Von Tape Lago – Büdingen. Eine Stadt wehrt sich gegen einen rechten Aufmarsch: Neonazis marschierten unter massiver Polizeibegleitung im hessischen Büdingen auf. Doch weit über 1000 Menschen traten den rund hundert Rechten entgegen.
Ein breites Bündnis aus AntifaschistInnen, Parteien, Kirche, Gewerkschaften und Vereinen demonstrierte am Samstag, 30. Januar, gegen einen Neonazi-Aufmarsch in Büdingen (Wetterau). Zur Demonstration gegen den braunen Mob hatte das Bündnis „Gesichtzeigen – Büdingen ist weltoffen“ aufgerufen. Die Polizei war vor Ort mit Hunderten Beamten, um die Neonazis ungestört aufmarschieren zu lassen.
Doch die NazigegnerInnen ließen sich nicht von dem großen Aufgebot und dem martialischen Auftritt der Polizisten nicht beeindrucken und trugen ihren Protest lautstark auf die Straße. Melanie Dittmer, Anmelderin der rechten Demonstration, hatte mit mehreren Hundert Getreuer gerechnet. Doch gekommen war nur ein Haufen Neonazis und Hooligans.
Überdimensionale Polizeipräsenz
Es sollen rund 1000 Einsatzkräfte in Büdingen gewesen sein. Die Stimmung in der Bündiger Innenstadt war gedrückt. Hunderte Polizeibeamten patrouillierten durch die Kleinstadt. Einige EinwohnerInnen und Geschäftsleute rechneten mit Verwüstung und Chaos. Eine ältere Frau, mit der wir sprachen, fragte sich, warum Behörden Neonazis aufmarschieren ließen. Die Nazis gehörten verboten, fügte sie offenbar genervt hinzu.
Zahlreiche LadenbesitzerInnen ließen ihre Geschäfte mit Holzplatten verbarrikadieren. Die Familienstadt Büdingen erwartete einen Aufmarsch von gewaltbereiten Neonazis, Hooligans und eine breite Gegendemonstration. Die überdimensionale Polizeipräsenz erinnerte an einen Ausnahmezustand.
Bahnhofsviertel zur Gefahrenzone erklärt
An mehreren Ecken der Innenstadt waren Polizeifahrzeuge, Beamten in Zivil und Uniform auszumachen. Das Bahnhofviertel wurde zur Gefahrenzone erklärt. Auf dem Parkplatz des REWE-Marktes in der Nähe des Bahnhofs standen am früheren Nachmittag schon zwei Wasserwerfer, ein Räumpanzer, ein Gefangenentransporter und einige Polizeifahrzeuge.
Der REWE-Lebensmittelmarkt war der Versammlungsort der Neonazis, die am späten Nachmittag eintreffen sollten. Neben den EinwohnerInnen, die Angst vor Ausschreitungen hatten und zu Hause blieben, gab es diejenigen, die den Neonazis und Hooligans entgegentreten wollten. Hunderte fanden bereits am Nachmittag den Weg zum Großendorf-Parkplatz (am Kreisel). Dort war die Kundgebung „Gesichtzeigen – Büdingen ist weltoffen“ gegen die Neonazis und Hooligans geplant.
Polizei lässt dem Gegenprotest zu wenig Raum
Das Wetter war regnerisch, windig und kalt. Trotz der ungünstigen Witterung kamen Hunderte AntifaschistInnen und Linke aus Frankfurt, Wiesbaden und anderen Städten. PolitikerInnen, Gewerkschaftsmitglieder und andere BürgerInnen gingen zum Großendorf-Parkplatz, um ihren Protest gegen den Neonazi-Aufmarsch kundzutun. Sie trugen Plakate, Transparente und andere Gegenstände, auf denen das Thema der Veranstaltung ersichtlich war.
Annette Ludwig, No Fragida-Sprecherin und Kandidatin der ÖkoLinX-Antirassistische Liste bei der Kommunalwahl in Frankfurt, war frühzeitig in der Stadt und stellte mit Entsetzen fest, dass aus ihrer Sicht der Polizeieinsatz mehr als übertrieben war. Vor Beginn der Kundgebung, bat sie die Polizei, die Absperrgitter wegen der großen Menschenmenge auf dem Großendorf-Parkplatz zurückzusetzen, damit die DemonstrantInnen ein wenig Luft bekommen konnten.
NazigegnerInnen müssen sich den Umständen anpassen
Doch ihr Wunsch blieb ungehört. Sie vermerkte diesen Sachverhalt später in ihrem Redebeitrag. Die NazigegnerInnen mussten sich den Umständen anpassen. Der Großendorf-Parkplatz war voll und es regnete. Unter diesen Gegebenheiten startete gegen 16 Uhr die Gegendemonstration „Gesichtzeigen – Bündigen Ist Weltoffen“. Es ging bei der Kundgebung, Solidarität und Unterstützung für Flüchtlinge zu zeigen. Die TeilnehmerInnen wollten klarmachen, dass eine gute Nachbarschaft mit Geflüchteten möglich und gewünscht sei und dass Neonazis in Büdingen nicht willkommen seien.
Als erster Redner, sprach Ehrenbürger Jules-August Schröder über seine Erfahrungen mit dem Nazi-Regime. Er berichtete, wie er in seiner Geburtsstadt Hamburg die braunen Bataillone der SA, der paramilitärischen Kampforganisation der NSDAP, oder der Hitlerjugend mit Fackeln von seinem Kinderzimmer aus beobachtete.
Mehr Solidarität für Flüchtlinge und Juden
Vier Wochen nach dem Bombenangriff auf Hamburg im Juli 1943 wurde Jules-August Schröder von einem Onkel in Büdingen am Bahnhof abgeholt. „Freundliche Menschen hatten uns aufgenommen und uns eine neue Heimat beschert” sagte er und wunderte er sich, warum man heute Neonazis aufmarschieren lässt. Um die demokratischen Strukturen zu stärken, habe er sich in der Politik engagiert und unterstütze heute die Büdinger Ehrenamtsagentur. Sie helfe denjenigen, die ein dreiviertel Jahrhundert später nach langer und gefährlicher Flucht nach Büdingen kommen. Schröder forderte die TeilnehmerInnen und die ganze Bevölkerung auf, sich stark für Geflüchtete zu machen, damit die Tradition der Willkommenskultur bewahrt werden kann.
Auch die Büdinger JugendvertreterInnen riefen ihre Altersgenossen auf, sich für Flüchtlinge zu engagieren und mehr Toleranz und Empathie für Menschen in Not zu zeigen. Manfred de Fries vom Vorstand der Jüdischen Gemeinde Bad Nauheim plädierte für mehr Solidarität in der Gesellschaft in dieser Zeit – sowohl für Flüchtlinge als auch für die Juden. Ob Kirchengemeinden, Parteien, Gewerkschaften oder andere Organisationen, alle RednerInnen forderten die Demonstrierenden und die Bevölkerung auf, Gesicht gegen Rechts zu zeigen und Menschen, die vor Kriegen, Gewalt, Armut und Elend fliehen müssen, zu unterstützen. Die ganze Gesellschaft solle sich gegen Neonazis und ihre Umtriebe wehren.
- Bernd Friedel, SPD
- Musikalische Begleitung
- Moderator der Kundgebung gegen die Neonazis
- Bündnissprecher
- Bündinger Jugend
Krasse rassistische Hetze gegen Flüchtlinge und MigrantInnen
Während der Kundgebung am Großendorf-Parkplatz reisten die Neonazis unter polizeilicher Aufsicht in einem Konvoi an. An den Fahrzeugen war kein Büdinger Kennzeichen zu sehen. Unter den angereisten Neonazis waren Funktionäre von Neonazi-Parteien auszumachen. Das waren Jean Christoph Fiedler (NPD), Stefan Jagsch (NPD), Christopher von Mengersen, Bonner Stadtverordneter (Pro NRW). Vertreter der Kleinpartei „Die Rechte“ waren ebenfalls anwesend.
- Christopher von Mengersen (mit Koffer), Pro NRW
- Ankunft der Neonazis
Auch einige Neonazis des „Freien Netz Hessen“ und der Gruppierung „Mädelbund Henriette Reker“ waren da. Es war ein reines Neonazi-Treffen in Büdingen. Kaum waren die Teilnehmer eingetroffen, riegelten Hunderte Beamte die Bahnhofstraße verstärkt ab und sicherten die Demoroute der Rechten. Nur PresseverteterInnen und die eigetroffenen Anhänger des Nationalsozialismus durften sich im Bereich von REWE und der Bahnhofstraße bewegen.
Hassparolen gegen Geflüchtete und die Kanzlerin
Die Gegendemonstranten waren auf dem Großendorf-Parkplatz wie eingeschlossen. Dort wurde der Protest sehr laut, als die Neonazis ihre Auftaktkundgebung starteten. Am 30. Januar 1933 waren infolge der „Machtergreifung“ Hitlers Nationalsozialisten mit Fackeln durch das Brandenburger Tor in Berlin gezogen. Unter dem Motto „Büdingen wehrt sich – Asylflut stoppen“ wollten die Neonazis demonstrieren. An einem Datum das historisch vorbelastet ist.
Da das Bundesverfassungsgericht den Fackelmarsch verboten hatte, durften sie nicht mit Fackeln aufmarschieren.
Melanie Dittmer, bekannte Kameradin der Neonazi-Szene und Demoanmelderin, gab die ersten Töne vor. Sie brüllte ihren Hass gegen Angela Merkel und die Geflüchtete heraus. Sie bezeichnete Flüchtlinge als „Invasoren“, „sozialschmarotzende Touristen“ und „gesetzlose Primaten“. Zudem forderte sie die Gründung von Bürgerwehren.
„Nationaler Sozialismus jetzt“
Kurz nach 17.30 Uhr startete der Demonstrationszug der Neonazis. Die Rechtsradikalen schwenkten schwarz-weiß-rote Reichsflaggen, Deutschland Flaggen und andere Fahnen der rechten Szene. „Alles für Volk, Rasse und Nation“, „Nationaler Sozialismus jetzt“ und „Ali, Mehmet, Mustafa, geht zurück nach Ankara“ riefen sie sehr aggressiv. Als sie im Kreisel angekommen waren, skandierten sie gemeinsam „Merkel muss weg“ und „Lügenpresse auf die Fresse“. Die Stimmung in der Bahnhofstraße war sehr angespannt und der Hass auf den Gesichtern der Neonazis zu sehen.
Einige AntifaschistInnen, die diesen Aufmarsch nicht dulden wollten, versuchten, auf die Demoroute der Rechten zu gelangen. Sie wurden von einer starken BFE-Einheit mit Pfefferspray und Schlagstöcken zurückgedrängt. Es gab Verletzte und einzelne vorübergehende Festnahmen. Somit konnten die Neonazis ihre Demonstration fortsetzen. Doch entlang der rechten Demonstrationsroute protestierten immer wieder EinwohnerInnen und AntifaschistInnen.
Wasserwerfer und Räumpanzer an der Demospitze
Um eventuelle Blockaden der Neonazis zu vermeiden, setze die Polizei Wasserwerfer und Räumpanzer an der Spitze der Demonstration der Neonazis. Während sich Melanie Dittmer und ihre Verbündeten auf dem Markplatz in der Altstadt mit ihrer Hetze gegen die Flüchtlinge breit machten, blockierten AntifaschistInnen die Straße Richtung Landratsamt. Die Polizei räumte die Blockade, um den Weg für die Neonazis frei zu machen.
Vor dem Landratsamt traf die aggressive kleine Demo der Rechten auf einen starken Antifa-Protest. Die GegendemonstrantInnen, die eine Fortsetzung des Demonstrationszuges verhindern wollten, wurden durch eine starke Polizeikette gestoppt. Sie riefen daraufhin, „Deutsche Polizisten schützen die Faschisten“.
Geplantes Wahlkampf-Spektakel der Rechten misslang
Erkennbar genervt von der Situation schrieen die NazigegnerInnen heraus: „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda, Nazis raus, Nazis raus! Ihr habt den Krieg verloren, Refugees Welcome“. Einige Gegendemonstranten forderten die Neonazis auf, nach Hause zu gehen. Nach ihrer Kundgebung vor dem Landratsamt marschierten die Rechten zurück zum Bahnhof, wo sie eine Abschlusskundgebung abhielten.
- Melanie Dittmer
Insgesamt war der 30. Januar ein erfolgreicher Tag für Büdingen. Trotz des martialischen Polizeiaufgebots haben alle Beteiligten gezeigt, dass Melanie Dittmer, Ester Seitz und ihre Truppe nicht willkommen waren. Die Funktionäre der NPD, Pro NRW und „Die Rechte wollten die rechte Demonstration für ihren Wahlkampf nutzen, aber es gelang ihnen nicht. Denn sie trafen auf einen starken Protest, der ihre Stimmen übertönte. Die Polizei zeigte sich mit dem Verlauf der Veranstaltungen zufrieden.
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