Von Anne Hilger – Stuttgart. Das Fahnenmeer war so bunt wie die Zusammensetzung der Bevölkerung von Stuttgart oder Mannheim. Menschen aus über 170 Nationen leben in Baden-Württemberg. Rund 7000 von ihnen kamen am Samstagvormittag, 16. Januar, in die eisige, aber sonnige Stuttgarter Innenstadt, um gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Gewalt gegen Geflüchtete zu demonstrieren. „Wir sind die vielen, die zusammenhalten“, eröffnete die Moderatorin Rosa Omenaca Prado vom SWR die Kundgebung. Die interkulturelle Band Wüstenblumen brachte Stimmung auf den Schlossplatz. Zuletzt wurde auch getanzt.
Vor dem Hintergrund zunehmender Gewalt gegen Geflüchtete und stärker werdender rechter Strömungen hatte ein Bündnis aus Gewerkschaften, Arbeitgebern, Glaubensgemeinschaften, Frauen-, Jugend- und Sozialverbänden und Flüchtlingsorganisationen zu der Kundgebung „Halt! zusammen“ aufgerufen, dazu der Sport, Parteien, Ausländervereine und vielen andere Organisationen – 81 waren es insgesamt, organisatorisch federführend war der DGB.
Dessen stellvertretende Landesvorsitzende Gabriele Frenzer-Wolf eröffnete die Kundgebung. „Unser Land soll offen bleiben für Menschen, die hier friedlich, respektvoll und in gutem Einvernehmen mit ihren Nachbarn leben wollen – unabhängig von ihrer Herkunft, unabhängig davon, welcher Religion sie angehören und unabhängig von ihrem Geschlecht. Wir wollen keine Hassparolen hören und lesen. Wir wollen keine Heime brennen sehen“, erklärte sie.
Frenzer-Wolf: Kein Wahlkampf auf dem Rücken Geflüchteter!
Ein so großes Bündnis habe es wohl noch nie gegeben, freute sie sich über die Menschenmenge: „Ein Auftakt für 2016, der Hoffnung macht trotz schrecklichen Ereignissen wie den Anschlägen in Istanbul oder Jakarta“. Mit Blick auf die „widerwärtigen Taten in der Silvesternacht“ forderte Frenzer-Wolf, „zu analysieren und nicht zu pauschalieren“. Auch Geflüchtete hätten es verdient, mit rechtsstaatlichen Mitteln behandelt zu werden. Eindringlich warnte die Rednerin – besonders mit Blick auf die AfD – vor einem Landtags-Wahlkampf auf dem Rücken geflüchteter Menschen: „Rechtspopulistische Parolen lösen kein einziges Problem.“
Politiker, die Ängste verstärkten, handelten unverantwortlich. Jetzt, da eine Million Flüchtlinge oder mehr zusätzlich versorgt werden müssten, zeigten sich die politischen Fehler der vergangenen Jahre etwa auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt. Die DGB-Vertreterin wandte sich entschieden dagegen, den Mindestlohn für Zuwanderer auszusetzen: Für die Probleme seien nicht die Geflüchteten verantwortlich, sondern „das Spardiktat der Politik und das ungebremste Profitstreben der Unternehmen“.
Arbeitgeber wollen keine rassistische Hetze in den Betrieben dulden
Das dürften die Unternehmerverbände anders sehen. Dennoch: „Für uns als Arbeitgeber steht unverrückbar und ohne Spielraum für Interpretationen fest: In unserer Gesellschaft ist kein Platz für Rassismus, Diskriminierung, Sexismus oder gar Gewalt in jeglicher Form. Das gilt für alle: für diejenigen, die schon lange hier leben, aber auch für diejenigen, die gerade zu uns kommen. Die Unternehmen leisten einen maßgeblichen Beitrag zu einer gelingenden Integration“, erklärte Stefan Wolf, Mitglied des Vorstands der Arbeitgeber Baden-Württemberg.
Allerdings: „Wer sagt, wir schaffen das, der muss auch sagen wie“, forderte Wolf. Man müsse auch die Frage stellen, wann ein Maß erreicht sei, unter dem der gesellschaftliche Zusammenhalt hierzulande leide. Es gehöre „Mut und Augenmaß dazu, auch über Kapazitätsgrenzen zu diskutieren.“
Landesbischof July: Stolz auf das Grundgesetz sein!
Der Landesbischof traf den Nerv des Publikums. „Wir können Verschiedenheit. Es wäre doch gelacht, wenn wir uns von den Verächtern der Menschlichkeit aus dem Konzept bringen lassen würden“, sagte Frank Otfried July, der Landesbischof der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Es gelte, Rassismus, Fremdenfeindschaft und Gewalt in allen Formen entgegenzutreten. Ob es sich um feige Brandanschläge auf Asylbewerberheime, Jagd auf Ausländer oder um sexistische Gewalt handelt: Wir zeigen dem die rote Karte.“
Wenn Menschen fliehen gebe es für die Kirchen nur einen Platz: den an ihrer Seite. July zitierte Artikel 1 des Grundgesetzes: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das gelte für alle. Er finde es „begeisternd, dass das bei uns so ist“, und deshalb kämen ja so viele, um Schutz zu suchen. Die Verfassung sei ein Reichtum und die Grundlage des Zusammenlebens. „Wer das christliche Abendlang verteidigen will, sollte nicht gotteslästerlich mit schwarz-rot-goldenen Kreuzen herumlaufen, sondern stolz auf das Grundgesetz sein.“
Die Fluchtursachen beseitigen
„Wenn wir mit offenen Augen nach vorne schauen, ist es unumgänglich, die Ursachen für die Flucht aus dem Weg zu räumen: Unmenschliche Wirtschafts- und Finanzbeziehungen, Krieg fördernde Waffenlieferungen oder die Funktionsweisen der Politik sind nur einzelne Punkte, die wir mit Papst Franziskus in diesem Zusammenhang beklagen“, sagte Martina Kastner, Vorsitzende des Diözesanrates in der Erzdiözese Freiburg.
„Uns ist bewusst, dass unsere Religion nicht immer friedlich war und ich“, betonte die Sprecherin des Diözesanrats. Umso wichtiger sei zu sagen, „dass verweigerte Barmherzigkeit nicht akzeptabel ist“. Wichtig sei, nicht nur über Flüchtlinge, sondern mit ihnen zu reden.
Frauen wollen sich nicht für Hetze instrumentalisieren lassen
„Wir Frauen haben schon immer dafür gekämpft, dass alle Menschen, gleich welchen Geschlechts, gleich welcher Herkunft, gleich welchen Alters, gleich welcher Religion, gleich welcher sexuellen Orientierung hier in Deutschland das Recht auf Würde, Schutz, Chancen und Rechte haben. Dafür stehen wir ein“, erklärte Manuela Rukavina, die Vorsitzende des Landesfrauenrates. Er verurteile „jede sexualisierte Gewalt immer und ausnahmslos.
Sie sei entsetzt über den „offenen Rassismus seit Silvester“. Es sei für sie „kaum aushaltbar, wie derzeit in der Debatte alles verquirlt wird“ – und ihr werde „speiübel“, wer sich alles angeblich für Frauenrechte einsetzt. Das Programm der AfD und Pegida setzten alles außer Kraft, was Frauen je an Rechten erkämpft hätten. Sie verteidigten Frauenrechte nur, wenn es gegen Minderheiten geht. „Nein, wir teilen nicht die gleichen Werte“, stellte Rukavina unter Jubel klar: „Wir sind nicht der Spielball, um gegen Minderheiten zu hetzen. Das verbitten wir uns!“
Nach einer Talkrunde mit Geflüchteten und Vertretern von Verbänden gab es ein Foto-Shooting: Alle beteiligten Organisationen schickten je einen Vertreter oder eine Vertreterin zum Gruppenbild auf die Bühne. Dabei sah man auch Gesichter wie Nils Schmid (SPD), Bernd Riexinger (Linke), Michael Theurer (FDP) oder Verdi-Landes-Chefin Leni Breymaier.
Den Schlusspunkt setzte die Band Wüstenblumen. Sie gründete sich bei der Bruderhausdiakonie in Reutlingen und singt in sieben Sprachen. Es versteht sich, dass die SängerInnen und MusikerInnen aus vielen Nationen die Bühne nicht ohne ohne Zugabe verlassen durften.
Die Mitglieder des Bündnisses:
DGB-Bezirk Baden-Württemberg
Arbeitgeber Baden-Württemberg
Diözese Rottenburg-Stuttgart
Erzdiözese Freiburg
Evangelische Landeskirche in Baden
Evangelische Landeskirche in Württemberg
Landesfrauenrat Baden-Württemberg
sowie
Alevitischer Landesverband Baden-Württemberg
AOK Baden-Württemberg
Arbeitsgemeinschaft Dritte Welt e.V.
Armenische Gemeinde Baden-Württemberg e.V.
AWO Baden-Württemberg
Baden-Württembergischer Handwerkstag e.V.
Baden-Württembergischer Industrie- und Handelskammertag e.V.
Badischer Sportbund Nord e.V.
BUND Landesverband Baden-Württemberg e. V.
Bündnis 90/DIE GRÜNEN Baden-Württemberg
Caritas in Baden-Württemberg
CDU Baden-Württemberg
DER PARITÄTISCHE Baden-Württemberg
Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen Baden-Württemberg
Diakonie in Baden-Württemberg
DIDF Baden-Württemberg e.V.
DIDF Jugend Baden-Württemberg
Die AnStifter e.V.
DIE LINKE. LV Baden-Württemberg
Diözesanrat der Katholiken im Erzbistum Freiburg
Evangelische Arbeitnehmerschaft
EVG Geschäftsstelle Stuttgart
FDP Landesverband Baden-Württemberg
Flüchtlingsrat Baden-Württemberg e.V.
Forum der Kulturen Stuttgart e.V.
Fritz-Erler-Forum Baden-Württemberg
GdP Landesbezirk Baden-Württemberg
Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. Baden-Württemberg
Gesellschaft Kultur des Friedens
GEW Baden-Württemberg
Grüne Jugend Baden-Württemberg
Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg e.V.
IG BAU Regionalbüro Baden-Württemberg
IG BCE Landesbezirk Baden-Württemberg
IG Metall Baden-Württemberg
Internationaler Bund e.V.
Islamische Glaubensgemeinschaft Baden-Württemberg e. V.
Israelitische Religionsgemeinschaft Baden
Israelitische Religionsgemeinschaft Württembergs
Jusos Baden-Württemberg
Jusos Stuttgart
Katholische Arbeitnehmer-Bewegung KAB
Katholische Betriebsseelsorge
Kirchlicher Dienst in der Arbeitswelt
Konrad-Adenauer-Stiftung e.V.
Landeselternbeirat Baden-Württemberg
Landesfamilienrat Baden-Württemberg
Landeshauptstadt Stuttgart
Landesjugendring Baden-Württemberg e.V.
Landesseniorenrat Baden-Württemberg e.V.
Landessportverband Baden-Württemberg e.V.
Landesverband der islamischen Kulturzentren Baden Württemberg e.V.
Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg
Mehr Demokratie Baden-Württemberg
NABU Baden-Württemberg
Naturfreunde Baden e.V.
Naturfreunde Württemberg e.V.
NGG Landesbezirk Südwest
Ohne Rüstung Leben e.V.
Reinhold-Maier-Stiftung
Schwäbischer Turnerbund e.V.
Sozialverband VdK Baden-Württemberg e.V.
SPD-Landesverband Baden-Württemberg
STAdTISTEN
Stadtjugendring Stuttgart e.V.
Stuttgart Ökologisch Sozial
Südwestmetall
Türkische Gemeinde in Baden-Württemberg e.V.
Ver.di Landesbezirk Baden-Württemberg
Verein für Internationale Jugendarbeit e.V.
Volkshochschulverband Baden-Württemberg e.V.
VVN – Bund der Antifaschisten Landesvereinigung Baden-Württemberg e.V.
Württembergischer Landessportbund e.V.
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