Kommentar von Anne Hilger – Mannheim. Geht’s noch? Die gezielt geschürte Hysterie nach der gewalttätigen, offenbar für viele Betroffene entsetzlichen Silvesternacht in Köln ist inzwischen so groß, dass die Polizei der Öffentlichkeit Vorkommnisse meldet, die nicht strafbar und schon gar nicht berichtenswert sind. Dafür aber unter voller Nennung von Lebensumständen und Nationalität. Konkret: „Joggerin von Asylant unfreundlich verbal attackiert.“ Diese Überschrift einer Pressemeldung der Polizei Mannheim wäre Realsatire, hätte sie in Zeiten brennender Flüchtlingsheime keinen so ernsten Hintergrund.
Es gibt gute Gründe, weshalb nach dem Pressekodex, der freiwilligen Selbstverpflichtung von Journalisten und Verlegern, die Zugehörigkeit eines Verdächtigen oder Verurteilten zu religiösen, ethnischen oder anderen Minderheiten nur dann erwähnt wird, wenn es für das Verständnis der Tat unmittelbar notwendig ist.
„Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte“, heißt es im Pressekodex. Er ist im Übrigen keine neue Erfindung, sondern stammt aus dem Jahr 1973. Damals ging es – gerade in einer Stadt wie Mannheim in der einstigen amerikanischen Besatzungszone – vor allem darum, die (überwiegend schwarzen) Soldaten der US-Garnison vor Hass und Hetze zu schützen.
Normalerweise hält sich auch die Polizei an diese Regel. Nicht jedoch in jener Pressemitteilung vom 10. Januar aus Mannheim – dabei gab es hier nicht einmal eine Tat. „Wie der Polizei erst gestern bekannt wurde ist eine Joggerin am Freitagnachmittag, gegen 15.30 Uhr, auf dem Trimm-Dich-Pfad in der Nähe des Schützenhauses von einem aus Nordafrika stammenden Asylant zunächst harmlos angesprochen worden“, heißt es in der Meldung unter der Ortsangabe „Oftersheim“ im Rhein-Neckar-Kreis. Und weiter: „Er verfolgte sie anschließend bis zu ihrem Auto und verlangte dann, dass sie ihn mitnehmen solle. Da sie dies ablehnte, wurde der Mann ungehalten. Die Dame fuhr anschließend davon und ließ den Mann stehen. Zu strafbaren Handlungen kam es nicht.“
Warum berichtet über sowas die Polizei? Inwiefern hat der Mann die Joggerin „verbal attackiert“, wie es in der Überschrift über der Meldung heißt, wenn es doch zu keinen „strafbaren Handlungen“ kam, es also auch keine Beleidigung gab? Was heißt das – der Mann wurde „ungehalten“? „Die Dame“ – eine reichlich abwertende Bezeichnung der Joggerin – konnte offenbar ungehindert wegfahren. Sauer zu sein, dass einen jemand nicht im Auto mitnimmt, ist vorläufig noch nicht verboten. Nicht einmal für einen „aus Nordafrika stammenden Asylant“. Ganz bestimmt braucht man kein Hintergrundwissen über irgendjemandes Nationalität, um die Verärgerung zu verstehen.
Was also soll solche Hetze? Sind Zuwanderer die einzigen unfreundlichen Zeitgenossen? Nein – sie sind auch leider nicht die einzigen, die wie mutmaßlich an Silvester in Köln Taschendiebstähle begehen oder in alkoholisiertem Zustand aus grölenden Gruppen heraus Frauen belästigen. Sexualisierte Gewalt – am Arbeitsplatz, in der Familie, beim Volksfest – gehört seit jeher zur hiesigen Kultur. Das ist entsetzlich, entwürdigend, ungeheuer belastend für die Betroffenen – völlig unabhängig davon, woher sie selbst und woher die Täter stammen.
Umso wichtiger wäre es, endlich über sexualisierte Gewalt, ihre Ursachen und ihre Bekämpfung zu diskutieren, ohne sie in Männerrunden augenzwinkernd herunterzuspielen. Vor allem aber, das Problem nicht rassistisch nach bewährtem Sündenbock-Prinzip angeblich triebhaften Fremden in die Schuhe zu schieben. Auch für die Polizei wird es Zeit, wieder auf den Boden zu kommen und die Hetze gegen Zuwanderer einzustellen. Eine solche Pressemeldung ist der reine Hohn – für alle Opfer tatsächlicher Gewalt.
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