Von Meide Wolt – Stuttgart. Die Richterin bescheinigte dem Polizeibeamten als Zeugen volle Glaubwürdigkeit. Sie begründete ihr Urteil damit, dass die Gewalt von DemonstrantInnen gegen Polizisten beim Protest gegen den Nazi-Aufmarsch 2011 in Dresden erschreckend gewesen sei: Das Stuttgarter Amtsgericht verurteilte am Donnerstag, 8. Oktober, einen jungen Antifaschisten, 2000 Euro an eine wohltätige Einrichtung zu zahlen.
Der Staatsanwalt hatte drei Jahre Haft auf Bewährung und eine Geldstrafe von 2000 Euro an die Staatskasse gefordert. Die Richterin verzichtete jedoch auf die Bewährungsstrafe, da die Hauptverhandlung erst viereinhalb Jahre nach dem angeblichen Landfriedensbruch stattfand und der Angeklagte damals erst 20 Jahre alt war.
Die Vorgeschichte der Verhandlung war kurios (siehe „Zuspruch für angeklagten Antifaschisten“). die Stuttgarter Staatsanwaltschaft versuchte zunächst, dem Angeklagten versuchten Totschlag und Landfriedensbruch anzuhängen. Das Stuttgarter Landgericht ließ die Anklage aber nicht zu. So verzichtete die Staatsanwaltschaft auf den Vorwurf des versuchten Totschlags, reichte aber eine ansonsten wortgleiche Anklageschrift beim Amtsgericht ein.
Etwa 25 Menschen folgten am Donnerstag, dem dritten Verhandlungstag, dem Aufruf zur Prozessbeobachtung mit dem Titel „Getroffen hat es einen, gemeint sind wir alle! Solidarität! Antifaschismus bleibt legitim!“. Der Angeklagte soll am 19. Februar 2011 bei der erfolgreichen Blockade von 20 000 Antifaschistinnen gegen den geplanten Aufmarsch europaweit vernetzter Neonazis in Dresden Landfriedensbruch begangen haben. Aus Sicht der Stuttgarter Ortsgruppe der Roten Hilfe und des Antifaschistischen Aktionsbündnisses Stuttgart und Region AABS war der Prozess Teil einer „groß angelegten Kriminalisierungswelle“ der Staatsanwaltschaft.
Stuttgart bildete demnach einen Schwerpunkt der Repressionen. Es habe überfallartige Hausdurchsuchungen, DNA-Entnahmen und Gerichtsverfahren gegeben. In der Hauptverhandlung am Donnerstag stellte die Staatsanwaltschaft die Straßenblockaden gegen den Aufmarsch 2011 als Gewaltexzesse einer randalierenden Menge dar. Zu dieser Menge rechnete der Staatsanwalt auch den Angeklagten. Er musste sich also im Wesentlichen nur wegen seines angeblichen Aufenthalts in einer Menge verantworten, aus der heraus Straftaten begangen worden sein sollen.
Das Strafmaß, das die Anklagebehörde forderte, bemaß sich auch nach einem zweiten Fall, der parallel vor Gericht gegen den Angeklagten verhandelt wurde. Die Verteidigung bezweifelte die Glaubwürdigkeit eines vom Gericht am 1. Oktober vernommenen Polizeibeamten. Er war 2011 in Dresden im Einsatz und will den Angeklagten dort identifiziert haben, wie er nun viereinhalb Jahre später angab. Der Verteidiger monierte, dass die Behauptung, dass der Angeklagte überhaupt vor Ort war, allein auf der seiner Ansicht nach unglaubwürdigen Aussage des Polizeibeamten beruhte. Überdies gebe es keinerlei Beweise dafür, dass der Angeklagte Straftaten begangen hätte. Der Verteidiger forderte Freispruch.
Die Richterin hielt den Beamten jedoch für glaubwürdig. Sie zeigte sich bestürzt über Ausschreitungen von DemonstrantInnen in Dresden. Einen politischen Blick auf die Nazi-Aufmärsche jeweils zum Jahrestag des Bombenabwurfs 1945 auf Dresden lehnte sie ab. Sie missbilligte auch öffentlich das Schlusswort des angeklagten Antifaschisten in der Hauptverhandlung. Er hatte den politischen Kampf gegen Europas größten Aufmarsch von Faschisten im Jahr 2011 in Dresden als notwendig bezeichnet. Die Polizei hatte an diesem Tag jedoch Einiges daran gesetzt, den geplanten Neonazi-Aufmarsch zu ermöglichen.
Siehe auch „Zuspruch für angeklagten Antifaschisten“
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