem in Hannover. Dort lebte eine Mitarbeiterin des Verfassungsschutzes in einer WG und fungierte zwei Jahre lang als Sprecherin, also offizielle Stimme der Studierendenvertretung. „Wir wollen uns nicht weiter kriminalisieren lassen“, stellte Bauer klar und forderte umfassende Aufklärung.
Bei der Schlusskundgebung auf dem Marktplatz trat mit Silke noch einmal eine Vertreterin des AK Spitzelklage auf. „Die staatlichen Repressionsorgane lassen nichts unversucht, das alles unter den Teppich zu kehren“, kritisierte sie.
PassantInnen mit verständnislosen Gesichtern
An dem heißen Sommernachmittag waren in der Innenstadt viele Einheimische und TouristInnen unterwegs. Die meisten interessierten sich hauptsächlich für ihre Einkäufe, machten Fotos oder schleckten Eis. Nicht leicht also für die DemonstrantInnen, ihr Anliegen an die PassantInnen heranzutragen. Sie versuchten es dennoch immer wieder – unter anderem mit einem Beitrag auf Englisch, aber wohl nur selten mit Erfolg, wie der Blick in viele verständnislose Gesichter nahelegte. Das zeigte auch eine Episode am Straßenrand, die wir zufällig beobachteten. „Was rufen die da?“, fragte eine Mutter ihre Tochter. „Nie wieder Schnitzel, glaube ich“ antwortete etwas ratlos das Kind.
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Die Rede der Antifaschistischen Initiative AIHD im Wortlaut:
Als der LKA-Spitzel Simon Bromma enttarnt wurde, hat er sofort den Zweck seiner schmutzigen Mission eingestanden. Einen Zweck, für dessen offizielle Bestätigung die Bespitzelten erst jahrelang prozessieren mussten. Dieser Zweck war die Ausforschung der Antifaschistischen Initiative Heidelberg, der AIHD. Ein gigantischer Polizeieinsatz inklusive der Aushebelung von Grundrechten und der Bespitzelung des gesamten studentischen und alternativen Milieus in Heidelberg, nur um Informationen über eine lokal arbeitende antifaschistische Gruppe zu bekommen, die aus ihren Zielen und ihren politischen Vorstellungen nie ein Geheimnis gemacht hat? Das klingt absurd und das ist es auch.
Und doch reiht es sich ein in eine lange Reihe von Versuchen, die politische Arbeit der AIHD zu kriminalisieren und die Gruppe zu zerschlagen. Mit Ruhm bekleckert haben sich die staatlichen Organe dabei noch nie. Größeres öffentliches Aufsehen erregte der Versuch, den Realschullehrer Michael Csaszkóczy wegen seiner Mitgliedschaft in der AIHD aus dem öffentlichen Schuldienst zu entfernen. Ein Versuch, der nach vier Jahren Berufsverbot höchstinstanzlich als grundrechtswidrig verurteilt wurde. Zugrunde lagen über 20 Jahre Bespitzelung durch den Inlandsgeheimdienst, der hierzulande immer noch den irreführenden Namen „Verfassungsschutz“ tragen darf. Auch heute, acht Jahre nach seiner offiziellen Rehabilitierung besteht der Verfassungsschutz weiter darauf, ihn mit geheimdienstlichen Mitteln zu beobachten.
In der Gerichtsauseinandersetzung über Csaszkóczys Überwachung hat der sogenannte Verfassungsschutz kürzlich erst geschrieben, was eigentlich an der Politik der AIHD so entsetzlich gefährlich und bedrohlich ist. Wir zitieren an dieser Stelle wörtlich, weil es so grotesk ist:
„Die AIHD beteiligt sich an der Umsetzung des Zieles linksextremistischer ‚Antifaschisten’, möglichst jedes öffentliche Auftreten von Rechtsextremisten zu unterbinden. Sie sucht die direkte Begegnung mit dem Gegner von ‚rechts‘, um rechtsextremistische Aufmärsche möglichst zu verhindern. (…) Die AIHD praktiziert antifaschistische Informations- und Aufklärungsarbeit: So veröffentlichte sie z. B. eine detaillierte Darstellung der Strukturen, Aktivitäten und Kontakte der Hammerskins im deutschen Südwesten, unter bewusster Nennung von Namen und Lebensläufen erwähnter Personen aus diesem Milieu.“
Für Nichteingeweihte muss man vielleicht erläutern, wer die Hammerskins sind: Die Hammerskins sind eines der gewalttätigsten und radikalsten klandestinen Netzwerke der Naziszene. Sie lieferten die Ideologie und die Strategien für die Terrorserie des NSU, mit dem sie auch personell verflochten waren. Und nicht zuletzt: Wie in den immer neuen Enthüllungen zum NSU-Skandal offenbar wurde, sind die Hammerskins durchsetzt mit V-Leuten des „Verfassungsschutzes“. Mit anderen Worten: Der Inlandsgeheimdienst wirft der AIHD vor, das getan zu haben, was seiner Selbstdarstellung nach eigentlich seine eigene Aufgabe gewesen wäre, nämlich die Öffentlichkeit über neonazistische Terrornetzwerke zu in-formieren. Dafür unter anderem soll die AIHD bespitzelt, verfolgt und zerschlagen werden.
Es ist skandalös genug, wenn ein zwielichtiger Geheimdienst mit staat-licher Rückendeckung eine solche Politik betreibt. Über den politischen Charakter des Verfassungsschutzes besteht immerhin kaum noch ein Zweifel. Über seine schmutzigen Geschäfte und seine enge Verstrik-kung mit der Naziszene wird selbst in gutbürgerlichen und konservati-ven Zeitungen berichtet.
Der Skandal, den der Fall des Polizeispitzels Simon Bromma darstellt, ist aber noch weit größer und er greift alle zur Schau getragenen staatlichen Prinzipien von Rechtsstaatlichkeit sehr viel stärker an. Denn Simon Bromma war eben kein Mann des Geheimdienstes, sondern Polizeibeamter. Es gibt in der BRD aus gutem Grund ein striktes Trennungsgebot zwischen Polizei und Geheimdienst. Dieses Trennungsgebot ist eine Lehre aus der Nazivergangenheit, in der in Gestalt der Gestapo geheimdienstliche Bespitzelung, staatliche Bedrohung und das, was die Nazis unter Strafverfolgung verstanden, Hand in Hand gingen.
Dieses Trennungsgebot ist in den vergangenen Jahren immer mehr ausgehöhlt worden. Offiziell, so hieß es in staatlichen Verlautbarungen, zur Bekämpfung des Terrors, tatsächlich aber, wie der Fall Simon Brommas und der AIHD zeigt, zur Einschüchterung, Kriminalisierung und Zerschlagung widerspenstiger und aufmüpfiger oppositioneller Bewegungen. Diese Aushöhlung und Durchlöcherung des Trennungsgebotes hat viele Facetten und viele Beteiligte. Teil dieser Aushöhlung ist es, wenn geheimdienstliche Spitzelquellen vom Hörensagen in Prozessen eingesetzt werden, um die staatliche Version des Ablaufs zu untermauern.
Es gehört auch zu dieser Aushöhlung, wenn – wie bei der Heidelberger Polizei üblich – die Inhalte so genannter Kooperationsgespräche des Ordnungsamtes mit Demoanmeldern von der Polizei über das Dezernat Staatsschutz direkt an den Inlandsgeheimdienst weitergereicht werden. Auch das Vorgespräch zu der heutigen Demonstration ist nicht zustandegekommen, weil Polizeirat Christian Zacherle darauf bestand, dabei zu sein und mitzuprotokollieren. Herr Zacherle ist es auch, der veranlasst, dass immer wieder absurde Ermittlungsverfahren gegen Aktivistinnen und Aktivisten eingeleitet werden. Auch wenn diese Ermittlungsverfahren später samt und sonders eingestellt werden, schlicht weil sie gegenstandslos sind, sorgen sie dafür, dass die Betroffenen einstweilen in der Kartei sind und später in der berüchtigten LiMo-Datei landen. Diese Datei mit dem Namen „Gewalttäter linksmotiviert“ (daher: LiMo) umfasst nicht etwa verurteilte „Gewalttäter“, sondern alle Linken, die der Polizei im Zusammenhang mit Ermittlungen aufgefallen sind – also auch ZeugInnen, Menschen, deren Personalien im Vorfeld einer Demonstration festgestellt wurden etc. Dennoch ist der Name mit Bedacht gewählt. Er spiegelt nicht nur das Weltbild der Polizei wider (im Gegensatz zu den „besorgten Bürgern“, die vor Flüchtlingsheimen randalieren, sind Linke eben von Natur aus gewalttätig). Man kann sich auch leicht vorstellen, was es bedeutet, wenn man in eine Polizeikontrolle gerät und der Computer ausspuckt, dass man zur Datei „linksmotivierte Gewalttäter“ gehört.
All diese alltäglichen Demontagen des Trennungsgebotes von Polizei und Geheimdienst sind aber nichts im Vergleich zu dem, was im Fall Simon Bromma geschehen ist. Die Polizei hat hier ohne jeden Verdacht auf eine Straftat selbst als Geheimdienst agiert. Simon Bromma hat mit gefälschten Ausweisen und Dokumenten gearbeitet, er hat persönliche Beziehungen und Freundschaften vorgetäuscht, um die Betroffenen zu bespitzeln und Nachteiliges über sie herauszufinden, er hat völlig legal arbeitende politische Gruppen infiltriert, um sie polizeilich auszuforschen.
Entgegen aller vollmundigen Behauptungen hat die grün-rote Regierung – die selbst nicht für diesen konkreten Spitzeleinsatz verantwortlich ist -, alles getan, den Vorfall zu vertuschen, die Verantwortlichen in den Ämtern zu verbergen und zu decken. Mehr noch: Sie war nicht nur nicht bereit, zu garantieren, dass solche Bespitzelung unter grün-rot nicht mehr stattfindet, sie hat sogar mit dem neuen baden-württembergischen Polizeigesetz die Hürden für solch eine grundrechtswidrige Bespitzelung noch weiter gesenkt.
Auch wenn am kommenden Mittwoch das Gericht den Einsatz als rechtswidrig verurteilen sollte, bedeutet das leider nicht das Ende polizeilicher und geheimdienstlicher Bespitzelung linker Gruppen und Aktivitäten.
Wir werden gemeinsam wachsam und aktiv bleiben müssen, um gegen Grundrechtsabbau, staatliche Repression und die Kriminalisierung emanzipatorischer Bewegungen vorzugehen.
Der Redebeitrag der Heidelberger Ortsgruppe der Roten Hilfe im Wortlaut:
„Der präventivpolizeiliche Einsatz von Vertrauenspersonen ist ein unersetzliches Mittel zur Abwehr von Gefahren, die der öffentlichen Sicherheit und Ordnung insbesondere durch organisierte oder politisch motivierte Kriminalität drohen.“
Das hat die Grün-Rote Landesregierung im Gesetzentwurf zur Reform des Polizeigesetzes 2012 geschrieben. In dem hat sie den Einsatz von Polizeispitzeln als Normalfall präventivpolizeilichen Handelns definiert — vorher war er nur „Experiment“. Gerade nach dem Skandal um Simon Bromma hätte mensch schon erwarten können, dass eine Regierung, deren Chef selbst mal im Fokus der politischen Repressionsbehörden war, vielleicht was anderes tun könnte als die Wunschzettel der Polizei abzuschreiben.
War nichts, aber: An diesem kurzen Stück Obrigkeitsprosa lässt sich viel von dem ablesen, was an den permanenten Ausweitungen der Rechte der Polizeien schief läuft.
Erstmal: Was da geschützt werden soll, sind keine Menschen, es ist die „öffentliche Sicherheit und Ordnung“. Um mal ein kleines Beispiel zu geben: In dieser Gedankenwelt ist ein Penner im Winter ein Problem, wenn er sich im Bahnhof aufwärmt. Das Problem ist weitgehend gelöst, wenn wenn er sich draußen den Arsch abfriert — und ganz, wenn er erforen ist. Um diese Sorte Gesetz gehts hier also.
Noch ein bitterer Witz an „öffentlicher Sicherheit und Ordnung“ ist, dass niemand wirklich sagt, was genau das ist — außer der Polizei. Wo immer diese Phrase steht, könnte fast genausogut „Gutdünken der Cops“ stehen.
Um das nochmal zu interpretieren: Nehmt an, irgendsoein Typ pinkelt in einen Blumenkasten vor dem Rathaus. Wenn es um „öffentliche Sicherheit und Ordnung“ geht, kann der Polizeihauptmeister erstmal hingucken: Ist der Pinkler eher dunkelhäutig, ist sie klar gefährdet, und er kann ein ganzes Arsenal von Kram aus dem Polizeigesetz abfeuern; laut dessen aktueller Fassung beispielsweise Daten über die Person erfassen und speichern, diese im Schengenraum verbreiten bzw. einholen, Videoüberwachung anwerfen, die Person für eine Weile einfahren und so fort.
Wenn es allerdings der Bürgermeister ist, der in die Blumen strullt, machts nichts — es ist ja nicht so richtig verboten, und der Bürgermeister ist die personifizierte öffentliche Ordnung, kann sie also gar nicht stören. Das Opportunitätsprinzip — das ist der Edelname fürs personenabhängige Strafen — gibts zwar auch im Strafrecht, aber da ist es die Ausnahme. Die öffentliche Sicherheit und Ordnung dagegen ist schon dem Charakter nach schlicht Rechtfertigung der Willkür wildgewordener Kleinbürger in Uniform.
Der nächste Klopfer im Regierungssatz ist „Abwehr von Gefahren“. Also: Es ist nichts passiert, und trotzdem darf die Polizei schon loslegen. Das passt wunderbar in den ganzen Trend des Präventionsstaats. Egal, ob wer nur vor der Glotze hockt, Steuern hinterzieht oder gegen Polizeistaaterei demonstriert: der Staat genehmigt sich per Vorratsdatenspeicherung Zugriff auf die Kommunikations- und Bewegungsprofile von allen Untertanen. Oder speichert ihre Bilder, wenn sie über die passenden Plätze laufen. Oder kann sie im Wesentlichen aufgrund von ein paar Bytes im Computer zwingen, am Wohnort zu bleiben, wenn irgendwo eine Demo stattfindet — Meldeauflage heißt sowas übrigens, und ist, so viel Rechtsstaat ist schon noch, häufig wegzuklagen. Noch ein Grund, zur Roten Hilfe zu kommen.
Bei all dem ist die Strafverfolgung vorverlegt in die Zeit vor irgendeiner „Tat“. Und weil wir alle potenzielle Straftäter sind — euch allen, die ihr hier steht, sehe ich schon mal das Gedankenverbrechen an –, ist der Präventionsstaat in einer Art permanenter, nur ausgesetzer, Strafverfolgung von jedem und jeder. Da ist es nur konsequent, dass vorne und hinten Verdeckte ErmittlerInnen und Vertrauenspersonen (ich fasse die jetzt mal als Spitzel zusammen) aufpassen sollen, dass nichts anbrennt.
Zusammengefasst: „Zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung“ heißt in Wirklichkeit „Wenn die Polizei glaubt, dass vielleicht demnächst was passiert, das ihr missfallen könnte.“
Der nächste Ärger ist das mit dem „unersetzlichen Mittel“. Das ist natürlich Gewäsch, denn so wirklich oft wurden Spitzel — jedenfalls soweit wir wissen — nicht eingesetzt. Wenn in den paar Fällen nichts weiter gegangen wäre, weil Spitzel, und schon gar in der „Gefahrenabwehr“, verboten wären, wäre das echt nicht wild. Fälle, die offen bleiben, gibt es ja auch so noch genug. Worüber wir uns, nebenbei, laut freuen sollten, weil es ein klares Zeichen ist, dass es noch nicht ganz vorbei ist mit der Freiheit, aber das ist ein Thema für einen anderen Tag.
Zurück zum „unersetzlichen Mittel“: der wirkliche Grusel an dieser Sprache ist, dass Innenminister Gall da letztlich sagt: „Wenn die Bullen das wollen und die behaupten, dass es ihnen was bringt, sollen sie es auch haben.“ Sowas würde natürlich noch nicht mal dann gehen, wenn die Polizeichefs und -gewerkschaften noch ein wenig bürgerrechtliches Gespür behalten hätten. Da sie das nicht haben, ist so eine Wunschzettelpolitik extra übel.
Das gilt ganz besonders im Hinblick auf den letzten Punkt meiner kurzen Textkritik. „Insbesondere,“ sagt die Regierung, gehe es um „organisierte oder politisch motivierte Kriminalität“. Dass „organisierte Kriminalität“ in Nordeuropa im Wesentlichen ein Schreckbild ist, mit dem immer neue Rechte für die Polizei durchgesetzt werden, ist inzwischen ein Allgemeinplatz. Schlimmer aber: Wichtigste Zutat organisierter Kriminalität dort, wo es sie wirklich gibt, ist genau die Verwicklung der Polizei in die Banden und Bändchen, in die Durchsetzung krimineller Interessen.
Ausgerechnet unter dieser Flagge der Polizei auch noch Extrarechte zu geben, so willkürliche und intransparante zudem, und welche, die die gegenseitige Druchdringung von Polizei und extralegalem Geschäft befördern, das entspricht dem Versuch, Alkoholismus durch Heroin zu heilen.
Noch ernster ist aber die Ansage, es gehe hier speziell um „politisch motivierte Kriminalität“. Ausweislich der Kriminalitätsstatistik muss damit offenbar auch was wie eine Sitzblockade oder mal ein Bengalo auf einer Demo gemeint sein — in jedem Fall mal jede direkte Aktion. Der Polizei immer weniger Grenzen zu setzen, genau um machtlosen Minderheiten Interventionsmöglichkeiten aus der Hand zu schlagen, das ist der größte Stinker aus brodelnden Darm, der all die Antiterror- und neuen Polizeigesetze zusammengärt.
Der große Mist ist eben nicht, wie es manchmal in der Zeitung zu lesen ist: Ogottogott, das wird Unschuldige treffen. Nein, Gesetze dieser Art sind besonders schlimm, wenn sie in ihrem Sinn Schuldige treffen: Die Nachfolger derer, die 1789 die Bastille stürmten, die 1844 in Schlesien das Schicksal der Weber zu verbessern suchten — und die Situation der TextilarbeiterInnen heute ist im Schnitt so viel besser nicht –, die 1848 auf den Straßen waren, die, und hier verlasse ich wohl den Konsens mit Kretschmann und Komplizen, 1871 von der Pariser Commune aus ein Hoffungszeichen in die Welt schickten, und so fort, kurz, die, die für mehr Freiheit, Gleichheit und Solidarität kämpften und dafür eigentlich immer von ihrer Obrigkeit verfolgt wurden, ganz, wie es die unsere auch heute noch will.
Mit Spitzeln muss ich mich bei jeder Verständigung über Politik oder Aktion fragen: „Meint der das ernst oder will der mich nur einfahren?“ Diese latente und permanente Paranoia lähmt und trifft, so wie sie unsere VorgängerInnen gelähmt und getroffen hat.
Daher: Der Skandal an den Spitzeln ist vielleicht *auch*, dass sie Unschuldige treffen. Der Hauptskandal aber ist, dass sie gegen Schuldige wirken — gegen die Untertanen, die allmählich mal wieder die nächsten Schritte in eine bessere Welt gehen wollen.
Wie diese bessere Welt aussieht, weiß ich genauso wenig, wie sich die CommunardInnen, die Weber oder die Sufragetten vorstellen konnten, was wir zwischen Frauenwahlrecht und Vierzigstundenwoche heute schon alles hinbekommen haben — und was nicht. Ein Blick ins Geschichtsbuch lehrt aber: Die Entwicklung der Gesellschaft wird mit jedem neuen Gesetz für mehr Sicherheit und Repression auf allen Seiten blutiger. Deshalb:
Weg mit den Geheimdienstrechten der Polizeien!
Weg mit dem widerwärtigen Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“!
Weg mit den Gesinnungsparagraphen aus der 129er-Familie!
Kriegen wir das hin?
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