Karlsruhe. 93 Euro fürs Wegtragen und 223 Euro Bußgeld: Das sollten AktivistInnen in Karlsruhe zahlen, die sich am 31. März 2015 an einer friedlichen Sitzblockade gegen Pegida beteiligten (siehe „Zulauf für Kargida bröckelt„). Das Amtsgericht Karlsruhe senkte am Montag. 16. November, den Bußgeldbescheid der Stadt auf 50 Euro plus Verfahrenskosten. Es stellte das Verfahren aber nicht ein. Derweil marschieren Pegida und Co. weiter – das nächste Mal am Dienstag, 17. November. Die Gegendemonstration beginnt um 17.30 Uhr auf dem Karlsruher Stephanplatz.
„Zivilgesellschaftliches Engagement gegen Rassismus wird in Karlsruhe bestraft“, haben die Betroffenen eine Pressemitteilung überschrieben. Am 31. März 2015 hatten ihr zufolge etwa 17 Personen „durch friedliches Sitzen“ auf der Amalienstraße/Ecke Hirschstraße gegen die rassistische und ausländerfeindliche Pegida und Co. protestiert.
Die Beteiligten wurden gleich mehrfach bestraft. Die Polizei erließ Kostenbescheide von je 93 Euro fürs Wegtragen. Und die Stadt Karlsruhe verhängte Bußgelder von 223 Euro wegen Nichtbefolgens eines angeblichen Platzverweises. Dagegen legten die Betroffenen Einspruch ein. Am Montag gab es die ersten Verhandlungen vor dem Amtsgericht Karlsruhe.
Offener Brief des Netzwerk gegen Rechts fruchtet nicht
Das Karlsruher Netzwerk gegen Rechts, dem über fünfzig Parteien und andere Organisationen angehören, hatte in einem offenen Brief gefordert, die Verfahren einzustellen – ebenso wie vor wenigen Tagen drei Fraktionen des Karlsruher Gemeinderats in einem Brief an Oberbürgermeister Frank Mentrup.
Die Betroffenen plädierten vor Gericht für die Einstellung der Verfahren. „Ich hoffe, dass meinem Einspruch stattgeben wird und nicht ein falsches Signal gesetzt wird, was all diejenigen abschreckt, die sich zukünftig für eine weltoffene Stadt engagieren möchten“, so Anete Wellhöfer bei ihrem Eingangsplädoyer vor Gericht.
Gericht stellt das Verfahren nicht ein
Das Gericht erkannte jedoch in beiden verhandelten Fällen nur an, dass das Bußgeld mit 223 Euro zu hoch bemessen war, und senkte es auf jeweils 50 Euro plus Verfahrenskosten. „Das Gericht hatte leider nicht den Mut, seinen Ermessensspielraum auszuschöpfen und die Verfahren einzustellen. Damit versäumte es die Gelegenheit, das friedliche, zivilgesellschaftliche Engagement von Karlsruher BürgerInnen gegen Neonazis und RassistInnen anzuerkennen“, so die Betroffenen enttäuscht.
Sie rufen dazu auf, Pegida und Co. weiterhin entgegen zu treten, wenn sie durch die Karlsruher Innenstadt marschieren. Sie wollen „Hooligans und verbalen Brandstiftern, die sich als besorgte Bürger ausgeben, nicht die Straße zu überlassen.“ Nächster Termin für die Gegendemonstration ist am Dienstag, 17. November, um 17.30 Uhr auf dem Stephanplatz.
Siehe auch unsere früheren Berichte aus Karlsruhe:
“Widerstand Karlsruhe” unerwünscht
Glocken entnerven “Widerstand”
„Widerstand Karlsruhe“ stagniert
“Widerstand Karlsruhe” versauert im Regen
Widerstand gegen Widerstand Karlsruhe
Vorwürfe gegen Karlsruher Polizei
**********************************************************************************************************
Wir dokumentieren nachstehend das Eingangsplädoyer von Anete Wellhöfer
Sehr geehrte Frau Vorsitzende,
Pegida, Kargida, Widerstand Karlsruhe, das ist uns allen ein Begriff, es steht für
Ausgrenzung, Rassismus, Hetze und Diffamierung.
Aktuelles Beispiel, laut dpa und SWR wurde bei der letzten Kundgebung von
Widerstand Karlsruhe, Angela Merkel in die Nähe Hitlers gerückt.
Getarnt als Spaziergänge, marschiert Pegida und Co seit Februar 2015 14-
tägig durch die Karlsruher Innenstadt. Ich finde das sehr beunruhigend.
Die Zahl der Angriffe auf Geflüchtete und Flüchtlingsunterkünfte ist dieses Jahr
extrem angestiegen. Nach einer aktuellen Statistik des Bundeskriminalamtes
kam es bundesweit bis zum 21.09.15 zu 437 Angriffen auf Geflüchtete und
Flüchtlingsunterkünfte, während es im Vorjahr „nur“ 170 waren. Bei den
Brandanschlägen auf Flüchtlingsheime liegt Baden-Württemberg an 3. Stelle.
Untersuchungen haben ergeben, dass solche Übergriffe insbesondere an Orten
stattfinden, an denen es kein zivilgesellschaftliches Engagement gegen
Rassismus und Ausländerfeindlichkeit gibt, dazu gab es auch themenbezogene
Sendungen von ARD und ZDF.
Viele Bürger und Bürgerinnen gehen gegen Pegida und Co auf die Straße und
sprechen sich gegen Rassismus aus. In vielen Städten sehen wir
Bürgermeister, Bürgermeisterinnen und Gemeinderäte an der Spitze der
Proteste. Z.B. gingen in Heidelberg ca. 3.000 Pegida Gegner und Gegnerinnen
auf die Straße, danach war Ruhe. Leider gab es diese Unterstützung so in
Karlsruhe nicht. Pegida und Co in Karlsruhe wurde massiv und über Monate
hinweg von Politik und Presse verharmlost.
Heute stehe ich vor Gericht, weil ich Einspruch gegen den Bußgeldbescheid der
Stadt Karlsruhe eingelegt habe. So wie ich Justiz verstehe, kommt es auf den
Einzelfall an und auf den Kontext.
In meiner Schulzeit haben wir uns von der 9 bis zur 12 Klasse intensiv mit
Faschismus beschäftigt, nie wieder Faschismus in Deutschland, das wollten uns
unsere Lehrer und Lehrerinnen lehren. Ich kann und will nicht zu Hause
bleiben und zusehen wie die Nazis und Rassisten hier erstarken, ihren Hass
ausbreiten. Es gibt auch einen gesellschaftlichen Konsens, sowohl in den
demokratischen Parteien, als auch bei den Bürger und Bürgerinnen und viele
nehmen die Aufmärsche der Nazis nicht einfach hin.
Politiker und Politikerinnen ermahnen doch immer wieder die Bevölkerung sich
den Nazis und Rassisten entgegen zu stellen.
Zitat Bundespräsident Gauck: „mutige Bürger, die nicht wegschauen, wenn
unser demokratisches und friedliches Miteinander im Alltag gefährdet wird.“
Hier sehe ich einen eklatanten Widerspruch zwischen der Aufforderung durch
die Politik an ihre Bürger und Bürgerinnen und der Umsetzung vor Ort durch
Polizei und Stadtverwaltung.
Am 31.03.15 setzten sich friedlich ca. 17 Menschen auf die Straße um ein
Zeichen gegen den rassistischen Aufmarsch zu setzen. Daraufhin rollte ein
unglaublich großes Polizeiaufgebot, behelmt usw. auf uns zu.
Wir wurden weg getragen und standen wartend ca. 2,5 Stunden bei der
Tankstelle, es war kalt und regnete immer wieder. Um ca. 22 Uhr wurde ich in
die Gesa gebracht obwohl der Pegida Aufmarsch schon vorüber war.
Ich wurde ca. um 23.30 Uhr entlassen und wartete noch auf eine 17 jährige
die kurz vor 24 Uhr entlassen wurde. Ich wurde 2 mal erkennungsdienstlich
behandelt. 3 junge Frauen mussten sich bis auf die Unterhose ausziehen.
Darauf folgten dann ein Kostenbescheid der Polizei über 93 € und ein
Bußgeldbescheid der Stadt Karlsruhe über 223 €. Ich empfinde sowohl die in
Gewahrsamnahme als auch den Bußgeld- und Kostenbescheid als
unverhältnismäßig.
Anstatt das zivilgesellschaftliche Engagement gegen Neonazis und Rassisten zu
unterstützen, werden Bürger und Bürgerinnen wegen geringfügiger Verstöße
nun bestraft. Meiner Meinung nach sind die Reaktionen der Polizei und des
Karlsruher Ordnungsamtes, auf ein friedliches Sitzen auf der Straße, überzogen
und unangemessen. Die Straße wurde übrigens Stunden zuvor von der Polizei
abgesperrt.
Das wiederholte Zeigen des Hitlergrußes und volksverhetzende Reden von
Pegida Seite wurden hingegen von staatlicher Seite mehrfach ignoriert.
Das Karlsruher Netzwerk gegen Rechts hat sich in einem offenen Brief für die
Rücknahme der Bußgeld- und Kostenbescheide für zivilgesellschaftliches
Engagement ausgesprochen.
Mehrere Fraktionen des Karlsruher Gemeinderates haben sich letzte Woche
schriftlich an OB Mentrup gewandt und ihn gebeten diese Verfahren ein zu
stellen.
Heute ist nach meiner Erkenntnis das Erste Bußgeldverfahren wegen Sitzen
auf der Straße um ein Zeichen gegen Rassismus zu setzen. Ich hoffe, dass
meinem Einspruch statt gegeben wird und nicht ein falsches Signal gesetzt
wird was all diejenigen abschreckt die sich zukünftig für eine weltoffene Stadt
engagieren möchten. Ich plädiere dafür meinem Einspruch statt zu geben, das
Verfahren ein zu stellen auf Kosten der Staatskasse.
Folge uns!