Von Angela Berger – Stuttgart. Der Einladung der Bürgerinitiative Neckartor folgten am Samstag, 21. November, etwa 250 Menschen zu einer Demonstration durch die Stuttgarter Innenstadt unter dem Motto: „Fahrverbote retten Leben, Autoflut stoppen – Jetzt!“ Der Protest sollte der Klage der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gemeinsam mit Clean Air Nachdruck verleihen, das von der EU garantierte Recht auf bessere Luft zu verwirklichen.
Mit Fußgängern, Fahrradfahrern, mit Kunst und Musik wurde auf die seit Jahren erhöhten Messwerte in Stuttgart aufmerksam gemacht. Die BI Neckartor hatte sich gegründet, weil das Neckartor in Stuttgart bundesweit die höchsten Feinstaubbelastungen hat. Der EU-Grenzwert liegt bei einem Wert von 50 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft an maximal 35 Tagen im Jahr. Schon im März wurde dieser Wert am Neckartor überschritten, so die Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg LUBW. Im Jahr 2014 wurde der Grenzwert an 64 Tagen im Jahr überschritten.
Aktuell laufen zwei Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommision gegen Deutschland. Schon letztes Jahr hatte die Kommision ausdrücklich Stuttgart als Grund dafür genannt. 2008 hatte der Europäische Gerichtshof ein Grundsatzurteil über das „Recht auf saubere Luft“ bestätigt, das alle EU-Bürger einklagen können. Durch zwei Urteile der Verwaltungsgerichte in Wiesbaden (2011) und des Verwaltungsgerichts München (2012), haben nun auch Verbände ein Klagerecht.
Deutsche Umwelthilfe klagt gegen mehrere Bundesländer
Von der DUH (Deutsche Umwelthilfe) war am Wochenende Jürgen Resch vor Ort und berichtete, dass die DUH mit Client Earth am 19. November eine Klage gegen mehrere Bundesländer eingereicht hat. Betroffen sind sieben Städte – unter ihnen auch Stuttgart.
Die DUH möchte die Bundesländer mit der Klage dazu verpflichten, ihre Luftreinhalteplände zu ändern. Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann und OB Fritz Kuhn (beide Grüne) hatten im Sommer das Konzept „Luftreinhaltung für die Landeshauptstadt Stuttgart“ vorgestellt. Aber diese Konzept geht Jürgen Resch und der DUH nicht weit genug. Nach ihm würden die Grenzwerte erst im Jahre 2020 eingehalten. Die Landeshauptstadt und Autostadt setzt dabei auf freiwillige Maßnahmen. Der Bürger solle dafür „sensibilisiert werden die öffentlichen Verkehrsmittel zu benutzen“.
Stuttgarter fordern kostenlosen Nahverkehr
Dabei könnte man durch einen schnelleren Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, eine Umweltfreundliche Taxiflotte, Geschwindigkeitsbeschränkungen auf stark befahrenen Straßen und ein flächendeckendes LKW-Fahrverbot viel schneller etwas erreichen, so Jürgen Resch.
Das „Haushaltspaket Mobilität“ umfasst ein Volumen von 832 000 Euro für das Jahr 2016, hinzu kommen 12,1 Millionen Euro bis 2020 für den Ausbau des Radverkehsnetzes, das Pflanzen von Sträuchern und Bäumen, Parkleitmanagement etcetera. Doch viele Bürger fordern bezahlbare Nahverkehrstickets statt einer jährlichen Fahrpreiserhöhung bei immer schlechterem Service. Auch die Idee des kostenlosen Nahverkehrs kommt bei dieser Diskussion immer wieder in der Bevölkerung auf.
Selbst eine Mooswand ist im Gespräch
Doch gerade in Stuttgart scheint es sogar der grün-roten Landesregierung sehr schwer zu fallen, sinnvolle Konzepte durchzusetzten. Sinnbild für das Problem ist wohl das weltweite bekannte Logo eines Autoherstellers ausgerechnet auf dem Bahnhofsturm der Stadt. Auch die Idee einer 100 Meter langen und zwei bis drei Meter hohen „Mooswand“ kam den Grünen in Stuttgart schon in den Sinn. Im Oktober 2014 teilte OB Kuhn noch mit, dass es keine „Abschätzung der Wirksamkeit von Mooswänden“ gebe. Außerdem müsste die Stadt knapp 400 000 Euro für Moos locker machen. Doch noch wird der „Feldversuch Mooswand“ im Rathaus diskutiert.
Verzweifelt wird nach Lösungen gesucht, um den drohenden Strafgeldern durch die EU und nun auch der Klage der DUH zu entgehen. Angesichts des im Februar 2012 abgeholzten mittleren Schlossgartens für S21 fragen sich die Stuttgarter, ob es nicht besser gewesen wäre, den Park zu erhalten, anstatt nun sinnlos Geld für Mooswände auszugeben, deren Wirksamkeit fraglich sei. Selbst Fachleute auf dem Gebiet wie Martin Nebel vom Naturkundemuseum am Löwentor ist nur „vorsichtig optimistisch“.
70 000 vorzeitige Todesfälle durch Feinstaub
Der VW-Skandal um manipulierte Abgaswerte gab dem Thema Feinstaubbelastung neuen Aufwind. Auf dem Papier würden die Fahrzeuge immer sauberer, aber in Wirklichkeit sehe das ganz anders aus. „Die EU-Kommission bittet die Mitgliedstaaten, ihre Bürger vor Luftverschmutzung zu schützen, da sie ihrer Gesundheit schadet“, so Umweltsprecher Enrico Brivio. Allein für Deutschland geht die Behörde von
70 000 vorzeitigen Todesfällen aus.
Remo Klinger vertritt die DUH seit zehn Jahren als Rechtsanwalt in Verfahren zur Luftreinhaltung: „Obwohl die Rechtslage in Deutschland seit Jahren geklärt ist, versuchen die zuständigen Behörden, die Sache einfach auszusitzen“, sagt Klinger. „Dabei ist die Luftverschmutzung in Deutschland nicht erst seit Bekanntwerden des Diesel-Skandals ein Problem. Die EU-Grenzwerte werden seit Jahren überschritten, ohne dass von den Behörden wirksame Gegenmaßnahmen ergriffen werden.“
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