Leipzig. Am Rand eines Neonaziaufmarschs gab es am Samstag, 12. Dezember, in Leipzig heftige Straßenschlachten zwischen linken DemonstrantInnen und der Polizei. Die Behörde berichtet von 69 verletzten Polizisten. Die Zahl der verletzten NazigegnerInnen ist nicht bekannt. Am Neonaziaufmarsch nahmen etwa 150 Menschen teil. Damit blieb der Zulauf weit unter den Erwartungen der Veranstalter.
Lange blieb es am Samstag in den Leipziger Stadtteilen Connewitz und Südvorstadt ruhig. Eine Vielzahl kleiner Gruppen von linken DemonstrantInnen bewegten sich in den Nebenstraßen. Connewitz gilt als linker und alternativer Stadtteil von Leipzig. Für Samstag hatten verschiedene Akteure der extremen Rechten gleich drei Demonstrationen angemeldet.
Die Organisatoren stammten aus Kreisen der Neonazi-Partei „Die Rechte“, der „Offensive für Deutschland“ und der extrem rechten „Thügida“ aus Thüringen. Die Demonstration von Neonazis wurde als Provokation gewertet. Daher kam es zu einer breit angelegten Mobilisierungsaktion gegen den Aufmarsch. So wurde etwa zur „Weihnachtsfeier“ des „Antifa e.V.“ geladen.
Hagel aus Flaschen, Steinen und Rauchbomben
Gegen 13 Uhr kam Bewegung ins Spiel. Hunderte vermummte und in Schwarz gekleidete Personen bewegten sich, mit Pyrotechnik und eine Schneise der Zerstörung zurücklassend, auf der Karl-Liebknecht-Straße in südliche Richtung. An der Ecke Kurt-Eisner-Straße trafen sie auf eine größere Polizeieinheit. Sie wurde sofort mit einem Hagel aus Steinen, Flaschen und Rauchbomben eingedeckt. Die Beamten zogen sich – sichtlich überrascht von der Heftigkeit des Angriffs – zurück. Wenig später verschossen sächsische Polizeieinheiten das erste Mal an diesem Tag Tränengas. Es sollte nicht das letzte Mal bleiben.
Wenig später lag an der Kreuzung Karl-Liebknecht-Straße/Ecke Shakespearestraße ein linker Demonstrant am Boden. Er blutete stark aus einer offenen Kopfwunde. Ein Fotograf der Beobachter News wurde zunächst von den Beamten daran gehindert, Erste Hilfe zu leisten und einen Krankenwagen zu verständigen.
In der Zwischenzeit kümmerten sich Demosanitäter um den Verletzten. Wie es zu dieser Verletzung kam, ließ sich bisher nicht zweifelsfrei klären.
Ohrenbetäubender Rechtsrock vom Band
Gegen 14 Uhr sollte der von der Versammlungsbehörde auf 550 Meter zusammengestrichene Aufzug der Neonazis beginnen. Die Route verlief über Teile der Kurt-Eisner-Straße, bog in die Arthur-Hoffmann-Straße und endete am Albrecht-Dürer-Platz. Anfänglich wurden einige Reden ins Mikrofon gebrüllt. Später dröhnte „Rechtsrock“ vom Lautsprecherwagen. Ob hier die vom Ordnungsamt gesetzte Obergrenze der Lautstärke eingehalten wurde, darf jedoch bezweifelt werden. Immer wieder kam es zu Verstößen gegen das Versammlungsgesetz durch Vermummung und Böllerwürfe, die von der sächsischen Polizei jedoch ungeahndet blieben.
In der Arthur-Hoffmann-Straße gab es eine Sitzblockade mit etwa 40 TeilnehmerInnen. Sie wurde von der Polizei gewaltsam geräumt.
Polizei löst kleine Blockade mit Härte auf
Kurz vor Eintreffen der Neonazis stürmten aus einem Hauseingang etwa zehn Personen, warfen sich auf den Boden und verketteten ihre Arme. Diese kleine Blockade wurde von der Polizei mit unverhältnismäßiger Härte buchstäblich niedergerannt, an den Rand der Straße gedrängt, mit Pfefferspray und Schlagstöcken attackiert. Hier kam es zu mehreren Verletzten. Vom Redner der Neonazis wurde immer wieder propagiert, dass man nun durch Connewitz laufen werde. Was der Mann offenbar nicht wusste, war: Die kleine Gruppe hatte die „Südvorstadt“ nie verlassen.
Zur selben Zeit formierten sich auf der Karl-Liebknecht-Straße erneut größere Gruppen vermummter AntifaschistInnen. Hier wurden erneut Polizeieinheiten in heftige Straßenschlachten verwickelt. Hunderte Steine hagelten auf Einsatzfahrzeuge und Behelmte nieder. Wieder setzte die Polizei großflächig Tränengas ein und verletzte damit eine nicht unerhebliche Anzahl der eigenen Leute, da sie nicht mit Gasmasken ausgestattet waren.
AnwohnerInnen löschen kleinere Brände
In den Nebenstraßen wurden erste Barrikaden errichtet. Dann auch auf der Karl-Liebknecht-Straße. Es brannte an etlichen Kreuzungen in der Südvorstadt. Die Feuerwehr, AnwohnerInnen und die vorhandenen Wasserwerfer löschten die Brände.
Zwischendurch kam es immer wieder zu einem Katz- und Mausspiel. DemonstrantInnen standen auf einer Kreuzung. Die Polizei kam mit Wasserwerfern. Es flogen Flaschen und Steine. Die Polizei jagte die Menschen mit Tränengas die Straßen entlang und stand anschließend selbst im verschossenen Nebel.
Polizei stoppt antifaschistischen Pfarrer
Gegen 18 Uhr hatte sich die Lage weitgehend beruhigt. „Leipziger Südvorstadt versinkt in Krawallen“, überschrieb die Polizei am späten Abend ihre ausführliche Pressemitteilung. Sie berichtete von einer Vielzahl „massiver Ausschreitungen“. Aus ihrer Sicht wäre es „wünschenswert gewesen, wenn sich die friedlichen Protestteilnehmer stärker und aktiver abgegrenzt hätten. Dies gilt insbesondere für die Zeitpunkte, an welchen der Einsatz von Zwangsmitteln unumgänglich war“.
Ein Versammlungsteilnehmer, der „wegen Beteiligung am Landfriedensbruch und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Präventivgewahrsam genommen und dessen Fahrzeug – aus dem heraus er seinerseits agierte – als Tatmittel beschlagnahmt wurde, konnte nach Wegfall der Gewahrsamsgründe die Polizeidienststelle samt Transporter wieder verlassen“, berichtet die Polizei weiter. Damit meinte sie offenkundig Lothar König, einen von Polizei und Justiz schon früher im Zusammenhang mit dem Protest gegen Naziaufmärsche in Dresden massiv verfolgten antifaschistischen Pfarrer, wobei die „Sicherheitsbehörden“ auch nicht davor zurückschreckten, Videoaufnahmen als angebliches Beweismaterial zu manipulieren.
Augenzeugen: Faustschlag in Lothar Königs Gesicht
Offenbar wurde der legendäre Lautsprecherwagen Königs in Leipzig von der Polizei gestoppt. Ein Beamter habe dem Pfarrer die Faust ins Gesicht geschlagen und ihn dabei verletzt, berichteten Augenzeugen. Der Wagen wurde beschlagnahmt, alle Insassen mit Ausnahmen der Tochter Lothar Königs, der Thüringer Landtagsabgeordneten der Linken Katharina König, in Gewahrsam genommen. Im Internet gab es eine Welle der Solidarität mit Lothar König. Die Linkspartei in Sachsen verlangte von der Polizei Aufklärung über den Vorfall.
„Mit 50 Verstößen gegen das StGB, BtMG, SprengstoffG und Versammlungsgesetz, 23 Gewahrsamsnahmen, 69 verletzten Beamten – wobei zwei Polizisten, einer von ihnen, mindestens vier Wochen dienstunfähig sind, mehreren verletzten Protestteilnehmern, 50 beschädigten Dienstfahrzeugen – wovon vier nicht mehr fahrbereit sind, wird das Ausmaß des heutigen Gewaltexzesses greifbar“, heißt es weiter im Polizeibericht.
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