Von Meide Wolt – Stuttgart. Das Amtsgericht Stuttgart verurteilte am Freitag, 4. Dezember, eine junge Frau wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Geldstrafe in Höhe von 630 Euro und der Übernahme der Gerichtskosten. Sie soll auf einer Demonstration zwei Polizeibeamte geschlagen haben. Einem Solidaritätsaufruf des Netzwerks Freiheit für alle politischen Gefangenen folgten 40 Menschen.
Die Angeklagte hatte am 1. Mai dieses Jahres an der „Revolutionären 1. Mai-Demo“ in Stuttgart teilgenommen. Nach der Abschlusskundgebung am Erwin-Schöttle-Platz in Heslach war es zu einer Auseinandersetzung mit der Polizei gekommen. Die Beamten hatten sich DemonstrantInnen in den Weg gestellt, die den Platz verlassen wollten (siehe „Am Tunnel knatterte Feuerwerk„).
Vorwurf: Mit der Fahnenstange auf die Hände
Das Gericht folgte der Darstellung der Staatsanwaltschaft, nach der die Angeklagte in dieser Situation zwei Polizeibeamten mit einer Fahnenstange auf die Hände geschlagen haben soll. Dabei soll einer der Beamten eine Schwellung an der linken Hand erlitten haben. Das Attest über die Schwellung wurde jedoch erst drei Tage später vom Arzt ausgestellt. Vier Tage später sei die Schwellung dann schon wieder weg gewesen.
Ein weiterer Beamter trug nach eigenen Angaben Protektionshandschuhe und will nur deshalb keine Verletzungen davon getragen haben. Beide Beamte gaben an, den Schlag selbst nicht beobachtet, sondern nur im Anschluss die Angeklagte mit einer Fahnenstange gesehen zu haben.
Videoaufzeichnungen von der Polizei gelöscht
Die beiden Polizeibeamten erklärten, dass es von der fraglichen Situation selbst keine belastbaren Videoaufzeichnungen gegeben habe. Alle Videoaufzeichnungen sind nach Angaben der Vorsitzenden Richterin daher von der Polizei gelöscht worden und standen für den Prozess nicht zur Verfügung.
Verteidiger Christos Psaltiras wies darauf hin, dass solche „Videoaufzeichnungen nicht zu löschen sind“, sondern „deren Beurteilung allen am Verfahren teilnehmenden ermöglicht werden muss“.
Staatsanwaltschaft wirft „gefährliche Körperverletzung“ vor
Die Staatsanwaltschaft wertete die einige Zeit nach der Auseinandersetzung bei der Angeklagten beschlagnahmte Fahnenstange als „gefährliches Werkzeug“. Sie sei rechtlich einer Waffe gleichzusetzen. Die Staatsanwaltschaft beschuldigte die Angeklagte daher der „gefährlichen Körperverletzung“ und setzte ein Strafmaß von sechs Monaten Gefängnis auf zwei Jahre zur Bewährung an. Die Verteidigung stellte die Glaubwürdigkeit der beiden Beamten in Frage, da niemand die vorgeworfene Tat gesehen hat. Sie plädierte auf Freispruch.
Urteil: Es muss wohl so gewesen sein
Die Vorsitzende Richterin Rudolph erklärte, sie habe keine Zweifel an der Wahrheit der Aussagen der beiden anwesenden Beamten. Sie verurteilte die Angeklagte wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen zu 90 Tagessätzen á 7 Euro, obwohl aus der Beschreibung des Tathergangs durch die beiden Zeugen nicht ersichtlich wurde, ob die Angeklagte zweimal zugeschlagen hat oder wie sie beide zeitgleich hätte treffen sollen. Diese Ungereimtheit in den Aussagen der zwei Beamten war jedoch zu keiner Zeit Gegenstand vor Gericht.
In ihrer Begründung sagte die Vorsitzende Richterin, sie könne sich gut vorstellen, wie sich bei solchen Versammlungen die Stimmung aufheizt, „und dann kommt es einfach zu Situationen, wie sie heute hier verhandelt werden“. Ihrer Begründung rechtfertigte die Vorsitzende damit, dass ein Beamter eine „nicht unerhebliche Verletzung“ erlitten habe. Sie belehrte die Verurteilte mit den Worten: „Sie sind eine erwachsene Frau, da macht man sowas nicht.“
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