Bericht und Fotos von Jürgen Patzelt – Heilbronn. Unter dem Motto, „Freiheit für Öcalan“ hatte die kurdische Gemeinschaft Heilbronn zu einer Demonstration am Samstag, 16. Januar, aufgerufen. Annähernd 600 Menschen kamen und zogen vom Hauptbahnhof durch die Kaiserstraße und die südliche Allee zum Kiliansplatz in der Heilbronner City.
Begleitet wurde die Demonstration von einem massiven Polizeiaufgebot, inklusive mehrerer berittener PolizistInnen. Auch die Hundestaffel war im Einsatz. Der Demozug wurde mehrfach von der Polizei angehalten. Sie drohte an, die Versammlung aufzulösen. Begründet wurde dies durch den Einsatzleiter damit, dass „verbotene Parolen gerufen würden“.
Konkret ging es darum, dass Teile der kurdischen DemonstrantInnen in ihrer Muttersprache riefen „Biji Serok APO“ (Freiheit für Präsident APO (gemeint ist Abdulla Öcalan)). Die Polizei bewertete das Wort Serok als verboten. Dem Verhandlungsgeschick der Demoleiterin und der OrdnerInnen war es zu verdanken, dass der Demozug fortgesetzt werden konnte und friedlich auf dem Kiliansplatz ankam.
Das Tragen von Fahnen mit dem Konterfei von Abdullah Öcalan war von der Stadtverwaltung zwar erlaubt worden. Allerdings war es so, dass die gerufene Forderung nach Freiheit für Öcalan nicht in Verbindung mit der aktuellen Lage in Kurdistan stehen durfte. Dies wäre, so aus dem Umfeld der kurdischen Gemeinde, nur dann möglich/erlaubt, wenn die entsprechenden Fahnen/Banner eingerollt würden.
Nach dem Redebeitrag des Vorsitzenden der kurdischen Gemeinde sollte auch ein Vertreter der Linken sprechen. Dazu kam es aber nicht. Grund war eine Unruhe, die entstand, als in einem Schaufenster Fahnen der PKK hochgehalten wurden.
Im Zuge dieser Hektik (die Polizei sperrte den Eingangsbereich des Geschäftes), wurden dann zwei Böller in unmittelbarer Nähe der Polizeipferde gezündet. Daraufhin entschloss sich der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinschaft, die Veranstaltung vorzeitig zu beenden.
Die Polizei nahm anschließend aus der sich langsam auflösenden Menschenmenge heraus fünf Personen fest, die später wieder freigelassen wurden.
Auszüge aus der Rede von Orhan Ates:
Solidarität mit dem Widerstand in Kurdistan
(…) Die türkische AKP-Regierung verstärkt ihre Repressionspolitik gegenüber dem Freiheitskampf des kurdischen Volkes und dem Demokratiekampf der Völker in der Türkei. Um die Forderung des kurdischen Volkes nach Selbstverwaltung abzuwehren, werden kurdische Städte belagert und Menschen mit brutalster Gewalt bekämpft. Der Forderung nach Frieden wird mit Repressionen, Inhaftierungen und Morden begegnet.
Die Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit sind außer Kraft gesetzt. Jede Kritik an dem Staatspräsidenten Erdoğan führt zu Ermittlungsverfahren. Protestaktionen und Demonstrationen werden unter Einsatz von Tränengas und Polizeigewalt aufgelöst. Demokratische Organisationen wie die Demokratische Partei der Völker (HDP) werden verfolgt und sollen verboten werden.
Es ist blanker Hohn und Heuchelei, dass die EU und die Bundesregierung unter diesen Bedingungen die AKP-Regierung und Recep Tayyip Erdoğan unterstützen, die reaktionäre und faschistische Kräfte wie den IS unterstützen und in Syrien und dem Nahen Osten Kriegshetze betreiben.
Um die Flüchtlingskrise mit deren Hilfe zu lösen, unterstützen NATO, EU und die Bundesregierung die Türkei. Das macht sie zu Mittätern bei der undemokratischen Verfolgung und der auf die Vernichtung des kurdischen Volkes ausgerichteten Politik. Die Flüchtlingskrise kann nicht mithilfe einer Regierung gelöst werden, die Terrororganisationen wie den IS unterstützt und Kriegshetze betreibt.
Wir erklären uns solidarisch mit dem Kampf des kurdischen Volkes und der Völker in der Türkei um Freiheit und Demokratie. Wir rufen die europäischen Völker auf, gegen die Unterstützung der türkischen Regierung durch ihre jeweilige Regierung einzutreten. Widersetzen Sie sich dieser Hilfeleistung zur Vernichtung des kurdischen Volkes und einer unmenschlichen Politik gegenüber den Flüchtlingen. Denn die unmenschlichen Lebensbedingungen und die Flüchtlingskrise in Türkei, Syrien und dem Irak, die jetzt auch Europa erreicht hat, sind unmittelbare Folge dieser Politik. (…)
Aus der nicht gehaltenen Rede von Konrad Wanner, Ersatzkandidat der LINKEN für die Landtagswahl ebenfalls einige Auszüge:
(…) Die Linke Heilbronn erklärt sich solidarisch mit dem Kampf des kurdischen Volkes gegen die Unterdrückung insbesondere durch die türkische Staatsmacht. Terror und Gewalt müssen aufhören!
Seit Juli 2015, also unmittelbar nach den Parlamentswahlen und dem Erfolg der HDP hat die türkische Regierung ihre Friedensgespräche mit den politischen Repräsentanten der kurdischen Bewegung abgebrochen und ist zur Bekämpfung der Kurdischen Arbeiterpartei PKK zurückgekehrt.
Wir erinnern uns alle, dass im Jahr 2013 nach Jahrzehnten der gewaltgeprägten Auseinandersetzungen ein Prozess der Verhandlungen und Versuche begann, die demokratischen Rechte der kurdischen Bevölkerung in der Türkei anzuerkennen und zu respektieren, der Gewalt wurde von beiden Seiten abgeschworen.
Als im Sommer 2015 bei den Parlamentswahlen das Bündnis HDP über 13% der Stimmen errang und Abgeordnete im Parlament vertreten waren, die sich für die Rechte der kurdischen Bevölkerung einsetzten und gleichzeitig die AKP die absolute Mehrheit verlor, begann der türkische Staat erneut mit dem Terror und der Gewalt in den kurdischen Gebieten.
Seitdem herrscht mit zunehmender Gewalt Krieg im Südosten der Türkei/Nordkurdistan.
Was als Bürgerkrieg in den deutschen Medien dargestellt wird, ist in Wahrheit ein Angriff des türkischen Militärs auf die kurdische Bevölkerung mit allen Mitteln. Seit Monaten werden die kurdischen Städte in Nordkurdistan mit schweren Kriegswaffen belagert. Mit Panzern, Kampfhubschraubern, einem breiten Aufgebot von Soldaten, Spezialkräften und Polizisten greifen die türkischen Kampfeinheiten die kurdische Zivilbevölkerung in mehr als 17 Ortschaften, u.a. Cizre, Nusaybin, Sur, Mardin und Sirnak an. Eine totale Ausgangssperre ist über diese Orte verhängt worden, Wasser und Strom wurden abgeschaltet und die Lebensmittelversorgung ist unterbrochen.
Bis heute fielen den Angriffen von Militär und Polizei über 500 Menschen zum Opfer – mit permanent ansteigender Zahl. Allein drei Selbstmordattentate in Diyarbakir, Suruc und Ankara kosteten 138 Menschen das Leben und 929 wurden verletzt.
Ziel der Attentate waren Versammlungen der HDP oder Demonstrationen der Opposition.
Jede Opposition gegen die AKP Regierung wird in der Türkei verfolgt.
Der HDP droht nun ein Parteien-Verbotsverfahren. Zahlreiche Bürgermeister und HDP Funktionäre wurden verhaftet oder stehen unter Beobachtung.
Die Verhaftungswelle gegen regierungskritische Journalisten, Gewerkschafter und Linke, die alle als „Staatsfeinde/Verräter“ verfolgt werden, reißt nicht ab. Aktuell ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen 1.000 Akademiker, die eine Friedenserklärung zu Beendigung der militärischen Operationen veröffentlicht hatten. Es sind auch zahlreiche demokratisch gesinnte Politikerinnen und Politiker der Opposition sowie Journalistinnen und Journalisten, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in Haft genommen worden.
Die Folter, die nie aufgegeben worden war, wird unter der Aufsicht der Sicherheitskräfte in den Internierungslagern, Gefängnissen und Militärbaracken weiter ausgedehnt und verschärft. Während der ersten elf Monate des Jahres 2015 wurden über 560 Fälle von Folter berichtet, ohne dass die Folterer zur Rechenschaft gezogen würden.
Während der jüngsten Großoffensive in der Provinz Sirnak nahe der syrischen Grenze mit dem Einsatz von über 10 000 Soldaten und Spezialkräften der Polizei äußerten Staatspräsident Erdogan und Ministerpräsident Davutoglu, dass der Krieg gegen die Kurden solange fortgeführt werde, bis die PKK „vernichtet“ und die Städte „gesäubert“ seien. Über 100 Menschen fielen den Angriffen in der letzten Woche zum Opfer, über 200 000 Menschen sind derzeit auf der Flucht.
Ein solcher Krieg in einem NATO-Staat ist nicht tragbar. Es ist eine ungeheuerliche Provokation, dass ein Staat, der um die Aufnahme in die EU nachsucht, gleichzeitig ein Volk und andere demokratisch gesinnte Menschen in seinen Grenzen mit Gewalt und Krieg bekämpft. Die demokratischen Rechte der kurdischen Bevölkerung in der Türkei dürfen nicht mit Gewalt und Terror verhindert werden. Hier sind vor allem die Staaten der NATO und der EU in ihrer Verantwortung für einen gegenwärtigen oder zukünftigen Mitgliedsstaat gefragt. (…)
Wir fordern (…) die Bundesregierung dringend auf, ihren ganzen Einfluss bei der türkischen Regierung geltend zu machen und Druck auf sie auszuüben, die militärischen Angriffe sofort einzustellen und die Friedensgespräche auch mit Abdullah Öcalan für eine Friedenslösung wieder aufzunehmen.
Dazu ist es notwendig, die PKK von der Terrorliste zu nehmen, um einen echten Dialog für eine ernsthafte Friedenslösung zwischen der türkischen Regierung und dem kurdischen Volk zu ermöglichen.
Stoppt den Krieg in Kurdistan! Kein Terror und keine Gewalt, zurück an den Verhandlungstisch!
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