Von Ursel Beck – Stuttgart. Aktive aus Mieterinitiativen fordern von der Stadt Stuttgart, für Wohnungssuchende Spekulationsobjekte zu beschlagnahmen, statt Flüchtlinge in Turnhallen unterzubringen. Konkret ging es ihnen bei einer Aktion am Montag, 19. Oktober, um ein großes, noch gut erhaltenes Gebäude in der Haußmannstraße 4-6 in der Stuttgarter Innenstadt.
Das Gebäude steht schon seit zwei Jahren leer. Ein Teil des Hauses ist ein typischer Altbau. Er dürfte mit Sicherheit als Wohngebäude errichtet und irgendwann in ein Büro umgewandelt worden sein. Der Großteil des Gebäudes war von Anfang an Büro. Das Haus hat eine hervorragende Bausubstanz. Es gibt 100 große Zimmer, Aufzüge, auf jedem Stock eine Küche, zusätzliche Behinderten-WCs. Hier könnten mehr als 100 Menschen barrierefrei wohnen.
Doch der Eigentümer, die Bietigheimer Wohnbau, will das Gebäude abreißen und „exklusive Eigentumswohnungen“ bauen. Dagegen haben Aktive aus den Mieterinitiativen Stuttgart, vom Mietertreff Ost und der Gruppe Leerstandsmelder am 19. Oktober protestiert. Ihr Motto: „Spekulationsobjekte beschlagnahmen statt Turnhallen belegen“. Unterstützt wurde die Aktion von der Gemeinderatsfraktion SÖS-LINKE-Plus. So zum Beispiel von Stadtrat Tom Adler oder Stadtrat Christian Walter mit einem kurzen Grußwort bei der Kundgebung.
Eigentümer droht mit Anzeige wegen Hausfriedensbruchs
Nach einem Bericht der Stuttgarter Zeitung vom 22. Oktober will die „Bietigheimer Wohnbau“ nach der Aktion nun Anzeige wegen Hausfriedensbruchs gegen Tom Adler und eventuell weitere Personen erstatten. Adler soll am Tag nach der Demonstration ein Video mit Aufnahmen aus dem Inneren des Bürohauses an Journalisten verschickt haben. Es stand eine Zeitlang auf Youtube, wurde aber inzwischen entfernt.
Gegenüber der Stuttgarter Zeitung soll der Stadtrat bestätigt haben, ohne Erlaubnis des Eigentümers in dem Gebäude gewesen zu sein. Adler sehe sich jedoch im Recht: Nicht die Besichtigung eines leer stehenden Gebäudes gehöre geahndet, sondern die Spekulation für Luxuswohnungen. Eine Anzeige würde das dafür sorgen, dass das Thema in der Diskussion bleibe.
TeilnehmerInnen der Montagsdemo gegen S 21 solidarisch
Der Fraktionsvorsitzende Hannes Rockenbauch informierte in seiner Rede bei der Montagsdemo gegen Stuttgart 21 über die Aktion und forderte die MontagsdemoteilnehmerInnen auf, nach ihrer Demo zur Unterstützung der Aktion in die Haußmannstraße zu gehen. An dem Gebäude wurde neben dem Werbeplakat für „Exklusive Eigentumswohnungen“ ein riesiges Transparent mit der Aufschrift „100 leerstehende Zimmer – sofort beschlagnahmen für Wohnungssuchende, Geflüchtete, Studierende“ aufgehängt. Andere Aktive hatten 1000 Flyer bei der Montagsdemo verteilt.
Nach der Montagsdemo schwoll der Kreis der DemonstrantInnen vor dem Gebäude auf 80 Menschen an. Viele PassantInnen erklärten ihr Unverständnis über den Leerstand und den Bau von exklusiven Eigentumswohnungen. Vor dem Haus gab es eine kurze Kundgebung. Die Redner informierten nochmals über den Zustand des Gebäudes und erhoben die Forderung, das Gebäude für Wohnzwecke zu beschlagnahmen.
Leerstand bekämpfen statt Flüchtlinge
Es wurde auch darauf hingewiesen, dass das Haus kein Einzelfall ist, sondern exemplarisch für tausende von ähnlichen Gebäuden in Stuttgart. Es wurde dazu aufgerufen, die SWSG-Mieterinitiativen im Kampf gegen eine geplante Mieterhöhung zu unterstützen und dafür zu einer Protestkundgebung am Montag, 27. Oktober, um 17.30 Uhr vor das Rathaus zu kommen. Die Anwesenden wurden aufgefordert, Leerstände auf www.leerstandsmelder.de/stuttgart zu melden.
In Stuttgart stehen nach offiziellen Zahlen 11 400 Wohnungen und 283 000 Quadratmeter Büroflächen leer. Hinzu kommen tausende leerstehende sonstige Laden- und Gewerbeflächen.
Würde nur die Hälfte der leerstehenden Wohnungen belegt und die freien Büroflächen zu Wohnzwecken umgebaut, könnten in Stuttgart mindestens 30 000 Menschen zusätzlich ein Dach über dem Kopf bekommen, ohne dass eine einzige Wohnung neu gebaut werden müsste.
Turnhallen zum Wohnen besser geeignet als Büros?
Die Stadt könnte den Leerstand beschlagnahmen. Und das wäre auch dringend nötig, um die 4000 Wohnungssuchenden in der städtischen Vormerkdatei zu versorgen. Es wäre auch nötig, um die wachsende Zahl der Studierenden unterzubringen. Und es wäre nötig, um den Flüchtlingen eine Bleibe zu geben. Stattdessen will die Stadt 83 Millionen Euro ausgeben, um 4000 Flüchtlinge für zwei Jahre in sogenannten Systembauten in isolierten Gebieten einzuquartieren.
Zusätzlich werden Turnhallen mit Flüchtlingen belegt. Auf Facebook schrieb das „Team Fritz Kuhn“: „Die Stadt teilt die Ansicht von Stadtrat Adler nicht. Das Gebäude in der Haußmannstraße war ein Büro. In Büros kann und darf man nicht wohnen.“ Es fehlt nur noch der Zusatz: „Bei Turnhallen ist das anders. Sie sind Multifunktionsräume. Deshalb können und dürfen Flüchtlinge hier wohnen.“ Die Stadt äußerte sich inzwischen auch in einer Pressemitteilung: Sie könne nicht sagen, ob das Gebäude in seinem jetzigen Zustand überhaupt zum Wohnen geeignet wäre. Dem SWR gegenüber hatte sie erklärt, es sei generell nicht daran gedacht, Wohnraum zu beschlagnahmen.
Unser Kommentar: Die Haußmannstraße 4-6 zeigt: das Problem sind nicht die Flüchtlinge. Das Problem ist die Spekulation mit Immobilien und Politiker, die mit der Immobilienwirtschaft verfilzt sind. Das muss gerade in Zeiten von wachsendem Rassismus deutlich gemacht werden. Nicht nur in Stuttgart.
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