Von unseren ReporterInnen – Weinheim. Tausende von NazigegnerInnen protestierten am Samstag, 21. November, im baden-württembergischen Weinheim gegen einen Bundesparteitag der rechtsradikalen NPD. Es gab eine antifaschistische Demonstration mit über 2500 TeilnehmerInnen, Mahnwachen, Blockaden an drei Zufahrtsstraßen zur Weinheimer Stadthalle, ein Aktionscamp, ein Kulturfestival. Geprägt war der Tag jedoch durch die starke Präsenz einer martialisch auftretenden, stellenweise auffallend aggressiven Polizei – und von der scharfen Abgrenzung des städtischen Bündnisses „Weinheim bleibt bunt“ vom übrigen Protest.
Die Polizei nahm am Samstag 201 Protestierende in Gewahrsam. 16 Beamte wurden verletzt, einer von ihnen schwer. Die Demo-Sanitätsgruppe Süd-West behandelte 89 verletzte DemonstrantInnen. Bis auf Einzelfälle sei Polizeigewalt die Ursache gewesen. Die Polizei habe sich der Sanitätsgruppe selbst gegenüber bis auf Einzelfälle weitgehend kooperativ verhalten. Sie sei aber „sehr provokativ und gewaltsam“ gegen DemonstrantInnen vorgegangen – besonders im Bereich der Kreuzung der Nördlichen Hauptstraße und der Birkenauer Talstraße.
Nach Erfahrung der Demosanitäter ist zusätzlich von einer großen Dunkelziffer leicht verletzter DemonstrantInnen auszugehen, die sich nicht behandeln ließen.
Schwerverletzte Demonstranten mussten ins Krankenhaus
Mehrfach mussten die Demosanitäter Patienten mit dem öffentlichen Rettungsdienst ins Krankenhaus bringen lassen – so etwa nach unserer Beobachtung einen jungen Mann und eine junge Frau nach einem Schlagstockeinsatz der Polizei. Zeugen berichteten, die Polizei habe immer wieder mit Knüppeln auf den Nacken der am Boden Liegenden eingeschlagen. Sie musste mit Verdacht auf eine schwerwiegendere Verletzung in die Neurologie. In einer Pressemitteilung bedankten sich die Demosanitäter beim öffentlichen Rettungsdienst ausdrücklich „für eine außerordentlich gute und professionelle Zusammenarbeit“.
Beamte beschädigten die Kamera des Fotografen einer Nachrichtenagentur, als er gerade eine Polizeiaktion filmen wollte. Auch der Journalist selbst bekam zwei Schläge ab. Er habe aber keine Verletzungen erlitten, erklärte er der Pressesprecherin der Polizei Roswitha Götzmann zufolge später. Die Pressestelle möchte der Sache nachgehen, um festzustellen, wie es zu dem Vorfall kam. Sie verhielt sich den VertreterInnen der Medien gegenüber am Samstag kooperativ. Bei den meisten BeamtInnen im Einsatz war das jedoch anders.
16 Polizeibeamte und weit über 100 DemonstrantInnen verletzt
Die Polizei berichtet über Verletzte in den Reihen der DemonstrantInnen nur, dass in zwei Fällen ein Rettungswagen gerufen werden musste. Es gab auch einen schwerverletzten Beamten. Von einem Tritt habe der Polizist eine schwere Knieverletzung davongetragen und nicht mehr gehen können. 15 weitere Beamte wurden leicht verletzt, einige davon durch Pfefferspray.
Wie oft in solchen Fällen wirft die Polizei DemonstrantInnen vor, den Reizstoff eingesetzt zu haben. Nach unseren Beobachtungen bekamen die Beamten jedoch großzügig eingesetztes Pfefferspray aus den eigenen Reihen ab, als sich der Wind drehte. Der Reizstoff wurde von der Polizei am Samstag in großen Mengen versprüht. Außerdem sollen Beamte geschlagen und mit Steinen beworfen worden sein.
Oberbürgermeister gegen NPD und Antifa
„Das sind Leute, die hergekommen sind, um Randale zu machen. Die können wir hier genauso wenig gebrauchen wie die NPD“, grenzte sich der Weinheimer Oberbürgermeister Heiner Bernhard (SPD) im Interview mit uns scharf von „Leuten von außen“ ab, die meinten, „sie könnten durch aberwitzige Aktionen die Demokratie verteidigen“. Er distanziere sich klar von „gewaltbereiten Personen“. Dem SWR gegenüber erklärte Bernhard am Abend, man wolle weitere NPD-Parteitage in der Stadt verhindern, möglicherweise sogar ganz auf parteipolitische Veranstaltungen in der Halle verzichten: „Wir wollen in Weinheim nicht jedes Jahr zwei Tage Ausnahmezustand haben“, wird Bernhard zitiert.
Die NPD hatte die 44 000-Einwohner-Stadt an der Bergstraße zum dritten Mal als Schauplatz für einen Parteitag gewählt. Es gab dort am Samstag viele hässliche Szenen. Die NPD war an ihnen beteiligt, aber am wenigsten von ihnen betroffen. Anhänger der Partei blieben von der Polizei sogar unbehelligt, wenn sie mit verbotenen Protektorenhandschuhen durch die Stadt liefen, den Hitlergruß zeigten oder TeilnehmerInnen der angemeldeten Mahnwachen provokativ aus nächster Nähe fotografierten.
Tritte, Schlagstockhiebe, Pfefferspray
Wer zum NPD-Parteitag wollte, wurde von der Polizei an den Protestierenden vorbei zur Halle eskortiert. Pünktlich um 10.30 Uhr ermöglichte sie einem Fahrzeugkonvoi über die Birkenauer Talstraße die Zufahrt. An der Peterskirche am Mühlweg hatte die Polizei zuvor eine Gruppe von NPD-Parteigängern umringt, um sie vor angeblich gewaltbereiten NazigegnerInnen zu schützen. Unter Einsatz von reichlich Pfefferspray und Schlagstöcken geleiteten die Polizisten die NPD-Anhänger dann zur Stadthalle.
„Der Feind steht links“ – das scheint auch an diesem Samstag die Devise der Staatsmacht gewesen zu sein. Sie schritt gleich am frühen Morgen um 7.30 Uhr in der Nördlichen Hauptstraße gegen den Versuch von NazigegnerInnen ein, die Zufahrt zum NPD-Parteitag zu blockieren. Den ganzen Tag über war eine große Zahl von Einsatzkräften vor Ort. Genauere Angaben wollte die Polizeipressestelle nicht machen.
Die Polizei fuhr auch einen Wasserwerfer auf
Die Stadthalle wurde großräumig mit Hamburger Polizeigittern und anderen Abschrankungen abgesperrt. Neben einer Vielzahl von Polizeibussen fuhr auch ein Wasserwerfer vor. Drohend wurde er auf dem engen Gelände am Flüsschen Weschnitz immer wieder hin und zurück, mal hierhin, mal dorthin manövriert. Vom Einsatz des schweren Geräts zeigte sich selbst die Polizei-Pressesprecherin überrascht. Es kreiste auch ein Polizeihubschrauber über der Stadt, und unten am Boden ließ die Polizei angeleinte Diensthunde bellen.
Zentrum des antifaschistischen Protests war die Kreuzung Nördliche Hauptstraße/Birkenauer Talstraße. Dort sollen der Polizei zufolge schon am Morgen Bengalos abgebrannt und Knallkörper gezündet worden sein, ebenso sollen Steine gegen Beamte geflogen sein. Ein Großteil der 201 vorübergehend Festgenommenen wurde über Stunden in einem Polizeikessel festgehalten und dann einzeln abgeführt. Sie hatten versucht, trotz Absperrung zur Stadthalle zu gelangen, und waren von den Einsatzkräften gewaltsam gestoppt worden. „Es war ein völlig überzogener Einsatz nach einem kleinen Gerangel“, beschreibt eine Sprecherin des Legal Teams empört das Vorgehen der Polizei: „So eine aggressive Haltung!“
Festgenommene wurden nach Mannheim gebracht
Die Polizei stellte Personalien fest und fotografierte die Festgenommenen noch vor Ort. Sie wurden in gecharterten Linienbussen nach Mannheim in eine Gefangenensammelstelle und die Justizvollzugsanstalt gebracht. Während die in Gewahrsam genommenen Frauen relativ schnell wieder entlassen wurden, dauerte es bei den Männern etwas länger. Die Festgenommenen sollen jedoch noch am Samstag von der Polizei zur Autobahn gebracht worden sein.
Zu einem Zwischenfall war es auch um die Mittagszeit in einem Dönergeschäft gekommen. Dort wurden „Döner gegen Nazis“ angeboten. Anreisende NPD-Parteigänger wollten den Wirt angehen, wurden aber von dazukommenden AntifaschistInnen gestoppt. Die NPD-Anhänger weigerten sich, das Geschäft ohne Polizeischutz zu verlassen, obwohl der Inhaber von seinem Hausrecht Gebrauch machen wollte. Sie bewaffneten sich mit Mobiliar und warfen mit Stühlen.
Polizei begleitet Demozug im Spalier
Am Nachmittag sammelte sich – inzwischen bei Regen – am Bahnhof eine antifaschistische Demonstration „Rassismus und völkischem Nationalismus entgegentreten!“ Organisiert wurde sie von der Antifaschistischen Initiative Heidelberg AIHD. Sie verwies in ihrer Rede auf fast 600 Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, die das BKA allein in den letzten zehn Monaten zählte.
Sie forderte auch die Auflösung des Verfassungsschutzes – nicht zuletzt vor dem Hintergrund von dessen ungeklärter Rolle bei der Terrorserie des NSU. Auch die NPD sei vom Verfassungsschutz durchsetzt. „Wenn wir heute gegen die Rassisten und Fremdenhasser auf die Straße gehen, dann erteilen wir auch allen denen eine Absage, die aus der faschistischen Hetze politisches Kapital schlagen wollen. Wir sagen ganz deutlich: Deutschland hat kein Flüchtlingsproblem. Dieses Land hat ein Naziproblem.“
Polizei darf sich nicht unter DemonstrantInnen mischen
Zu Beginn waren auflagengemäß die Demoauflagen, aber auch die einschlägigen Vorschriften für das Verhalten der Polizei verlesen worden. Zu ihnen gehört, dass sich Polizisten am Rand der Demozugs halten müssen und sich nicht unter die TeilnehmerInnen mischen dürfen. Dagegen verstieß eine Gruppe von PolizistInnen gleich zu Anfang.
Nach einer Auftaktkundgebung zog die Demonstration über die Bahnhof- und Hauptstraße. Auf dem Weg zum Marktplatz, wo es eine Zwischenkundgebung gab, wuchs der Zug auf mindestens 2500 TeilnehmerInnen an. Unterwegs gab es immer wieder Diskussionen zwischen dem Demoanmelder und dem Einsatzleiter der Polizei, der behelmte Beamten den Zug im Spalier begleiten ließ und sich an Vermummungen störte. Auch wurde immer wieder ohne Anlass gefilmt – selbst das Gespräch zwischen dem Demoanmelder und dem Einsatzleiter. Er weigerte sich auch, dem Versammlungsleiter Beamte in Zivil vorzustellen und erklärte, es befänden sich keine in der Demonstration.
Immer mehr NPD-Anhänger in der Nähe der Demoroute
Am Rand der Demonstration wurden zunehmend NPD-Anhänger gesichtet, die – zum Teil heimlich – auch Fotos machten.
Die Schlusskundgebung war an der Peterskirche, wo es am Vormittag auch schon den Polizeikessel gab. Unter anderem sprach ein Vertreter des DGB. Er forderte wie schon andere vor ihm ein NPD-Verbot. Ein weiterer Redner erhob schwere Vorwürfe gegen die Polizei, die den ganzen Tag über aggressiv aufgetreten sei. Die Beamten gingen erneut gegen DemonstrantInnen vor, weil Unbekannte Steine geworfen haben sollen.
Vor ihrem Einsatz vermummten sich die PolizistInnen wie üblich mit Sturmhauben, über die sie dann ihre Helme zogen. Da die grün-rote Koalition in Baden-Württemberg entgegen ihrer Absichtserklärung im Koalitionsvertrag bis heute keine anonymisierte Kennzeichnungspflicht eingeführt hat, waren die PolizistInnen damit auch nicht mehr identifizierbar.
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