Von Gül Güzel und Jens Volle – Stuttgart. Rund 800 Menschen protestierten am frühen Mittwochabend, 9. September, auf dem Stuttgarter Schlossplatz gegen die Angriffe der türkischen Regierung auf die kurdische Stadt Cizre im Südosten des Landes und gegen nationalistische Übergriffe auf Büros der oppositionellen HDP. Anschließend zogen die DemonstrantInnen zum türkischen Konsulat, wo sechs türkische Nationalisten zu provozieren versuchten. Bei einem späteren Zusammenstoß wurde einer der Nationalisten verletzt und musste notärztlich versorgt werden.
Die kurdische Stadt Cizre ist seit mehr einer Woche unter Beschuss und von der Außenwelt abgeschnitten. Am Samstag wurde die Ausgangssperre aufgehoben, aber nur bis Sonntagabend. Die HDP berichtet, bei dem Sturm auf die Stadt seien 21 Zivilisten getötet worden, darunter viele Kinder. Auch ein 35 Tage altes Baby soll Opfer der Kugeln eines Scharfschützen geworden sein. Viele befürchten ein Massaker.
Die Regierung in Ankara behauptet hingegen, bei der Militäroperation seien 32 militante Kurden und ein Zivilist getötet worden. Den gut 100 000 Einwohnern von Cizre geht es nach Angaben der Opposition sehr schlecht. Es gebe kein Wasser, kein Strom, keine Baby-Nahrung. Die Supermärkte seien längst leergekauft. Hinzu komme, dass die Menschen ihre Häuser nicht verlassen dürfen und Gefahr laufen, auf offener Straße von Scharfschützen getroffen zu werden. TeilnehmerInnen eines Friedensmarschs nach Cizre und Abgeordnete, die sich vor Ort ein Bild der Lage machen wollten, wurden vom türkischen Militär nicht in die Stadt gelassen.
Vor dem Konsulat warteten türkische Nationalisten
Nach der Kundgebung auf dem Stuttgarter Schlossplatz formierte sich am Mittwochabend ein spontaner Demonstrationszug in der Bolzstraße. Er zog über die Lautenschlagerstraße zum Hauptbahnhof und in die Schillerstraße. Die wenigen PolizistInnen, die den Zug an der Spitze begleiteten, wirkten hektisch und unkoordiniert, ließen aber die DemonstrantInnen ungehindert laufen.
Am Hauptbahnhof ging es weiter in Richtung Wagenburgtunnel. Mittlerweile hatte sich die Zahl der DemonstrantInnen auf etwa 800 erhöht. Ziel des Demozugs war das türkische Generalkonsulat am Kernerplatz. Dort wurden die DemonstrantInnen schon von behelmten Polizisten erwartet. Hinter der Polizeikette befanden sich sechs türkische Nationalisten. Sie versuchten, die ankommenden DemonstrantInnen mit Parolen und mit dem Schwenken von türkischen Fahnen zu provozieren.
Die Polizei verlegte sich auf Drohungen
Die Polizei drohte den aufgebrachten DemonstrantInnen mit Pfefferspray und Schlagstöcken. Die Menge beruhigte sich schnell wieder, als sich die türkischen Provokateure in Richtung Neckartor zurückzogen. Sie hatten gemerkt, dass einige kurdische Demonstranten versuchten, über Nebenstraßen in ihre Richtung zu gelangen. Es kam dann zu einem Aufeinandertreffen der beiden Lager. Dabei wurde ein Nationalist verletzt und musste notärztlich versorgt werden.
Schließlich zogen die DemonstrantInnen über die Hauptstätter Straße und den Charlottenplatz wieder zurück zum Schlossplatz. Vor dem Kunstmuseum blamierte sich die Polizei, als sie versuchte, mit einer Kette von vielleicht einem Dutzend BeamtInnen die vielen hundert DemonstrantInnen daran zu hindern, über die Königsstraße am Königsbau vorbei zurück zur Bolzstraße zu gelangen. Gründe dafür nannte die Polizei nicht. Als die BeamtInnen einsahen, dass die ziemlich nutzlos und verloren dastanden, enschieden sie sich, eine Kette an der Bolzstraße zu bilden. Sie ließen die DemonstrantInnen, die hier ihre Spontandemo beendeten, nur in Kleingruppen nach Hause gehen.
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