Kreis Esslingen. Brandanschläge auf Asylunterkünfte, Gewalt gegen Flüchtlinge und ihre Unterstützer, Hetze und rechtspopulistische Demagogie, vermehrte Aktivitäten von Neonazis: Das alles gibt es auch in Baden-Württemberg. Um über die Situation zu informieren, unternahmen AntifaschistInnen aus der Region Stuttgart am Samstag, 7. November, eine Kundgebungstour im Kreis Esslingen. Stationen waren Wernau und Plochingen. Zu den Kundgebungen hatte die Antifaschistische Aktion Esslingen aufgerufen.
An beiden Orten versammelten sich am Samstagvormittag jeweils etwa 70 AntifaschistIinnen. Begleitet wurden sie von einem Aufgebot der Polizei, zu dem auch BFE-Beamte gehörten. Auch Zivilbeamte und der Staatsschutz war vor Ort.
Erste Station war Wernau. Am Quadrium sprachen Vertreter des Antifaschistischen Aktionsbündnisses Stuttgart und Region AABS, der Antifaschistischen Aktion Esslingen und der VVN-BdA (siehe unten im Wortlaut). Die Kundgebungsteilnehmer wurden von der Polizei zum Bahnhof begleitet, wo sie in den Zug nach Plochingen stiegen.
Dort waren am Einkaufssamstag mehr Menschen unterwegs. Am Fischbrunnen in der Marktstraße wurden ebenfalls Reden gehalten. Unter anderem hörten einige ältere Migranten aufmerksam zu und ließen sich Flyer geben. Die Antifa verteilte Mini-Schokoküsse und Mandarinen. Ein älterer Herr, der eine auffällige Einkaufstüte mit Deutschlandfahne trug, zeigte ebenfalls Interesse an der Kundgebung. Als ihn eine Aktivistin ansprach, erklärte er, die Ziele der AntifaschistInnen aus seinen Erfahrungen in der Nachkriegszeit heraus zu teilen. Diese Einkaufstütenart scheint in der Region beliebt zu sein, denn bereits in Wernau war ein Passant damit am Rande der Kundgebung unterwegs.
Zu einem Zwischenfall kam es, weil die Polizei glaubte, ein Kundgebungsteilnehmer hätte einen Schlagstock dabei. Sie verfolgte ihn im Pulk in ein Geschäft, in dem er einkaufen wollte. Es handelte sich aber nur um eine eingerollte rote Fahne, die er sich in den Hosenbund gesteckt hatte, um die Hände freizuhaben. Bis das geklärt war, riegelte die Polizei den Laden jedoch rund eine Viertelstunde ab. Dann lösten sich die Vorwürfe in Luft auf.
Anmerkung von Ferry Ungar:
Die Neonazis aus der Region ließen sich weder in Wernau, noch in Plochingen blicken. Sie hatten wohl nach den Ereignissen am Vortag in Uhingen (wir berichteten) kein Verlangen danach, sich gleich wieder zu blamieren. Diese Entwicklung zeigt auf, wie wichtig es ist, Faschisten entschieden entgegenzutreten. In Uhingen, in Wernau, in Plochingen. Einfach immer und überall!
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Der Redebeitrag des Antifaschistischen Aktionsbündnisses Stuttgart und Region AABS kann hier nachgelesen werden (bitte anklicken).
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Die Ansprache der Antifaschistischen Aktion Esslingen im Wortlaut:
Liebe Passantinnen und Passanten,
liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,
wir sind heute hier, um auf die anhaltenden Aktivitäten rechter Gruppierungen und Parteien im Kreis Esslingen aufmerksam zu machen.
Seit Ende 2013 traten Neonazis unter dem Namen „Freie Nationalisten Esslingen“, kurz FNES, in Erscheinung. Sie verteilten Flyer, beschmierten Wände mit rechten Parolen, brachten Sticker und Transparente an und bedrohten und griffen Menschen an, die nicht in ihr Weltbild passen. Seit einigen Wochen treten sie unter dem Label der Partei „Der dritte Weg“ auf. „Der dritte Weg“, eine rechte Partei aus Bayern, wurde 2013 als Nachfolgeorganisation des verbotenen Neonazi-Netzwerks „Freies Netz Süd“ gegründet und weitet sich zur Zeit auch nach Baden Württemberg aus. So verteilten auch die Faschisten rund um die ehemaligen FNES in den letzten Wochen, in einigen Städten des Landkreises Esslingen und Göppingen, Flyer „des dritten Wegs“, um rassistische Vorurteile zu schüren und gegen Flüchtlinge zu hetzen. Vor kurzem kam „der dritte Weg“ sogar bundesweit in die Schlagzeilen, als über ihre Homepage eine Karte von allen bestehenden und zu bauenden Flüchtlingsheimen verbreitet wurde – zusammen mit einem Aufruf, dort Aktionen gegen diese zu starten. Was mit solchen Aktionen gemeint ist, ist ziemlich deutlich. Sie fordern weitere Rassisten und faschistische Gruppen zu Angriffe auf Flüchtlinge und Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte auf.
Es sind jedoch nicht nur Mitglieder der ehemaligen FNES, die zur Zeit als „der dritte Weg“ in der Region aktiv werden. Verstärkt treten auch wieder Neonazis der mittlerweile verbotenen Autonomen Nationalisten Göppingen (ANGP) in Erscheinung und ordnen sich ebenfalls dem „dritten Weg“ zu. In Uhingen bei Göppingen, störten sie mehrere Bürgerversammlungen infolge und versuchten die anwesenden Bürgerinnen und Bürger gegen Flüchtlinge aufzuhetzen. Die ANGP war jahrelang die aktivste faschistische Gruppe Baden Württembergs, die deutschlandweit mit anderen Nazistrukturen vernetzt war. Von Januar bis August 2015 lief vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht ein Prozess wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Mehrere Mitglieder wurden unter anderem wegen Volksverhetzung, gefährlicher Körperverletzung und Verstößen gegen das Waffengesetz zu teilweise mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Zudem wird es noch Folgeprozesse geben, bei denen auch Mitglieder der ehemaligen FNES angeklagt werden.
Nicht nur „der dritte Weg“ ist zur Zeit in der Region aktiv. Weitere, auch etwas bekanntere Parteien, wie die NPD verteilen vermehrt Flyer mit rassistischer Flüchtlingshetze an Haushalte und verstärken ihre Aktivitäten. Die NPD hielt zum Beispiel im August diesen Jahres eine Kundgebung in Weilheim Teck bei Kirchheim, gegen das dortige Flüchtlingsheim, ab.
Faschistische und rechtspopulistische Parteien wie die AfD sammeln Unterschriften im Landkreis Esslingen, um bei den Landtagswahlen im Frühling 2016 antreten zu können und ihr rassistisches und faschistisches Gedankengut weiter in der Gesellschaft zu verbreiten und zu verankern.
Die verstärkte Deutschlandweite Hetze und die faschistische Ideologie von rechten Gruppierungen und Parteien, findet jedoch oftmals getarnt als „Nein zum Heim!“-Initiativen oder unter dem Deckmantel „Besorgter Bürger“ statt, um an der Mitte der Gesellschaft anzuknüpfen und die rechte Ideologie weiter zu verbreiten. So ist es auch nicht verwunderlich, dass es zur Zeit zu immer mehr Straftaten mit rassistischem Tatmotiven kommt. Ende August hatte die Polizei bereits über 500 Angriffe gegen Flüchtlinge und ihre Unterkünfte in diesem Jahr gezählt, die Dunkelziffer dürfte aber noch weitaus höher liegen. Darunter zählen ca. 80 Brandanschläge und über 90 körperliche Übergriffe gegenüber Geflüchteten. Im Laufe diesen Jahres fanden über 240 flüchtlingsfeindliche Kundgebungen und Demonstrationen in Deutschland statt. Diese sich entwickelnde Normalität der Gewalt gegen Geflüchtete, schafft ein Klima der Angst und Vorverurteilung.
Die Gesellschaft bewegt sich immer weiter nach rechts.
Immer häufiger werden wir Zeugen von rassistischer und fremdenfeindlicher Diskriminierung, sei es durch Äußerungen oder durch Übergriffe.
Entscheidend ist, an dieser Stelle einzuschreiten und rassistischem und faschistischem Gedankengut entschieden entgegen zu treten und nicht tatenlos zuzuschauen!
Wir stehen ein für ein solidarisches Miteinander ohne Ausgrenzung und Diskriminierung.
Werdet aktiv im Kampf gegen faschistische Organisationen und Parteien!
Für eine solidarische Gesellschaft!
Hoch die internationale Solidarität!
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Die Ansprache der VVN-BdA im Wortlaut:
Liebe Bürgerinnen und Bürger, liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,
rassistische und faschistische Hetze und Gewalt sind in der Bundesrepublik alltägliche Realität.
Allein im August diesen Jahres gab es nach Auskunft des Bundesinnenministeriums 1450 rechte registrierte Straftaten. Darunter viele gegen Geflüchtete. Sie reichen von Hetzparolen an bestehenden oder im Bau befindlichen Flüchtlingsunterkünften über Brandanschläge und körperliche Gewalt gegen Geflüchtete.
In Baden-Württemberg wurde im August in Weissach im Tal eine geplante Unterkunft niedergebrannt. Im September wurden vor einer Sammelunterkunft in Riedlingen Papiercontainer angezündet und Hakenreuze geschmiert. Weitere Brandanschläge gab es in Wertheim und in Oberteuringen am Bodensee.
Voraus geht dieser Gewalt zunehmende und offene Hetze in der Öffentlichkeit, in Onlineforen und auf der Straße.
Es handelt sich hierbei um ein Spektrum, das von einer sogenannten islamkritischen Bewegung, rechtskonservativen Parteien und „besorgten Bürgern“ reicht. In deren Schatten können Faschisten ungestört agieren.
Viele Politiker haben diesem Treiben lange, viel zu lange zugesehen. Vielmehr wurde und wird vielfach Verständnis geäußert. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel, der inzwischen erkannt hat, dass Pegida rechtsradikal ist, äußerte noch im Februar 2015 über Pegida: „Da waren ganz normale Dresdner mit ihren Alltagssorgen.“
Schon in den 90er Jahren ging den Pogromen eine „Das-Boot-ist-voll“-Rhetorik in Medien und Politik voraus. Auch heute wird in den Medien im Zusammenhang mit Geflüchteten stets bedenkenlos von einer „Flüchtlingskrise“ gesprochen.
Die AfD ruft im Vorfeld der Landtagswahlen 2016 unter anderem in Baden-Württemberg in martialischer Rhetorik zu einer „Herbstoffensive“ auf und zeichnet regelrechte Untergangsszenarien. Gewarnt wird vor einer „desaströsen Finanz- und Gesellschaftspolitik der etablierten Parteien“.
Auch im Kreis Esslingen ruft die AfD zu ihrer „Herbstoffensive“ auf. Am kommenden Montag spricht in Wendlingen der stellvertretende Sprecher der AfD Baden Württemberg Marc Jongen in Wendlingen zur „Flüchtlingskrise“.
Die AfD schürt Ängste. Die AfD betreibt soziale Demagogie. Sie wendet sich gegen gesellschaftliche Errungenschaften generell und im besonderen gegen das Asylrecht. Aus einer Wirtschaftskrise macht die AfD eine „Flüchtlingskrise“. Sie lenkt bewusst von der sozialen Frage ab und sie lenkt damit Hass und Unzufriedenheit gegen Geflüchtete.
Als VVN-Bund der AntifaschistInnen lehnen wir diese gefährliche Demagogie ab.
Die Menschen, die zu uns kommen, flüchten vor Kriegen, an denen Deutschland direkt oder indirekt beteiligt ist. Sie fliehen vor den Folgen einer ungerechten Wirtschaftsordnung, die von den reichen Ländern wie Deutschland mit Krieg und Waffengewalt aufrechterhalten wird und die Armut und Hunger zur Folge hat.
Viele Geflüchtete schaffen es nicht weiter als in eines ihrer Nachbarländer. Auf dem Weg übers Mittelmeer ertrinken Tausende. Und wenn sie die Festung Europa doch überwunden haben, erfahren sie vielerorts Schikanen, Ablehnung und Gewalt.
Wir solidarisieren uns mit Geflüchteten. Auch hier vor Ort gibt es mit dem „Lokalen Bündnis für Flüchtlinge in Plochingen“ (bzw. mit dem „Freundeskreis Flüchtlinge in Wernau“) und ähnlichen Initiativen im Kreis Beispiele der Solidarität. Wir stellen uns klar gegen die Ausgrenzung der Schwächsten. Wir stellen uns dagegen, die einheimische Bevölkerung gegen die Schutzbedürftigen, die von den Folgen einer ungerechten Wirtschaftsordnung am härtesten betroffen sind, auszuspielen.
Wir fordern ein Ende der Politik der Abschottung!
Die diskutierten „Tranistzonen“ an den deutschen Grenzen sind nichts weiter als Gefängniszonen. Wir wollen eine menschenwürdige Aufnahme und Unterbringung und Perspektiven für Geflüchtete!
Weiter fordern wir, dass die Hetze gegen Geflüchtete von Medien und Politik nicht weiter verharmlost und geschürt wird!
Außerdem fordern wir das längst überfällige Verbot der NPD und aller faschistischen Organisationen!
Wir sagen: Solidarität mit den Geflüchteten hier und überall!Refugees welcome!
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