Von Julian Rettig – Rutesheim/Leonberg. In dem noch jungen Jahr brannte ein Wohnhaus in der Pforzheimer Straße in Rutesheim gleich zweimal. Die Hintergründe sind noch nicht klar, dennoch geht die Kriminalpolizei bei dem zweiten Fall von Brandstiftung aus. Zu diesem Zeitpunkt lebte eine Familie aus Syrien in dem Haus. Am Samstag, 16. Januar, folgten 70 Menschen einem Aufruf des antifaschistische Aktionsbündnis Stuttgart und Region (AABS) und nahmen an einer Kundgebung auf dem Rutesheimer Marktplatz teil.
Die Hintergründe sind noch nicht geklärt, und ob ein fremdenfeindlicher Hintergrund hinter der vermutlichen Brandstiftung steckt, ist bisher Spekulation. Aber keinesfalls undenkbar, vor allem seit im vergangenen Jahr rassistische Anschläge ein neues qualitatives und quantitatives Maß erreicht haben. Die 70 Menschen auf dem Marktplatz – viele aus dem Ort und den Nachbargemeinden selbst sowie weitere von außerhalb – sprachen deshalb viel über den Rechtsruck in der Gesellschaft und neue rassistische Bewegungen.
Der aus Leonberg angereiste Revierleiter der Polizei ließ es sich indes nicht nehmen, persönlich zu kontrollieren, wer an der Kundgebung teilnehmen wollte oder sie hätte stören können. Mit Ermahnungen sparte er nicht. Da bleibt zu hoffen, dass sich die Beamten mit dem Thema auch in Zukunft ernsthaft befassen werden, zumal rechte Gewalt im Altkreis Leonberg kein neues Phänomen ist.
Die Rede des AABS im Wortlaut:
Liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,
Liebe Passantinnen und Passanten,
beinahe täglich gibt es Berichte über rassistisch motivierte Anschläge im gesamten Bundesgebiet. Auch hier in Rutesheim brannte es in der Pforzheimer Straße innerhalb von einer Woche zweimal in einem Haus. In diesem Haus war zu dem Zeitpunkt unter anderem auch eine Flüchtlingsfamilie aus Syrien untergebracht. Inzwischen geht selbst die Kriminalpolizei von Brandstiftung aus. Auch wenn hier die Hintergründe noch nicht vollständig geklärt sind, spricht doch einiges für ein fremdenfeindliches Motiv.
Schon früher gab es in und um Leonberg eine aktive Naziszene. Diese schreckten auch nicht davor zurück, Menschen massiv anzugreifen. So attackierten sie beispielsweise eine Gruppe MigrantInnen mit Straßenschildern, gingen mit Glasflaschen und Baseballschlägern bewaffnet auf eine antifaschistische Kundgebung los oder schossen einem Antifaschisten, der nie wieder seine volle Sehkraft zurück erlangen wird, mit einer Gaspistole ins Auge.
Auch heute taucht in Rutesheim und dem Leonberger Umland wieder vermehrt rechte Propaganda auf.
Schienen sich rechte und rassistische Aufmärsche und unzählige Brandanschläge anfangs noch auf den Osten der BRD zu beschränken, zeigt sich inzwischen sehr deutlich, dass Rassismus kein ostdeutsches Problem ist. Auch in anderen Teilen Deutschlands, auch hier im Süden, gab und gibt es regelmäßig rechte Aufmärsche. Aber auch Brandanschläge und andere Angriffe. In Schwäbisch Gmünd und Ruppertshofen, brannten in den letzten Wochen Geflüchtetenunterkünfte. Diese Beispiele zeigen, dass Rassismus und rechte Gewalt auch vor dem beschaulichen „Ländle“ nicht halt machen, sondern ein deutschlandweites Problem darstellen.
Die unzähligen Brandanschläge und Übergriffe auf Geflüchtete, die deutschlandweit gerade an der Tagesordnung sind, dürfen nicht unabhängig von einander betrachtet werden. Denn die Basis bietet einen gesellschaftlichen und politischen Rechtsruck, der in ganz Europa, aber eben auch in Deutschland stattfindet. In den sozialen Netzwerken häufen sich rassistische Seiten und Hetzkommentare gegen Geflüchtete. Dies zeigt sich auch im Privatleben und im Betrieb durch rechte und rassistische Aussagen. Hier sind Pegida und Konsorten nur das organisierte Ergebnis aus dem sowieso schon in der Gesellschaft vorhandenen Rassismus.
Sie nutzen die vermeintliche Angst, aber vor allem die Ablehnung von allem Fremden, um ihre Hetze auf die Straße zu bringen. Auch wenn sie sich am Anfang noch als „besorgte Bürger“ ausgaben – wobei deutlich gesagt werden muss, dass es sich auch am Anfang nicht um besorgte Bürger, sondern einfach um einen großen Haufen Rassisten gehandelt hat – wurde inzwischen auf Pegida-Veranstaltungen auch schon mal bedauert, dass zur Zeit keine Konzentrationslager zur Verfügung stehen.
Den sozusagen parlamentarischen Arm dieses Rechtsrucks stellt die sogenannte „Alternative für Deutschland“ dar. Am Anfang noch als „Anti-Euro“-Partei abgetan, zeigt sich inzwischen deutlich, dass ihr politisches Konzept vor Allem aus rechter Hetze und Rassismus besteht.
Während Pegida und AfD schon lange zeigen, dass es nicht mehr nur faschistischen Organisationen wie der NPD vorbehalten ist, offen gegen Geflüchtete, Muslime und andere Minderheiten zu hetzen, zeigen inzwischen auch die Unionsparteien der Öffentlichkeit ihr rassistisches Gesicht. Hier ist ihnen jeder Anlass und jedes Mittel recht. Selbst die Vorfälle in Köln und anderen Städten, so verabscheuungswürdig sie auch sind, dienen ihnen hier nur als Vorwand, um nach Rechts vorzustoßen.
Selbst Parteien wie die AfD, die sonst keine Gelegenheiten auslassen um ihren Antifeminismus unter die Leute zu bringen, geben sich plötzlich als Frauenrechtler aus. Denn anstatt die eigentlichen Probleme, die überall in der Gesellschaft auftauchen, wie zum Beispiel sexualisierte Gewalt und einen weit in der Gesellschaft verankerten Sexismus zu bekämpfen, machen sie das allgegenwärtige Problem der Frauenentrechtung zu einer Frage des Aussehens und der Herkunft. Ihre Antwort darauf sind Asylrechtsverschärfungen und Abschiebungen.
Ergebnis dieser vielschichtigen Hetze, sei es von Einzelpersonen, durch rechte und rassistische Aufmärsche oder durch Parteien, egal ob CDU/CSU, AfD oder NPD sind nahezu tägliche Meldungen über Brandanschläge auf Flüchtlingsheime oder tätliche Angriffe auf MigrantInnen, AntifaschistInnen oder Geflüchtete.
Egal wann oder wo. Egal ob in Rutesheim, Stuttgart oder sonst wo. Rechte Hetze und rassistische Gewalt darf nie unbeantwortet bleiben.
Auf diese vielschichtige Hetze antworten wir mit unserem entschlossenen Widerstand. Den daraus resultierenden Übergriffen und Anschlägen setzen wir unsere Solidarität entgegen.
Unsere Aufgabe ist es geflüchtete Menschen in unserer Gesellschaft willkommen zu heißen, uns mit ihnen zu solidarisieren und zu unterstützen.
Wir müssen uns organisieren und auch spektrenübergreifende Bündnisse schmieden. Dabei dürfen wir uns nicht spalten lassen! Es gibt keinen falschen Antifaschismus. Jede Form von Antifaschismus hat seine Berechtigung. Nur das Nichtstun, die Gleichgültigkeit gegenüber den rechten Bedrohungen wäre absolut der falsche Weg!
Gegen jeden Rassismus!
Für eine solidarische Gesellschaft!
Folge uns!