Interview von Tape Lago – Wuppertal. Im Sommer 2015 machten sich immer mehr Geflüchtete auf dem Weg, um auf der sogenannten Balkanroute nach Nord- und Westeuropa zu gelangen. In derselben Zeit organisierten sich AktivistInnen und FlüchtlingshelferInnen aus Deutschland, um sie zu unterstützen. Einige von ihnen sind AktivistInnen der Initiative „Cars of Hope Wuppertal“. René Schuijlenburg hat einen Dokumentarfilm über die Arbeit der Initiative und die Situation der Flüchtlinge an den EU-Grenzen gedreht. Wir sprachen mit ihm.
„Wer wir sind? Mütter, Väter, Söhne und Töchter. Viele (Aber nicht alle) von uns waren in unterschiedlichen Gruppen politisch aktiv. Wir wollen was bewegen.“ So beschreibt sich die Gruppe „Cars of Hope Wuppertal“ auf ihrer Internetseite, über die man auch zu ihrem Film gelangt.
Beobachter News: Worum geht es in diesem Dokumentarfilm?
René Schuijlenburg: Der Dokumentarfilm zeigt unsere Arbeit auf der Balkanroute und vieles mehr. Es handelt sich hierbei um die Situation der Flüchtlinge in den Auffanglagern und die Realitäten mit denen Geflüchtete auf der Balkanroute konfrontiert sind. Ferner, geht es um die Erlebnisse, die meine Frau Vicky, AktivistInnen und ich als BeobachterInnen hatten.
Wie viele AktivistInnen haben an dem Konvoi von „Cars of Hope Wuppertal“ teilgenommen und mitgearbeitet?
Wir sind mit 17 AktivistInnen und fünf Autos losgefahren. Später kamen noch ein VW-Bus und ein LKW mit Hilfsgütern dazu.
Was macht die Balkanroute so gefährlich für Menschen, die auf der Flucht sind?
Die Geflüchteten werden oft sehr hart behandelt. In vielen Aufnahmelagern auf der Balkanroute müssen Flüchtlinge in unbeheizten Zelten schlafen, manchmal sogar draußen im Freien übernachten, und die Nächte waren im November oft schon sehr kalt dort. Viele Menschen berichteten auch über Polizeigewalt gegen Geflüchtete.
In unserem Film zeigen wir unter anderem ein Interview mit einem Geflüchteten, der Augenzeuge war, als einer seiner Freunde in Bulgarien von einem Polizisten ermordet wurde. Über diesen feigen Mord wurde auch von internationalen Medien wie zum Beispiel die BBC berichtet.
Beobachter News: War es schwierig auf die Balkanroute zu filmen?
Ja, sehr schwierig. Einerseits, weil wir nur nebenbei gefilmt haben. Wir waren ja in erster Linie dort, um Menschen auf der Flucht zu unterstützen. Andererseits, weil es in den meisten Flüchtlings-Camps, vor allem in Kroatien und Slowenien, verboten war zu filmen und zu fotografieren. Insofern mussten wir oft mit einer versteckten Kamera oder aus größerer Entfernung filmen. Dabei hat natürlich die Qualität der Bilder gelitten.
Die Arbeit in staatlichen Auffanglagern war schwer
Wir haben auch Livestream-Material benutzt, um eine chronologische Dokumentation machen zu können. Diese Teile haben eine etwas niedrigere Auflösung. Wir haben sie dennoch benutzt, weil einige Streams wichtig für den Film waren. Ich fand es wichtiger zu zeigen, was auf der Balkanroute alles passiert, und habe die technischen Abstufungen des Bildmaterials deswegen im Kauf genommen.
In dem Film wird auch Kritik an einigen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) geübt. Welche Probleme gab es mit ihnen?
Fast alle Flüchtlings-Camps werden staatlich organisiert, und es gab bestimmte Regeln, die von den MitarbeiterInnen der Hilfsorganisationen zu beachten waren. Die meisten MitarbeiterInnen der „offiziellen“ NGOs akzeptierten das. Für die „Cars of Hope“ AktivistInnen war die Arbeit in diesen staatlichen Auffanglagern nicht einfach. Einerseits mussten wir uns alle an bestimmte Regeln in diesen Lagern halten, sonst wären wir entweder erst gar nicht rein gekommen oder aber sofort wieder raus geschmissen worden.
Einige Regeln wie das Verbot, zu filmen und zu fotografieren, haben wir ignoriert, obwohl die Polizei und Behörden dort uns erwischen konnten. Das hatte leider zur Folge, dass wir einige Aufnahmen, die wichtig gewesen wären, nicht machen konnten. Wir haben aber jede Lücke, die wir gefunden haben, genutzt, um Geflüchtete über die „Camp-Regeln“ hinaus zu unterstützen. Es gab auch UnterstützerInnen von anderen Gruppen, die dies getan haben.
Aktivisten verteilten gegen die Camp-Regeln Decken
Als in Opatovac in Kroatien das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNCHR) behauptete, dass es keine Decken mehr für Geflüchtete hätte, gab es zum Beispiel Menschen, die wussten, dass dies nicht stimmte. Sie haben diese Decken dann einfach entwendet und an die Geflüchteten im Flüchtlingscamp verteilt. Außer dem Dokumentieren der Situation in den Camps waren es auch solche Aktionen, die uns zeigten, dass es wichtig war, dort vor Ort zu sein.
Dennoch war es für mich persönlich sehr schwierig in diesen unmenschlichen, staatlichen Camps zu arbeiten. In Sid in Serbien konnten wir auf einer Autobahnraststätte selbstorganisiert agieren. Dies war auch vor dem Hauptbahnhof in Salzburg möglich. Dort haben wir mobile Ladestationen für Mobiltelefone aufgebaut und auch unsere letzten Hilfsgüter verteilt. Hier waren die Flüchtlinge nicht eingesperrt, und wir konnten sie direkt unterstützen. Interessant war auch zu beobachten, dass die Geflüchteten sich sowohl in Sid als auch in Salzburg relativ gut selbst organisierten.
Es muss sowohl eine traumatische als auch eine lehrreiche Erfahrung gewesen sein. Was habt ihr gemacht, um das Ganze zu verarbeiten?
Als Vicky und ich im Camp in Opatovac angekommen waren, waren einige aus unserer Gruppe schon da. Wir waren von der unmenschlichen Situation vor Ort sehr schockiert. Die Geflüchteten waren in Zonen verteilt und durften sich nicht frei bewegen. Es war unerträglich! Immer wieder wurden Geflüchtete von PolizistInnen angebrüllt. Es gibt einen Satz, den ich wohl nie wieder vergessen werde: „One Line!“ Das heißt soviel wie „Eine Linie“. Gemeint war, dass die Flüchtlinge sich hintereinander aufstellen mussten und nicht nebeneinander laufen durften. Dieser Satz wurde immer wieder von PolizistInnen laut gebrüllt, und es wurde auch durchgesetzt, selbst bei Kindern.
Horror und Angst in den Augen der Menschen
Es war mir bekannt, dass die EU-Politik gegenüber Geflüchteten oft unmenschlich ist, und mir war auch bekannt, dass diese Politik auf dem Mittelmeer schon viele Menschen umgebracht hat. Dennoch haben die persönlichen Erfahrungen auf der Balkanroute für mich viel verändert. Wir haben mit vielen Geflüchteten gesprochen und konnten den Horror und die Angst in ihren Augen sehen, als sie uns über ihre Erfahrungen auf dem Meer und über die Polizeigewalt berichteten. Viele Geflüchtete haben Menschen ertrinken gesehen, und viele haben auch in der EU Erfahrungen mit Polizeigewalt machen müssen.
Es war alles noch viel schlimmer, als ich dachte. Ich werde einige Zeit brauchen, um das alles zu verarbeiten. Vicky und ich haben viel miteinander gesprochen, aber es ist schwierig. Als wir zurück gekommen sind, sind wir ein paar Tage später nach Teneriffa geflogen. Eine der ersten Sachen, mit denen wir hier konfrontiert wurden, war, dass vor den Kanarischen Inseln ein Boot gesunken war und viele Geflüchtete dabei ertrunken sind. Sobald du an die EU-Außengrenze kommst, wirst du mit den tödlichen Folgen der EU-Grenzpolitik konfrontiert.
Gibt es Pläne für neue Aktionen von „Cars of Hope Wuppertal“?
Konkrete Pläne gibt es noch nicht. Im Februar wird es ein Treffen geben, bei dem wir über neue Projekte für 2016 diskutieren werden. Die gute Arbeit, die Gruppen wie zum Beispiel „Dresden Balkan Konvoi“ und „Mosaik Hilfskonvoi“ aus Düsseldorf gemacht haben, hat mich sehr inspiriert. Daran würde ich gerne anknüpfen. Unser nächstes Projekt wird vermutlich auf den griechischen Inseln stattfinden. Aber die Situation ändert sich ja fast täglich. Es ist also gut möglich, dass wir uns für etwas amderes entscheiden.
Können weitere AktivistInnen und andere BürgerInnen bei Cars of Hope Wuppertal mitmachen?
Ja, neue Gesichter sind immer gerne gesehen. Unsere Treffen sind öffentlich und werden auf unserem Blog, unserer Facebook Seite und unserem Twitter Kanal bekannt gegeben.
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