Von unseren ReporterInnen – Reutlingen. Gut 350 Menschen demonstrierten am Freitagabend, 29. Januar, auf dem Reutlinger Marktplatz gegen die AfD. Die rechtsradikale, in weiten Teilen rassistische Partei hatte zu einem Neujahrsempfang mit ihrem stellvertretenden Vorsitzenden Alexander Gauland im benachbarten Spitalhof geladen. Nach Polizeiangaben waren 200 Gäste im Saal. Etwa hundert AntifaschistInnen versuchten, in einem Akt des zivilen Ungehorsams die Zugänge zu blockieren. Sie wurden jedoch von der Polizei am Haupteingang mit Pfefferspray in Empfang genommen.
„Deutsche Polizisten schützen die Faschisten“, wurde skandiert – neben Parolen wie „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“, „Say it loud, say it clear, Refugees are welcome here“ oder „Ob Pegida oder AfD – stoppt den Rechtsruck in der BRD“.
Die im Torbogen des Spitalhofs dicht an dicht postierten Beamten schleusten die AFD-Anhänger durch die Menge. Weil auch der Hintereingang in der Metzgerstraße blockiert war, gelangten jedoch nicht alle zu der Veranstaltung. Dort hatten nach Polizeiangaben „ca. 40 Personen der linken Szene das Stahltor des Hofes mit einen Fahrradschloss geschlossen“, weshalb die Beamten einen Bolzenschneider einsetzten.
Drei Polizisten und linke DemonstrantInnen verletzt
Einige der verärgerten AfD-Anhänger zeigten sich nicht nur mit Worten äußerst aggressiv, sondern griffen die GegendemonstrantInnen zum Teil auch körperlich an. Dabei tat sich eine völlig aufgebrachte Frau besonders hervor. „Ihr seid doch alle von der Zelle“, dem Reutlinger Jugendhaus, bekamen die Blockierer von einem Mann zu hören . „In eine Zelle gehören vielleicht Sie“, gaben sie zurück.
Der Polizei zufolge habe es auch tätliche Übergriffe gegen Beamte gegeben. Nicht nur die Polizei habe Pfefferspray eingesetzt. Es sei auch aus der Gruppe der Blockierenden gesprüht worden. Ob dadurch oder durch Pfefferspray aus den eigenen Reihen: Neben linken DemonstrantInnen trugen offenbar auch zwei Polizeibeamte Augenreizungen davon. Ein weiterer Polizist zog sich bei den Rangeleien eine Platzwunde am Kopf zu. Offenbar konnten alle drei Beamte ihren Dienst jedoch fortsetzen.
22 Organisationen riefen zu der Kundgebung auf
Die Polizei erteilte mehrere Platzverweise und nahm nach eigenen Angaben einen Mann aus dem linken Spektrum fest. Bei ihm sei ein Tierabwehrspray gefunden worden. Er müsse sich nun wegen eines Verstoßes gegen das Versammlungsrecht verantworten. Wegen der Blockade hätten Kinder nach dem Musikunterricht noch eine Zeitlang im Spitalhof bleiben und ihn durch den Notausgang verlassen müssen. Auch etliche Gäste des Theaters Tonne hätten den Notausgang nutzen müssen, um zu dem um 20 Uhr beginnenden, ausverkauften Monospektakel-Stück zu gelangen. Insgesamt seien an dem Abend über 130 Beamte im Einsatz gewesen.
Zu der Gegenkundgebung auf dem Marktplatz, die um 18 Uhr begann, hatten 22 Gruppen des Reutlinger Bündnisses für Toleranz und Vielfalt aufgerufen – so etwa die Bundes- und Landtagsparteien mit Ausnahme der CDU und Gewerkschaften. Es sprachen der Landtagsabgeordnete der Grünen Thomas Poreski, der Erste Bevollmächtigte der IG-Metall Reutlingen Ernst Blinzinger und der Reutlinger SPD-Ortsvorsitzende Boris Niclas-Tölle – ebenso Martin Gross, stellvertretender Landesleiter von Verdi, und die Reutlinger Stadträtin und Landtagskandidatin der Linken Jessica Tatti (siehe unten im Wortlaut).
Spontandemonstration zum Abschluss
Die Kundgebung wurde nach dem Vorfall aufgelöst, berichtet der „SWR“. Die Veranstalter hätten sich verärgert gezeigt: Man habe die Demonstranten immer wieder aufgefordert friedlich zu bleiben.
Die Linksjugend Solid Reutlingen bedauerte inzwischen in einer Pressemitteilung (siehe hier) die aus ihrer Sicht überflüssige Distanzierung eines Redners von der beabsichtigten friedlichen Blockadeaktion. Auch habe die Polizei mit überzogenem Vorgehen zur Eskalation beigetragen.
Kurz nach 20 Uhr beendeten die AktivistInnen ihre Aktion. Etwa hundert Männer und Frauen zogen mit Transparenten und Parolen in einer Spontandemonstration über die Wilhelmstraße und Karlstraße zum Bahnhof.
Die UnterstützerInnen des Aufrufs zur Kundgebung gegen die AfD:
DGB Kreisverband, IG-Metall Reutlingen-Tübingen, Verdi-Bezirk Fils-Neckar-Alb, Asylpfarramt, Amnesty International, Asylcafé, FDP, Grüne, SPD, Linke Liste, Integrationsrat, Jugendgemeinderat, Zelle, franz.K., Ridaf, Türkischer Kultur- und Integrationsverein, Naturtheater, Netzwerk Kultur, Linksjugend Solid, unabhängige Reutlinger Frauengruppe und Arbeiterwohlfahrt.
Die Rede der Reutlinger Stadträtin und Landtagskandidatin der Linken Jessica Tatti im Wortlaut:
Liebe Reutlingerinnen und Reutlinger, liebe Freundinnen und Freunde des Antifaschismus,
wir sind heute hier, um das klare Zeichen zu setzen, dass die AfD in Reutlingen nicht willkommen ist! Die AfD ist keine Alternative. Sie ist antidemokratisch und sie ist rassistisch.
Und sie ist unwählbar und zwar für alle. Nicht nicht nur wegen ihrer Nähe zu Pegida und ihrer unerträglichen Positionen zu Flüchtlingen, die einen Angriff auf deren und auf unser aller Menschenrechte darstellen. Die AfD will die von ihr sogenannte illegale Einwanderung von Asylsuchenden durch die sofortige Sicherung der deutschen Grenzen verhindern.
Wir leben aber in einem Rechtsstaat mit Gewaltenteilung, in dem nicht die Bundespolizei über die Asylgesuche entscheidet sondern Gerichte im Asylverfahren. Jeder Mensch dieser Welt hat einen Rechtsanspruch auf ein Asylgesuch.
Wer Flüchtlinge bereits an der Grenze abweist ist ein Feind des Rechtsstaats. Mal ganz davon abgesehen, dass die AfD damit die Freizügigkeit innerhalb der EU durch Binnengrenzen abschaffen will.
Und wir können das Thema Flucht sogar völlig außer Acht lassen, um die AfD zu demaskieren.
Was bleibt von der AfD neben ihrer Flüchtlingshetze?
Die AfD vertritt bis aufs Äußerste marktradikale und ultraliberale Wirtschaftsvorstellungen, in denen das Eigentum über allem steht und sich Menschen und Politik dem freien Markt unterzuordnen haben.
Spitzensteuersätze würden mit der AfD drastisch fallen und Reiche damit noch mehr aus der sozialen Verantwortung für unsere Gesellschaft entlassen, während Arbeitnehmer_innen und Sozialleistungsempfänger_innen weiter ausgeblutet werden sollen.
Die AfD will, dass sich der Staat aus seinen ureigensten Verantwortungen wie Kita und Bildung mehr zurückzieht und diese mehr auf die Eltern übertragen werden. Der Staat soll hier eher ergänzend tätig sein. Das ist ein Angriff auf die Chancengleichheit unserer Kinder.
Die AfD ist politischer Gegner des Sozialstaats und der sozialen Gerechtigkeit und deshalb sind wir alle gemeinsam politischer Gegner der AfD!
Die AfD ist gewerkschaftsfeindlich bis aufs Blut und setzt sich gegen die demokratische Selbstorganisation von Beschäftigten ein.
Mitglieder der AfD haben ernsthaft diskutiert sozial Schwächeren das Wahlrecht zu entziehen.
Und die AfD greift die Rechte von Minderheiten an. Sie ist nicht nur fremdenfeindlich sondern auch homophob und antifeministisch und betreibt eine rückwärtsgewandte Politik gegen ein selbstbestimmtes Leben. Nicht mit uns!
DIE LINKE wendet sich entschieden gegen den politischen Irrweg der AfD und gegen ihre Normalisierung in der politischen Debatte, auch gerade jetzt während des Landtagswahlkampfs.
Es ist unerträglich, dass die AfD mehr und mehr als normale politische Akteurin behandelt wird, die Einladungen zu Podien erhält, um einen Wahlkampf für ihre Rechtspropaganda zu führen.
Die AfD steht außerhalb einer offenen, demokratischen und egalitären Gesellschaft.
Und deshalb ist es auch mitnichten ein undemokratischer Akt die AfD von Podiumsdiskussionen auszuschließen. Toleranz darf niemals der Intoleranz gelten!
Eine Demokratie darf und muss sich entschieden zur Wehr setzen, wenn antidemokratische und selbsternannte Gutsherren auf lange erkämpften Grund- und Menschenrechten herumtrampeln.
Der wichtigste Faktor der kommenden Landtagswahl wird die Wahlbeteiligung sein. Ich appelliere an alle Wahlberechtigten am 13. März wählen zu gehen und der AfD mit einer Stimme für eine demokratische Partei eine Abfuhr zu erteilen.
Alle Anhänger_innen demokratischer Parteien und Organisationen sind aufgefordert die inhaltliche und politische Abgrenzung zur AfD vorzunehmen und sie als das zu entlarven und zu isolieren was sie ist: Menschenfeindlich, wirtschaftsdevot und rassistisch.
Es darf keine Teilung im Kampf gegen Rassismus geben. Deshalb ist es Zeit, dass wir alle gemeinsam und energisch für eine weltoffene Gesellschaft eintreten.
Die AfD hat in ihr keinen Platz!
Folge uns!