Von unseren Reportern – Stuttgart. Sahra Wagenknecht, die Fraktionsvorsitzende aus Berlin, hatte im gut gefüllten Cannstatter Kursaal einen umjubelten Auftritt. Auch Spitzenkandidat Bernd Riexinger bekam immer wieder Szenenapplaus: Die baden-württembergische Linke zeigte sich bei ihrem Auftakt zum Landtagswahlkampf am Mittwoch, 4. November, kämpferisch und voller Zuversicht. Dieses Mal will sie den Einzug in den Landtag schaffen, um Druck für eine sozialere Politik und mehr Gerechtigkeit zu machen. An Diskussionen über die Abschreckung von Flüchtlingen will sich die Linke nicht beteiligen.
Im Foyer standen Infotische, gut 450 ZuhörerInnen drängten sich am frühen Abend im Saal. Der Zuzug von Flüchtlingen, waren sich die Redner einig, macht Probleme deutlich, die es eigentlich schon lange gab. Entstanden sind sie durch die Spar- und Umverteilungspolitik der letzten Jahre. Die Linke sieht die neue Herausforderung als Chance, das Steuer herumzureißen. „Flüchtlingen, Menschen in Not, muss geholfen werden. Punkt.“ Der Bundesvorsitzende der Linken Bernd Riexinger stellte klar, dass es mit seiner Partei keine Abstriche am Asylrecht geben werde und dass sie rechte Umtriebe bekämpfen wolle.
Riexinger: Ohne Umverteilung keine Reformen
Er könne das Gerede darüber, wie sich der Zustrom stoppen ließe, nicht mehr ertragen, sagte der Spitzenkandidat und frühere Gewerkschaftssekretär. Und überhaupt – immer nur Berichte über Probleme: „Gehen wir nach vorn, bauen wir Wohnungen, investieren wir in den öffentlichen Sektor, stellen wir Beschäftige in Krankenhäusern und Schulen ein“, forderte er unter Beifall. Eine gerechte Steuerpolitik mit Erbschafts- und Vermögenssteuern mache es möglich. Doch ohne Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums gebe es keine Reformen.
Die größte Aufmerksamkeit galt an dem Abend jedoch Sahra Wagenknecht. „Es läuft verdammt viel in Deutschland schief, und das muss sich ändern“, begann sie ihre frei gehaltene Rede. Der Einzug der Baden-Württemberg-Linken in den Landtag wäre auch ein Signal für den Bund. Es dürfe nicht sein, dass sich riesiger Reichtum in wenigen Händen anhäuft, für die Lebensqualität der Allgemeinheit jedoch Geld fehlt. „Es ist eine Herausforderung, wenn jetzt viele Menschen kommen“, sagte die Co-Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag. Jetzt rächten sich falsche Weichenstellungen: „Das hat mit dem ganzen verrückten Privatisierungswahn zu tun.“
Wagenknecht bezichtigt die SPD der Heuchelei
Vermögenssteigerungen der Reichsten von acht bis zehn Prozent jährlich „können wir uns nicht leisten. Das bezahlen alle“, stellte Wagenknecht klar. Deshalb kämpfe die Linke für eine andere Politik. Die Umverteilung von unten nach oben habe aber nicht nur mit einer verfehlten Steuerpolitik zu tun, bei der statt der Reichen und Vermögenden die Menschen mit mittlerem Einkommen und die Armen über die Verbrauchssteuern die Hauptlast tragen. Schuld sei auch die Situation am Arbeitsmarkt.
Es sei Heuchelei, wenn die SPD bei Gewerkschaftstagen verkünde, sie wolle höhere Arbeitseinkommen. „Sie haben doch mit ihren Reformen den Profitjägern den Roten Teppich ausgerollt“, empörte sich Wagenknecht. Beifall brandete auf, als sie ein Verbot der Leiharbeit und von Befristungen ohne Sachgrund forderte.
Der Kuchen ist nicht kleiner geworden
Die Arbeitsmarktreformen hätten die Gewerkschaften mehr und mehr arbeitskampfunfähig gemacht – daher die schlechte Lohnentwicklung in Deutschland. Sie seien „Angriffe auf alle Beschäftigten“. Man brauche wieder ordentliche Verhältnisse auf dem Arbeitsmarkt. Es gehe aber nicht nur um ein deutsches Problem, sondern um ein europäisches: „Ein Europa, das so vielen jungen Menschen keine Chance gibt, muss sich ändern oder wird kaputtgehen, und wir wollen nicht, dass es kaputt geht.“
Rentenkürzungen, stellte Wagenknecht klar, hätten nichts mit Demografie zu tun. Schließlich gebe es einen hohen Produktivitätszuwachs. Allerdings sei es schlimm, wenn Menschen auf Kinder verzichteten, weil sie das mit ihnen verbundene Armutsrisiko fürchten. „Der Kuchen ist doch nicht kleiner geworden, sondern das Problem ist, dass sich einige immer mehr von ihm abschneiden“, so die Rednerin: „Wenn der Kuchen gerecht verteilt wird, ist für alle genug da.“
Die Linke will das Geschäft mit dem Tod stoppen
Hart ging Wagenknecht mit der Außenpolitik der Bundesregierung ins Gericht. Es sei eine Gespensterdiskussion, über die Abschreckung von Flüchtlingen zu reden: „Wir werden als Linke in diesem Strom nicht mitschwimmen.“ Was derzeit in der Welt passiert, sei zu einem Großteil Ergebnis westlicher Politik. Nirgendwo sei es dabei darum gegangen, autoritäre Herrscher zu stürzen. „Das Stürzen von Diktatoren ist Aufgabe der Menschen in den jeweiligen Ländern“, stellte Wagenknecht klar.
Scharf kritisierte sie, dass die Bundesregierung zulässt, Kampfpanzer nach Katar zu liefern. „Sie werden Menschen im Jemen heimatlos machen und die Flüchtlingsströme vergrößern“, sagt Wagenknecht voraus. Sie forderte, das „Geschäft mit dem Tod“ zu beenden und Rüstungsexporte zu verbieten. Syrien komme auch deshalb nicht nur Ruhe, weil alle Konfliktparteien ständig hochgerüstet wurden. Die Türkei habe die ganze Zeit den IS unterstützt. Jetzt auch noch mit Präsident Recep Tayyip Erdogan als Verbündetem gegen die Flüchtlinge gemeinsame Sache zu machen, sei eine „humanitäre Bankrotterklärung“.
Wohnen ist ein Menschenrecht
Bernd Riexinger war der zweite Hauptredner des Abends. Er sprach von den Hoffnungen, die für viele Baden-Württemberger mit dem Regierungsantritt von Grün-Rot in Stuttgart verbunden waren und die nun fast alle enttäuscht seien. In einem reichen Land solle es eigentlich selbstverständlich sein, dass Kinder ohne Gebühren in die Kita gehen, erinnerte er die SPD an frühere Versprechen.
Wohnraum sei so rar wie eh und je. Er müsse zum Bestandteil der öffentlichen Daseinsvorsorge werden. Es sei geradezu ein Verbrechen gewesen, 25 000 Wohnungen an eine Heuschrecke zu verkaufen, die sie jetzt weitergereicht habe.
Die Linke will weiter gegen Stuttgart 21 opponieren
Die Grünen seien auch durch den Protest gegen Stuttgart 21 an die Macht gekommen und habe sich inzwischen arrangiert, erinnerte Riexinger an die Situation vor fünf Jahren. Die Linke wolle im Landtag „weiter gegen das Milliardengrab opponieren“. Mit sechs Milliarden Euro Mehrkosten ließe sich vieles finanzieren, was den Wohlstand aller mehrt, statt den Verkehr für ein Immobilien- und Spekulationsprojekt sogar zurück zu bauen.
„Wir brauchen endlich eine Partei, die mal über die Verkäuferinnen, über die Postler, über die Erzieherinnen redet“, begründete Riexinger, weshalb seine Partei in den Landtag will. Es sei „eine Unverschämtheit, dass Leute, denen wir unser Geld anvertrauen, mehr verdienen als Leute, denen wir unsere Kinder anvertrauen.“
Nils Schmid hat Wolfgang Schäuble rechts überholt
In einem reichen Land wie Baden-Württemberg dürfe es „überhaupt keine Armut geben“. Die Linke werde unsichere Arbeitsbedingungen zum Thema machen. Riexinger geißelte die Haltung des SPD-Finanz- und Wirtschaftsministers Nils Schmid, von dem man nichts über einen sozialen Ausgleich höre. Statt das soziale Gewissen der Regierung zu sein, sei es Schmid sogar gelungen, Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble beim Thema Erbschaftssteuern noch rechts zu überholen. „Wir werden im Landtag Druck für eine soziale Politik machen“, kündigte Riexinger an. Die Linke sei überdies die einzige Partei, die auch nach der Wahl auf keinen Fall gemeinsame Sache mit der CDU machen werde.
- Bernd Riexinger
Johanna Tiarks moderierte den Abend, Kandidatin für Sillenbuch, Möhringen,Vaihingen und Degerloch. Die 33-Jährige ist gelernte Gesundheits- und Krankenpflegerin und hat Pflegemanagement studiert. Über ihr berufspolitisches Engagement kam sie zur Politik. Die alleinerziehende Mutter fordert eine Aufwertung der Pflegeberufe. Neben der Gesundheitspolitik nannte sie den Kampf gegen Armut, besonders Kinderarmut, als Schwerpunkt. Auch Reiner Hofmann, ebenfalls Landtagskandidat in Stuttgart, sprach.
- Johanna Tiarks
- Reiner Hofmann
Rockenbauch fordert gerechte Verhältnisse in Stuttgart
Mit großem Beifall wurde Hannes Rockenbauch begrüßt, Kandidat im Wahlkreis Stuttgart I. Er schilderte anschaulich, wie er schon als Jugendlicher mit großen Hoffnungen auf eine bessere Welt zur Politik kam. Deshalb kandidiere er heute „bewusst als parteiloser Farbtupfer“ für die Linke. Die Grünen hätten sich der CDU angenähert, kritisierte Rockenbauch. „Sie haben ihren Anspruch als Menschenrechtspartei aufgegeben“ und ihre Wahlversprechen von vor fünf Jahren nicht gehalten: „Wo ist die Verkehrswende, das kostenlose Kita-Jahr, der demokratische Aufbruch?“
Er sei überzeugt, dass sich die Flüchtlingskrise meistern lässt. Man müsse aber zugeben, „dass unsere Politik gescheitert ist, dass wir mitverantwortlich sind“. Die soziale Infrastruktur zeige sich mit nur einem Prozent mehr Menschen in Stuttgart überfordert, weil sie „nach neoliberalem Prinzip kaputtgespart“ worden sei. Rockenbauch forderte unter starkem Beifall, die Umverteilung von unten nach oben zu stoppen und auch in Stuttgart gerechte Lebensverhältnisse zu schaffen.
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