Von unseren Reportern – Villingen-Schwenningen. Etwa 300 Menschen protestierten am Samstag, 30. Januar, um die Mittagszeit auf dem Marktplatz von Villingen gegen rechte Gewalt und drückten ihre Solidarität mit Geflüchteten aus. Sie zeigten sich entsetzt über den Handgranaten-Angriff auf eine Flüchtlingsunterkunft in der Nacht zum Vortag. Zum Glück war bei dem Anschlag niemand verletzt worden, weil der übe den Zaun geworfene Sprengsatz nicht explodierte und das Sicherheitspersonal ihn wohl unmittelbar, nachdem er geworfen worden war, entdeckte.
Zu der Kundgebung hatte das Offene Antifaschistische Treffen OAT mit Unterstützung des Bündnisses „VS ist bunt“ aufgerufen. Es kamen viele junge Leute und MigrantInnen, aber auch bürgerliches Publikum – so etwa Vertreter der Kirche. Redner des OAT, der ATIF, der Verdi Jugend, der ADHF und der Konföderation der ArbeiterInnen aus der Türkei in Europa ATIK hielten Ansprachen.
Rechte Szene radikalisiert sich weiter
„Es ist mehr als erschreckend, was hier vor unserer Haustüre vorletzte Nacht passiert ist, denn es zeigt ein neues Ausmaß rechter Gewalt, welcher wir uns alle entschieden entgegen stellen müssen“, sagte Deniz Zengin, Jugendsekretär der Gewerkschaft Verdi. Spätestens seit den NSU-Morden sei klar, dass die rechte Szene „vor brutaler Gewalt und dem Gebrauch von Waffen“ nicht zurückschreckt.
Gerade in Deutschland dürfe man bei Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz nicht wegschauen. Statt die Gesellschaft zu besänftigen, beteilige sich die Bundesregierung jedoch am Syrienkrieg, lasse Waffenexporte weiter zu und verschärfe das Asylrecht.
Videostatement von Oberbürgermeister Kubon
Den meisten Applaus bekam jedoch der fast hundertjährige Linke, Antifaschist und frühere Agrarwissenschaftler Theodor Bergmann aus Stuttgart. Eindringlich rief er in seiner frei gehaltenen Rede dazu auf, angesichts der aktuellen Entwicklung zusammenzustehen und Neonazis die Stirn zu bieten.
Auch der Oberbürgermeister von Villingen-Schwenningen Rupert Kubon war vor Ort. Er sprach nicht bei der etwa einstündigen Kundgebung, gab aber den Beobachter News gegenüber ein Videostatement ab.
Spontandemo zur Flüchtlingsaufnahmestelle
Etwa 150 Kundgebungsteilnehmer bildeten einen Demonstrationszug zur gut einen Kilometer entfernten Erstaufnahmestelle für Flüchtlinge in der Dattenbergstraße, die Ziel des Handgranatenangriffs war. Dort sprach Theodor Bergmann, der den Weg ebenfalls zu Fuß zurückgelegt hatte, erneut über Megaphon.
Er ging detailliert auf das Thema Fluchtursachen ein und forderte einen Stopp der deutschen Waffenexporte. Einige Flüchtlinge kamen aus der Erstaufnahmestelle und bedankten sich für die Solidarität. Danach zogen die DemonstrantInnen zurück zum Latschariplatz, wo sich die Kundgebung auflöste.
Zwischenfall um die Mittagszeit am Bahnhof
Die Polizei – nicht wie sonst üblich in Einsatzmontur, sondern in normaler Uniform – hielt sich während der Demonstration im Hintergrund. Allerdings kreiste ein Polizeihubschrauber über der Stadt, in der auch Neonazis unterwegs waren, um Flyer zu verteilen und Aufkleber anzubringen. Die Polizei sprach in einer Pressemitteilung zunächst von 80 Personen aus dem rechten Spektrum. Die Teilnehmerzahl wurde später aber von der Polizei berichtigt – es sollen nur acht Rechte vor Ort gewesen sein. Sie habe zehn Streifen eingesetzt, um die Aktionen zwischen 12 Uhr und 14.30 Uhr zu überwachen.
Die Kundgebungen und die Spontandemonstrationen verliefen ohne Störungen und durchweg friedlich. Doch gegen 12.30 Uhr hatte es nach Polizeiangaben einen Zwischenfall gegeben. Am Bahnhof gab es demnach Handgreiflichkeiten zwischen etwa zehn Beteiligten. Allerdings hätten sich die Kontrahenten schon vor dem Eintreffen der Polizei vom Ort des Geschehens entfernt. Es gebe keine konkreten Hinweise auf die Zusammensetzung der beteiligten Gruppen oder auf Verletzte.
Sonderkommission aus 75 Ermittlern
Für Samstag, 6. Februar, ist erneut eine Solidaritäts-Demonstration mit Flüchtlingen in der Doppelstadt geplant. Sie beginnt um 14 Uhr am Bahnhof in Villingen.
In der Flüchtlingsunterkunft leben über 100 Menschen. 20 von ihnen mussten das Gebäude verlassen, während die jugoslawische Handgranate vom Typ M52 kontrolliert zur Explosion gebracht wurde. Der Splint war gezogen, der Zünder wurde bisher nicht gefunden. Die Polizei hat eine Sonderkommission aus 75 Ermittlern gebildet, hieß es bei einer Pressekonferenz (unten im Video). Da die Kriegswaffe neben einem Container des Sicherheitsdienstes landete, hält die Polizei neben einem fremdenfeindlichen Anschlag auch einen Angriff auf dessen Mitarbeiter für möglich.
Nachstehend dokumentieren wir den Redebeitrag von Deniz Zengin, Jugendsekretär Verdi, Schwarzwald-Bodensee:
Vielen Dank erst mal an die Organisatorinnen und Organisatoren für die Einladung hier sprechen zu dürfen.
Mein Name ist Deniz Zengin und ich bin Jugendsekretär bei der Gewerkschaft ver.di hier im Bezirk.
Ich finde es schön, dass heute so viele Menschen zusammen gekommen sind um Solidarität mit unseren Brüdern und Schwestern zu zeigen – die vor Terror, Armut oder Hoffnung auf ein besseres Leben nach Deutschland fliehen.
Es ist mehr als erschreckend was hier vor unserer Haustüre vorletzte Nacht passiert ist, denn es zeigt ein neues Ausmaß rechter Gewalt, welcher wir uns alle entschieden entgegen stellen müssen.
Wir als Gewerkschaft ver.di verurteilen diesen rechtsterroristischen Akt aufs schärfste und wir zeigen uns solidarisch mit allen Schutzbedürftigen — und heute zeigen wir uns solidarisch mit Bewohnerinnen und Bewohnern die gerade in der BEA in Villingen-Schwenningen untergebracht sind.
Wir wissen nicht erst seit gestern, dass momentan in erhöhtem Maße in ganz Deutschland Anschläge auf Asylbewerberheime verübt werden. So wurden auch wir Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter Opfer eines Farbanschlags auf unser Haus in der Arndtstraße in Schwenningen, ende letzten Jahres.
Und wir wissen spätestens seit den NSU Morden, dass die rechte Szene vor brutaler Gewalt und dem Gebrauch von Waffen nicht zurückschreckt.
Gerade in Deutschland darf man bei Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz nicht einfach wegschauen! Vielmehr müssen Wir Flagge zeigen und Diskussionen provozieren.
Doch anstatt unsere Regierung versucht die Gesellschaft zu besänftigen und zurück zur Vernunft zu bringen, beteiligt sich Deutschland nun weiterhin an den Fluchtursachen
– wie dem militärischen Einsatz in Syrien, dem Aufbau Mauern und Grenzen,
– oder den weltweiten Waffenexporten,
– Sie verschärfen das Asylrecht und wollen die Möglichkeit auf Familienrückführung abschaffen.
ALL DAS, LIEBE KOLLEGINNEN UND KOLLEGEN, BRAUCHEN WIR NICHT!!
Wir brauchen nicht mehr Geld für Waffen, Mauern und Grenzen, sondern mehr für Krankenhäuser, Schulen, Ehrenamt und soziale Einrichtungen.
Warum werden denn kaum Diskussionen darüber geführt wie wir Geflüchtete am schnellsten in den Alltag integrieren können? Nicht nur wir als Gewerkschaft, JA sogar die Deutsche Wirtschaft, verlangt nach einer schnellen Eingliederung in ein Arbeitsverhältnis.
Denn nur so erst können Menschen ein höheres Maß an Selbstbewusstsein erlangen und sich in den kollegialen Alltag im Betrieb und letztendlich in die Gesellschaft integrieren. Andersrum werden so Vorurteile in der Gesellschaft beseitigt und es wird versucht eines neues WIR zu erschaffen.
Auch Ver.di wäre heute keine Gewerkschaft ohne unsere zugezogenen Kolleginnen und Kollegen. Und unsere Gesellschaft wäre ohne UNS ALLE ebenfalls nichts.
In diesem Sinne:
SAY IT LOUD, SAY IT CLEAR – REFUGEES ARE WELCOME HERE!!!
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