Heidelberg. Eine juristische Niederlage für die Polizei auf ganzer Linie: Nach einem Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe war der Spitzel-Einsatz des verdeckten Ermittlers „Simon Brenner“ im Jahr 2010 in der linken und antifaschistischen Szene Heidelbergs in jeder Hinsicht rechtswidrig (siehe Heftige Klatsche für die Polizei). Sieben Betroffene hatten geklagt. Das Verwaltungsgericht legte jetzt die schriftliche Urteilsbegründung vor. Der Arbeitskreis Spitzelklage fordert Konsequenzen.
Neun Monate lang hatte „Simon Brenner“ im Jahr 2010 Hunderte von AktivistInnen bis ins Privatleben hinein ausgeforscht – selbst Freunde und Eltern der Betroffenen. Er hatte sich mit falschen Papieren als Germanistikstudent an der Uni Heidelberg immatrikuliert und in linke Gruppen eingeschlichen. „Brenner“ fertigte Dossiers und erstattete seinen Auftraggebern – dem baden-württembergischen Landeskriminalamt und der Heidelberger Polizei – regelmäßig umfassend Bericht.
„Brenner“ wurde nur durch Zufall enttarnt
Das wertete der Heidelberger Arbeitskreis Spitzelklage als Eingriff in elementare Grundrechte mit geheimdienstlichen Methoden – allein mit dem Ziel, Daten über linke Gruppen wie die Antifaschistische Initiative Heidelberg (AIHD) und Einzelpersonen zu erheben. Enttarnt wurde „Brenner“ nur durch einen Zufall im Dezember 2010. Sieben Opfer der Bespitzelung legten stellvertretend für viele andere Klage ein. Nur einer der Betroffenen war namentlich in der Einsatzanordnung des Ermittlers aufgeführt.
Das Verwaltungsgericht Karlsruhe gab den Klagen vollumfänglich statt und verurteilte das Land Baden-Württemberg, die Verfahrenskosten zu tragen. Die „erforderlichen formellen und materiellen Voraussetzungen für den Einsatz eines Verdeckten Ermittlers“ hätten nicht vorgelegen. Die vom beklagten Land vorgelegten Unterlagen hätten nicht die Annahme gerechtfertigt, dass von dem Kläger, dem die Bespitzelung laut Anordnung galt, eine konkrete Gefahr für Rechtsgüter wie Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person oder für bedeutende fremde Sach- und Vermögenswerte ausgegangen sei, die einen solchen Einsatz rechtfertigen könnte.
Antifaschistische Initiative nicht gewaltverdächtig
Auch fehle es „an konkreten Feststellungen zu der behaupteten Gewaltbereitschaft der Antifaschistischen Initiative Heidelberg“ (AIHD). Eine vom genannten Kläger ausgehende konkrete Gefahr lasse sich auch nicht daraus ableiten, dass er bei einer Demonstration in Sinsheim im September 2009 mit jemandem zusammengestanden habe, der zur Anarchistischen Initiative Kraichgau-Odenwald gehören soll und in dessen Wohnung im November 2009 Molotow-Cocktails gefunden worden seien.
Der Arbeitskreis Spitzelklage (AKS) erwartet nun eine öffentliche Stellungnahme des baden-württembergischen Innenministeriums. Es hatte die Aufklärung jahrelang behindert und die Sperrung von Akten mit einer besonders schweren Bedrohung des „Rechtsfriedens“ legitimieren wollen. Dabei sprach es sogar von der angeblichen „Herausbildung einer terroristischen Vereinigung“. Außerdem fordert der Arbeitskreis personelle Konsequenzen bei der Heidelberger Polizei, die den Einsatz angeordnet hatte.
Urteil ist Sand im Getriebe
Über die Bedeutung des Urteils macht sich der Arbeitskreis Spitzelklage allerdings nichts vor: „Für den AKS ist das Urteil ein Sack Sand im Getriebe des Repressionsapparats, der sich für allmächtig hält und seine Befugnisse im Verborgenen immer weiter ausbaut“, heißt es in einer Erklärung (siehe unten). „Nur durch Zufall wurde die polizeibehördliche Ausforschungs- und Kriminalisierungsmaßnahme aufgedeckt, und nur der Geduld und Beharrlichkeit der sieben KlägerIinnen ist es zu verdanken, dass der Spitzel-Einsatz verwaltungsgerichtlich für unrechtmäßig erklärt wurde. Der AKS dankt nochmals allen, die vom Zeitpunkt der Enttarnung an über mehrere Jahre hinweg ihre Solidarität mit den Betroffenen gezeigt und permanent wertvolle Unterstützungsarbeit auf vielen Ebenen geleistet haben.“
siehe auch unsere früheren Artikel:
Heftige Klatsche für die Polizei
Keine Stasi-Methoden am Neckar!
Die Pressemitteilung des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 29. Oktober 2015 zur Urteilsbegründung im Wortlaut:
Kurzbeschreibung: Heidelberg: Einsatz eines Polizeibeamten als Verdeckter Ermittlers war rechtswidrig
In Bezug auf die sechs weiteren Klägerinnen und Kläger, die in den Einsatzanordnungen nicht namentlich genannt worden waren, machte das beklagte Land im Prozess geltend, deren Klage sei bereits unzulässig, weil der Einsatz des Verdeckten Ermittlers nicht gegen sie gerichtet gewesen sei. Hinsichtlich des Klägers im Verfahren 4 K 2107/11 sei der Einsatz deswegen gerechtfertigt gewesen, weil im Jahr 2009 bundesweit und auch in Heidelberg ein weiterer Anstieg der Fallzahlen im Bereich der politisch motivierten Kriminalität festzustellen gewesen sei, insbesondere im Bereich der linksmotivierten Straftaten. Der Einsatz habe sich ausschließlich gegen Personen der linksextremistischen Szene gerichtet, die entsprechenden Gruppierungen nahegestanden hätten beziehungsweise deren Führungspersonal zuzurechnen gewesen seien. Zwei dieser Gruppierungen seien die Antifaschistische Initiative Heidelberg und die Anarchistische Initiative Kraichgau-Odenwald. Neben einer Reihe von Ereignissen im Zusammenhang mit Demonstrationen im Zeitraum Juli 2009 bis November 2010 sei auf einen Vorfall am 04.11.2009 zu verweisen. Anlässlich einer Hausdurchsuchung in Räumlichkeiten der „Anarchistischen Initiative Kraichgau-Odenwald“ seien unter anderem sieben gebrauchsfertige Brandsätze (Molotow-Cocktails) sichergestellt worden. Angesichts einer anhaltenden Rechts-Links-Konfrontation im Raum Heidelberg/Rhein-Neckar-Kreis habe zwingend ein Aufklärungsbedürfnis zur weiteren Erforschung der konkret vorliegenden Gefahrenlage bestanden. Wegen der intensiven szenentypischen Abschottung insbesondere gegenüber den Ermittlungsbehörden sei nur noch der Einsatz verdeckter Ermittler erfolgversprechend gewesen.
Dieser Argumentation ist die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts nicht gefolgt und hat den auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Einsatzes gerichteten Anträgen sämtlicher Klägerinnen und Kläger entsprochen. Im Verfahren des Klägers, der in den Einsatzanordnungen namentlich benannt war (4 K 2107/11), führte die Kammer aus, dass die nach Maßgabe von § 22 PolG erforderlichen formellen und materiellen Voraussetzungen für den Einsatz eines Verdeckten Ermittlers gegen diesen Kläger nicht vorlagen. Es fehle an der hinreichenden Bestimmtheit hinsichtlich des eingesetzten Mittels, insbesondere ließen die dem Gericht vorliegenden Kopien der Einsatzanordnungen offen, wer konkret als Verdeckter Ermittler eingesetzt gewesen sei. Der Einsatz des Verdeckten Ermittlers erweise sich aber auch als materiell rechtswidrig. Die vom beklagten Land vorgelegten Unterlagen rechtfertigten nicht die Annahme, dass von diesem Kläger eine konkrete Gefahr für eines der in § 22 Abs. 3 Nr. 1 PolG genannten Rechtsgüter (Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person oder für bedeutende fremde Sach- und Vermögenswerte) ausgegangen sei.
So fehle es an konkreten Feststellungen zu der behaupteten Gewaltbereitschaft der Antifaschistischen Initiative Heidelberg. Eine vom Kläger ausgehende konkrete Gefahr lasse sich auch nicht daraus ableiten, dass dieser anlässlich einer Demonstration in Sinsheim am 19.09.2009 bei einer der Anarchistischen Initiative Kraichgau-Odenwald zugerechneten Person gestanden habe, in dessen Wohnung am 04.11.2009 die Molotow-Cocktails gefunden worden seien. Eine konkrete Verbundenheit des Klägers mit dieser Person beziehungsweise mit der Anarchistischen Initiative Kraichgau-Odenwald sei in den vom beklagten Land überlassenen Unterlagen nicht dokumentiert. Letztlich aus den gleichen Gründen lägen auch die Voraussetzungen für eine Datenerhebung nach § 22 Abs. 3 Nr. 2 PolG, also zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung, nicht vor.
Die Klagen der weiteren sechs Klägerinnen und Kläger hat die 4. Kammer für zulässig erachtet. Dem stehe nicht entgegen, dass diese Klägerinnen und Kläger in den Einsatzanordnungen nicht als eine der Personen genannt seien, gegen die sich der Einsatz des Verdeckten Ermittlers habe richten sollen. Diese Kläger hätten – unwidersprochen – vorgetragen, dass sie nicht nur gelegentlichen, sondern intensiven Kontakt mit dem Verdeckten Ermittler gehabt hätten, woraus folge, dass dem Verdeckten Ermittler zwangsläufig Daten über diese Kläger bekannt geworden sein müssten. Die Klagen der weiteren Klägerinnen und Kläger seien auch begründet. Aufgrund der glaubhaften Angaben eines der Kläger in der mündlichen Verhandlung sei das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass der Verdeckte Ermittler über sämtliche weiteren Kläger persönliche Daten erhoben und an das Landeskriminalamt weitergegeben habe. Der darin zu sehende Grundrechtseingriff sei mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig gewesen. Die Einsatzanordnung vom 25.02.2010 und deren Verlängerungen erfassten die weiteren Klägerinnen und Kläger nicht. Die Datenerhebung über sie lasse sich auch nicht auf § 22 Abs. 4 PolG stützen, wonach Daten auch dann nach § 22 Abs. 3 PolG – also auch durch Einsatz Verdeckter Ermittler – erhoben werden dürften, wenn Dritte unvermeidbar betroffen würden. Dies setze jedenfalls voraus, dass hinsichtlich einer Ziel- beziehungsweise einer Kontakt-/Begleitperson eine Erhebung von Daten rechtmäßig angeordnet worden sei. Dies sei hier nicht der Fall; denn die hierfür allenfalls in den Blick zu nehmende Einsatzanordnung vom 25.02.2010 und deren Verlängerungen seien aus den im Verfahren 4 K 2107/11 dargelegten Gründen formell und materiell rechtswidrig gewesen.
Die Urteile vom 26.08.2015 (Az.: 4 K 2107/11 bis 4 K 2113/11) sind nicht rechtskräftig. Der Beklagte kann innerhalb eines Monats nach Zustellung die Zulassung der Berufung gegen diese Urteile beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg beantragen.
Kommuniqué des Arbeitskreises Spitzelklage Heidelberg vom 3. November 2015 zum schriftlichen Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe: Der Einsatz des Polizeibeamten Simon Bromma als Verdeckter Ermittler war formal und materiell rechtswidrig!
Sieben vom Einsatz des Verdeckten Ermittlers (VE) Simon Bromma betroffene Personen aus Heidelberg hatten am 08.08.2011 Fortsetzungsfeststellungsklage beim Verwaltungsgericht Karlsruhe (VG KA) erhoben, um dort diese weit reichende polizeiliche Repressionsmaßnahme für rechtswidrig erklären zu lassen. Mehr als vier Jahre später hatte nun am 26.08.2015 vor diesem Gericht die von starkem medialen Interesse begleitete Hauptverhandlung in Sachen Spitzel-Skandal stattgefunden; auf der einen Seite die Kläger*innen mit ihrem prozessbevollmächtigten Rechtsanwalt Martin Heiming, auf der anderen Seite das beklagte Bundesland Baden-Württemberg (vertreten durch das Polizeipräsidium Mannheim). Nochmals zwei Monate später hat nun die an der Verwaltungsrechtssache Beteiligten das schriftliche Urteil erreicht: Darin beschließt die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Karlsruhe, dass der gegen alle Kläger*innen „gerichtete Einsatz des Polizeibeamten Simon Bromma als Verdeckter Ermittler mit dem Decknamen Simon Brenner in der Zeit von – mindestens – April 2010 bis zum 12.12.2010“ formal und materiell rechtswidrig war und der Beklagte die Kosten des Verfahrens zu tragen habe. Damit ist den Klagen vollumfänglich stattgegeben worden.
Das VG KA sah es nicht nur als erwiesen an, dass die von der Polizeidirektion Heidelberg erlassene Einsatzanordnung auf § 22 Polizeigesetz Baden-Württemberg („Besondere Mittel der Datenerhebung“) schon allein aus formalen Gründen nicht in Anschlag hätte gebracht werden dürfen, sondern auch, dass die vom beklagten Land vorgelegten, per innenministerialer Sperrung zu großen Teilen geschwärzten Unterlagen in keiner Weise die Annahme rechtfertigen, dass von der ebenfalls klagenden Zielperson des Spitzel-Einsatzes „eine Gefahr für Leben, Gesundheit und Freiheit einer Person oder für bedeutende fremde Sach- und Vermögenswerte“ ausgegangen sei oder in Zukunft ausgehen werde. Laut VG KA fehle es nicht nur „an der hinreichenden Bestimmtheit hinsichtlich des eingesetzten Mittels“, das methodisch über das baden-württembergische Polizeigesetz geregelt werde, sondern auch an „konkreten Feststellungen zu der behaupteten Gewaltbereitschaft der Antifaschistischen Initiative Heidelberg“, zu deren „Führungspersonen“ die klagende Zielperson polizeibehördlich gezählt werde. Eine von diesem Heidelberger Antifaschisten ausgehende „konkrete Gefahr“ lasse sich auch nicht aus allen anderen in der Einsatzanordnung vorgebrachten Hinweisen ableiten. Voraussetzungen für eine „Datenerhebung“ nach § 22 Abs. 3 Nr. 2 PolG, also zur vorbeugenden Bekämpfung von Straftaten mit erheblicher Bedeutung, lägen demnach definitiv nicht vor.
Auch die Klagen der weiteren sechs Kläger*innen, die im Gegensatz zur Zielperson in der Heidelberger Einsatzanordnung namentlich nicht aufgeführt worden seien, erachtete das VG KA unter Vorsitz von Richterin Mayer für zulässig und begründet. Der VE habe – nach Anhörung der Betroffenen vor der Kammer – nachweislich „intensiven Kontakt“ zu diesen Personen gehabt und über sie „persönliche Daten erhoben und an das Landeskriminalamt weitergegeben“. Laut Pressemitteilung des VG KA vom 29.10.2015 sei „der darin zu sehende Grundrechtseingriff … mangels Rechtsgrundlage rechtswidrig gewesen“.
Dieses auf allen beklagten Ebenen eindeutige Urteil stellt vor allem für die Kläger*innen, aber auch für alle, die sich in den letzten Jahren solidarisch mit ihnen erklärt und öffentlichkeitswirksame Unterstützungsarbeit geleistet haben, einen Sieg auf ganzer Linie dar.
Die Heidelberger Polizeibehörde mutierte hier zur politischen Akteurin, die unter umfassender Anwendung personalisierter geheimdienstlicher Methoden „Aufhellungsarbeiten“ in der antifaschistischen Szene durchführte. Das VG KA hat mit enormem Nachdruck festgehalten, dass sich der Polizeiapparat hier in einen von Willkürmaßnahmen geprägten rechtsfreien Raum begeben habe. Die im demokratischen Rechtsstaat BRD verbürgten Grundrechte einer sehr großen Anzahl von Menschen sind für einen bedeutenden Zeitraum ausgehebelt worden – und das ohne das Wissen der Betroffenen! Insbesondere waren dies in erheblichem Maße die Grundrechte auf Achtung der Menschenwürde, der Willens- und Handlungsfreiheit und der informationellen Selbstbestimmung, der freien Meinungsäußerung, der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit sowie der Unverletzlichkeit der Wohnung.
Das VG KA ist darüber hinaus der Meinung, dass sich aus den ihm vorliegenden Kopien der Einsatzanordnung mit bestem Willen nicht „herauslesen“ lasse, wie viele Verdeckte Ermittler*innen (VE) denn überhaupt im Zeitraum zwischen November 2009 und Dezember 2010 in Heidelberg und Umgebung eingesetzt und ob die dabei in umfassendem Maße durchgeführten Ermittlungen ausschließlich von Polizeibeamt*innen „bewerkstelligt“ worden seien. Dies bestätigt die bestehenden Zweifel, außer dem bekannt gewordenen Fall könnten weitere Ermittler*innen im Einsatz gewesen sein – oder noch immer sein. Ebenso wenig lassen sich Verstrickungen mit dem Verfassungsschutz ausschließen. Beispielsweise hat sich im neuesten VE-Einsatz-Skandal in Hamburg (Der Fall Maria Böhmichen/Maria „Block“) mittlerweile herausgestellt, dass die in die linke Szene der Hansestadt eingeschleuste Beamtin ihre Berichte „automatisch“ auch beim Hamburgischen Verfassungsschutz abgeliefert und so in eklatanter Weise gegen das Trennungsgebot verstoßen habe. Ohne es auf einer gerichtsfesten Basis jemals feststellen lassen zu können, müssen wir auch im Heidelberger Fall davon ausgehen, dass Simon Bromma auch den baden-württembergischen Inlandsgeheimdienst datentechnisch „beliefert“ hat.
Die rigorose Blockadepolitik der grün-roten Landesregierung, des sozialdemokratisch geführten Innenministeriums (unter Reinhold Gall) und des reaktionären Polizeipräsidiums Mannheim muss spätestens jetzt ein Ende haben. Alle Betroffenen müssen erfahren, in welchem Ausmaß ihre Grund- und Persönlichkeitsrechte mit Füßen getreten wurden und wo die über sie gesammelten Daten gelandet sind. Die Sperrung der Akten durch das baden-württembergische Innenministerium muss zurückgenommen werden. Wenngleich das Urteil des VG KA für die Betroffenen eine große rehabilitierende Wirkung hat, kann es nur einen ersten unvollkommenen juristischen Ausgleich darstellen. Von diesem in seiner Deutlichkeit doch überraschenden VG-Urteil geht aber nichtsdestotrotz ein klares politisches Signal aus: Die zunehmende staatliche Überwachung der Gesellschaft und insbesondere der politisch aktiven Zusammenhänge hat eine Dimension erreicht, die mit den Grundrechten einer vermeintlich „freien Gesellschaft“ nicht mehr in Einklang zu bringen ist und selbst das Koordinatensystem des „wehrhaft-demokratischen“ Institutionengefüges in massive Schieflage bringt. Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, dass so etwas in Zukunft nicht mehr möglich ist.
Vor dem Hintergrund der nunmehr gerichtsfesten Rechtswidrigkeit des offensichtlich politisch motivierten Polizeieinsatzes in Heidelberg erwartet der Arbeitskreis Spitzelklage (AKS) nun nicht nur eine öffentliche Stellungnahme des baden-württembergischen Innenministeriums, das sich zur Legitimierung ihrer Sperrerklärung vom Dezember 2011 (nach § 99 VwGO) eine besonders schwere Bedrohung des „Rechtsfriedens“ und sogar die Herausbildung einer terroristischen Vereinigung herbei halluziniert hatte, sondern auch personelle Konsequenzen bei der den Einsatz anordnenden Heidelberger Polizei. Seit dem 29. Oktober 2015 haben wir es schwarz auf weiß: Der Leitende Kriminaldirektor Bernd Fuchs hat eine formal und materiell rechtswidrige polizeiliche Maßnahme in die Wege geleitet, um sich qua erhoffter Kriminalisierung einer aus seiner Sicht politisch missliebigen Antifa-Szene zu entledigen; bei der Heidelberger Staatsschutzabteilung der Kriminalpolizei sind von Simon Bromma „gewonnene“ Daten über eine große Anzahl von Menschen aus der gesamten linken Szene abgelegt worden, mit denen sich detaillierte Bewegungsprofile erstellen ließen; der seit 2009 für politische Aufzüge zuständige Leiter des Reviers Mitte, Polizeioberrat Christian Zacherle, hat – bestätigt auch durch die vor mehr als 20 Menschen getroffenen Aussagen des Polizeibeamten mit dem Decknamen „Brenner“ am 12.12.2010 in der Heidelberger Altstadt – nachweislich mindestens einen größeren Einsatz mit Simon Bromma abgesprochen – und zwar jenen beim so genannten Heldengedenken auf dem so genannten Ehrenfriedhof in Heidelberg, als am 14.11.2010 ein martialisches Polizeiaufgebot jeglichen antifaschistischen Widerstand dagegen bereits im Keim erstickte.
Für den AKS ist das Urteil ein Sack Sand im Getriebe des Repressionsapparats, der sich für allmächtig hält und seine Befugnisse im Verborgenen immer weiter ausbaut. Nur durch Zufall wurde die polizeibehördliche Ausforschungs- und Kriminalisierungsmaßnahme aufgedeckt, und nur der Geduld und Beharrlichkeit der sieben Kläger*innen ist es zu verdanken, dass der Spitzel-Einsatz verwaltungsgerichtlich für unrechtmäßig erklärt wurde. Der AKS dankt nochmals allen, die vom Zeitpunkt der Enttarnung an über mehrere Jahre hinweg ihre Solidarität mit den Betroffenen gezeigt und permanent wertvolle Unterstützungsarbeit auf vielen Ebenen geleistet haben. Ohne diese solidarischen Menschen hätte dieser Sieg vor Gericht nicht errungen werden können. Auch künftig wird sich der Arbeitskreis Spitzelklage Heidelberg gegen den Einsatz Verdeckter Ermittler*innen und die Überwachung linker Aktivist*innen einsetzen – eine dringende Notwendigkeit, wie die immer wieder bekannt werdenden Fälle von unrechtmäßigen Spitzel-Einsätzen zeigen.
Für eine umfassende Aufklärung des Spitzeleinsatzes in Heidelberg!
Solidarität mit allen von Bespitzelung betroffenen linken Aktivist*innen!
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