Stuttgart. Das „Aktionsbündnis für Ehe und Familie“ organisiert regelmäßig Aufmärsche gegen den neuen Bildungsplan der grün-roten Landesregierung in Baden-Württemberg. Für Samstag, 23. Januar, hat die von Rechtspopulisten und religiösen Fundamentalisten durchsetzte rechte Allianz ein „Symposium“ in Stuttgart von 10 Uhr bis 18 Uhr angekündigt. Das Thema: „Gender und Sexualpädagogik auf dem Prüfstand der Wissenschaften“. Schauplatz soll die städtische Liederhalle sein. Dagegen wehren sich die Interessengemeinschaft CSD Stuttgart und eine wachsende Zahl von Unterstützern mit einem offenen Brief an die Stadtverwaltung.
Das Bündnis habe bereits mehrfach „unter dem Deckmantel des vermeintlichen ‚Schutzes von Ehe und Familie‘ in der Landeshauptstadt versucht, mit lautem Populismus und breiter Desinformation gegen Vielfalt, Gleichberechtigung und Aufklärung zu hetzen“, heißt es in dem an Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne), den Schirmherrn des Stuttgarter CSD 2015, gerichteten Schreiben. Die Unterzeichner kritisieren die Vermietung stadteigener Veranstaltungsstätten „an Organisationen, die Vielfalt zur Bedrohung stilisieren, die andere Menschen offen und wiederholt herabsetzen und die bewusst Ängste schüren“.
Im Zug der zurückliegenden „Demos für Alle“ kam es immer wieder zu Protestaktionen. Die Polizei war stets mit starken Kräften präsent. Viele GegnerInnen der rechten Allianz wurden in Polizeikesseln festgehalten und erhielten Anzeigen. Ein großes Transparent mit der Aufschrift „Vielfalt“, das während der Abschlusskundgebung der jüngsten „Bildungsplan-Demo“ an der Fassade des Staatstheaters herabgelassen wurde (siehe „Auch das Theater zeigt Flagge„), führte sogar zu einer Debatte im Landtag – allerdings ohne dass es zu der von rechtskonservativen Kreisen erhofften Verurteilung der Urheber gekommen wäre.
Der offene Brief der IG CSD Stuttgart vom 27. Dezember 2015 im Wortlaut:
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Kuhn,
für den 23. Januar 2016 lädt das Aktionsbündnis „Demo für Alle“ zum Symposium „Gender und Sexualpädagogik“ in den Mozartsaal der Liederhalle ein.
Veranstalter ist jenes Bündnis, welches bereits mehrfach unter dem Deckmantel des vermeintlichen „Schutzes von Ehe und Familie“ in der Landeshauptstadt versucht hat, mit lautem Populismus und breiter Desinformation gegen Vielfalt, Gleichberechtigung und Aufklärung zu hetzen. Anhand des neuen Bildungsplans an baden-württembergischen Schulen und den Bestrebungen zur Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare wird versucht, eine Indoktrination zu unterstellen oder gar den Niedergang unserer Gesellschaft herauf zu beschwören. Die Gleichstellung von Geschlechtern und Lebensweisen wird als „Gender-GaGa“ dargestellt. Toleranz ist für die Veranstaltenden das „Hinnehmen eines Übels“.
Nun sind Versammlungsfreiheit und offene Meinungsäußerung zu Recht äußerst hohe Güter unserer Demokratie. Ob für plumpen Populismus und falsche Thesen der sogenannten „Demo für Alle“ nun aber auch Türen und Tore der stadteigenen Veranstaltungsstätten – in diesem Fall der Liederhalle – geöffnet werden müssen, wagen wir jedoch ernsthaft zu bezweifeln.
Herr Kuhn, in Ihrem Grußwort anlässlich des 2015er Christopher Street Day (CSD) in Stuttgart war zu lesen, dass Sie als Oberbürgermeister an der Seite derer stehen, die Anerkennung, Respekt und Gleichberechtigung für Menschen gleich welcher sexuellen Orientierung oder Identität einfordern. „Vielfalt ist Bereicherung, Diskriminierung und Diffamierung haben keinen Platz in unserer Mitte. Als Schirmherr will ich dazu beitragen, dass Akzeptanz selbstverständlich und alltäglich ist.“
Diesem eindeutigen Selbstverständnis folgend fragen wir, ob eine Vermietung an Organisationen, die Vielfalt zur Bedrohung stilisieren, die andere Menschen offen und wiederholt herabsetzen und die bewusst Ängste schüren, Platz in den städtischen Veranstaltungsräumen finden sollten? Wir sind der Meinung, dies passt nicht mit der dargestellten und bereits tatsächlich gelebten Offenheit in Stuttgart sowie dem großen Engagement der Landeshauptstadt für Vielfalt zusammen.
Das Verfechten von Vielfalt ist gerade auch im tagtäglichen Handeln einer städtischen Verwaltung äußerst wichtig. Es gilt daher aus unserer Sicht, die Vermietungsrichtlinien in Einklang mit der gelebten Vielfalt zu bringen. Zumindest sind klare Worte der Distanzierung von Nöten, wenn das städtische Werte- und Leitbild nicht mit Veranstaltungen in den eigenen Räumen übereinstimmen. Eine Sensibilisierung für dieses Thema ist in jedem Fall geboten.
Wir sind uns sicher, mit unserem Unbehagen gegenüber dem „Demo für Alle„-Symposium stehen wir nicht alleine. Daher sammeln wir online auf www.csd-stuttgart.de/vielfalt Unterschriften, um der gemeinsamen Besorgnis Ausdruck zu verleihen. Die Liste der Unterstützenden wird bis zum 23.01. ständig erweitert werden.
IG CSD Stuttgart e.V.
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