Kommentar von Sven Kollet – Stuttgart. Muss man den Schlagstock ziehen, weil ein Transparent ein paar Zentimeter zu lang ist? Ist es sinnvoll, nach einem Knall gleich präventiv loszuknüppeln und eine ganze Demo einzukesseln, also mit Gewalt festzuhalten? Diese Frage stellt sich nach den Ereignissen vom vergangenen Samstag, 19. September. In Stuttgart marschierten Graue Wölfe. Dagegen regte sich Protest (siehe auch „Polizei trennt Graue Wölfe und Kurden„).
Wir haben schon häufig dokumentiert, dass es manchen Polizisten offenbar schwer fällt, sich selbst unter Kontrolle zu halten. Einige scheinen ständig einen Grund zu suchen, AntifaschistInnen, GegnerInnen von Homophobie, aber auch G7-GegnerInnen und andere anzugreifen und zu kriminalisieren.
Hierbei geht es oft nicht darum durchzusetzen, dass Gesetze eingehalten werden. Das hat sich am Samstag in Stuttgart wieder gezeigt. Eine kleine Gruppe von GegnerInnen des Aufmarschs der Grauen Wölfe lief die Bolzstraße in Richtung Lautenschlager Straße hoch auf eine Polizeikette zu. Die Polizei setzte sofort Schlagstock und Pfefferspray ein. So rannten die AntifaschistInnen zum Rotebühlplatz, um den Marsch der „Grauen Wölfe“ zu verkürzen.
Pfefferspray ins Gesicht des Pressefotografen
Ein Kollege von der Beobachter News und ich standen während der Aktion am Rand und dokumentierten die Situation. Doch plötzlich meinte ein Polizist, der sonst Motorrad fährt, uns angreifen zu müssen. Aus zweiter Reihe sprühte er Pfefferspray auf unseren Kollegen, als er gerade die Polizei mit gezogenen Schlagstöcken und Pfefferspray in der Hand fotografieren wollte.
Ich rief dem Polizisten zu, er solle damit aufhören, wir seien Pressevertreter. Seine Reaktion: Er attackierte auch mich mit Pfefferspray. Ich hatte das Glück, hinter der Kamera das meiste nur ins Gesicht und kaum ins Auge zu bekommen. Doch unser Kollege brauchte ärztliche Hilfe.
Bei weitem kein Einzelfall
Polizei-Übergriffe gehören für uns als Pressefotografen zum Alltag. Es geht los mit Durchsuchungen im Vorfeld von Versammlungen, die wir als reine Schikane werten, da wir keine DemonstrationsteilnehmerInnen sind und einen Presseausweis vorweisen können.
Leider behindern uns Polizisten auch immer wieder bei unserer Arbeit, indem sie unsere Presse- und oft auch Personalausweise penibel kontrollieren – oft genau dann, wenn es gerade brenzlig wird. Es kam auch schon vor, dass Beamte unsere Kamera wegschlugen, uns ins Gesicht schlugen, uns wegstießen oder versuchten, das Objektiv zuzuhalten.
Schläge und Tritte
Vor einiger Zeit attackierte ein Polizist einen Fotografen der Beobachter News und brachte ihn zu Fall. Sein Kreuzband riss. Der Kollege musste sich einer Knieoperation unterziehen. Er war sechs Monate arbeitsunfähig. Die Folgen der Verletzung spürt er noch heute.
Unser Chefredakteur wurde auf einer Demo plötzlich von hinten angegriffen. Einem weiteren Mitarbeiter der Beobachter News, der deutlich als Pressevertreter gekennzeichnet war, wurde während des G7-Gipfels mehrfach ins Gesicht geschlagen. Er musste ebenfalls einen Arzt aufsuchen.
Wenn die Polizei bestimmen will, was Pressefreiheit ist
Skurril wird es, wenn Gesetzeshüter einem erklären wollen, warum man angeblich gerade keine Fotos machen dürfe. In solchen Fällen geht es meist um Gewaltausschreitungen, unangemessene Kontrollen von JournalistInnen oder Ähnliches. Um zu verhindern, dass FotografInnen solche Szenen dokumentieren, verweisen Beamte öfter mal auf Rechtsvorschriften, die es gar nicht gibt.
Sie versuchen, das Fotografieren zu verbieten, drohen mit Anzeigen für den Fall, dass Bilder veröffentlicht werden, oder verlangen gleich, Fotos herauszugeben oder von der Chipkarte der Kamera zu löschen. Ein klarer Verstoß gegen die Pressefreiheit, da es für all das keinerlei Rechtsgrundlage gibt.
Kennzeichnungspflicht für Polizisten
Selbst, wenn es einem gelingt, massive Übergriffe zu dokumentieren, gibt es auch für Pressevertreter kaum eine Chance, etwas gegen Beamte zu unternehmen, die möglicherweise gegen Gesetze verstoßen haben.
Oft scheitern Verfahren schon daran, dass sich der Täter nicht identifizieren lässt. Eine anonyme Kennzeichnung von Polizisten, wie es sie bereits in sechs anderen Bundesländern gibt, ist in Baden-Württemberg überfällig. Sie würde Beamte identifizierbar machen, wäre aber noch keine Garantie für Gerechtigkeit. Oft klingen Aussagen von Polizisten im Zeugenstand vor Gericht erstaunlich ähnlich. Manchmal wird das Opfer plötzlich zum Täter – auch das hielt schon viele Geschädigte von einer Anzeige gegen Polizeibeamte ab. Dennoch wäre die Kennzeichnungspflicht ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.
Siehe auch unsere früheren Kommentare und Berichte:
Kennzeichnung soll Polizeigewalt eindämmen
Kennzeichnung schafft Vertrauen
Misstrauen gegen Polizisten? Ja sicher!
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