Von unseren ReporterInnen – München. 4000 waren es nach Angaben der Veranstalter, 3000 laut Polizei: Die Zahl der TeilnehmerInnen an der Demonstration am Samstag, 13. Februar, gegen die Nato-Sicherheitskonferenz in München hielt sich auf dem Niveau der Vorjahre. Gemessen an den weltpolitischen Bedrohungen war der Zulauf eher gering. Armut, Flucht, Erdogans Krieg gegen die Kurden, die Eskalation in Syrien und eine neue Konfrontation mit Russland waren die beherrschenden Themen.
Für all diese Probleme machten die Redner nahezu allein die Nato mit ihrer Expansion nach Osten verantwortlich. Unter die Bündnis-Demonstration vom Stachus über den Odeonsplatz zum Marienplatz mischten sich provokativ auch unerwünschte Teilnehmer: die frühere Pegida-Frontfrau Kathrin Oertel mit Gefolge. Sie ließ sich mit einem Plakat „Schluss mit dem Natoterror“ und Trägern von Totenkopfmasken fotografieren, die auf dem Kundgebungsplatz allgegenwärtig waren. Einer hielt auch eine Mao-Bibel in die Kamera, was immer das aussagen sollte.
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Ex-Pegida-Frontfrau läuft der Demo hinterher
Sprechchöre wie „Nazis raus!“ erschallten, als die Gruppe am Karlsplatz entdeckt wurde – ebenso „Ob Ost, ob West, nieder mit der Nazipest“ oder „Ob Pegida oder AfD – stoppt den Rechtsruck in der BRD“. AntifaschistInnen versuchten, sie von der Versammlung abzudrängen und auf Abstand zu halten. Sofort war die Polizei zur Stelle.
Obwohl die Veranstalter sie des Platzes verwiesen und auch während der Demonstration mehrfach deutlich machten, dass sie absolut unerwünscht sind, liefen Oertel und ihre Anhänger am Ende des Zuges mit – stets unter Polizeischutz. Ein Sprecher der „Organisierten Autonomie“ Nürnberg provozierte nach Angaben der „Süddeutschen Zeitung“ mit einem abgewandelten Zitat Frauke Petrys: Im Notfall könne man auf AfD-Mitglieder schießen, soll er gesagt haben – auch das gebe die Rechtslage her.
Extrem viele Polizisten in Zivil
Die Polizei war nach eigenen Angaben während des Siko-Wochenendes mit 3700 Beamten im Einsatz, um die illustre Gesellschaft von Politikern, ausgewählten Publizisten und Rüstungslieferanten im „Bayerischen Hof“ zu schützen. Es wimmelte von Polizisten in Zivil, die sich mühten, betont unauffällig durch die Gegend zu schlendern. „Es wäre ohne die Zivis nur halb so voll“, war der Eindruck eines Journalisten, der die Szenerie beobachtete. Auch uniformierte „Kommunikationsbeamte“ scheuten sich nicht, sich direkt unter die DemonstrantInnen zu mischen. Einige verteilten Tütchen mit Gummibären oder Anstecker „Demo ja – Gewalt nein“.
Einen beträchtlichen Teil ihrer Einsatzkräfte setzte die Behörde ein, um einen Block von KurdInnen, die unter anderem eine Aufhebung des PKK-Verbots forderten, und etwa 350 AntifaschistInnen bei der Demonstration in einer Art lockerem Wanderkessel zu begleiten und immer wieder weithin sichtbar auf irgendwelchen Plätzen aufzumarschieren, um ihre Stärke zu zeigen. Eine Gruppe im Clowns-Kostüm machte sich den Spaß, sich immer wieder in die Polizeiketten einzureihen und mit übertrieben militärischem Schritt mitzumarschieren.
Polizei kann trotz Pfefferspray Seitentransparente nicht verhindern
Mit Parolen wie „Gegen das Konstrukt, von Volk, Nation und Rasse – für uns gibt’s nur eins: Klasse gegen Klasse“ machten die Demonstrierenden im Antikapitalistischen Block ihre Haltung deutlich. Trotz der engen Polizeibegleitung gelang es ihnen in der Residenzstraße, sich über die Demoauflagen hinwegzusetzen. Sie zogen ihre Seitentransparente enger zusammen und zündeten Bengalos – worauf die Polizei sofort Videokameras in Betrieb nahm.
Eine Einheit von Bereitschaftspolizisten setzte ihre Helme auf und versuchte, mit Pfefferspray in den eng zusammenstehenden Block einzudringen und den DemonstrantInnen die Seitentransparente abzunehmen, was ihr jedoch nicht gelang. Es gab einige durch Pfefferspray Verletzte. Am Ende berichtete die Polizei von Festnahmen und sechs Anzeigen, die sie erstattet habe – wegen Pyrotechnik, Vermummung, einer „Knüppelfahne“ und Beleidigung. Zuvor hatten die Beamten schon bei der Anreise Busse angehalten, so etwa einen aus Stuttgart.
Claus Schreer prangert Kluft zwischen Arm und Reich an
Während sich die Demonstrierenden am frühen Nachmittag am Stachus versammelten, spielte Henning Zierock von der Gesellschaft Kultur des Friedens zur Einstimmung Lieder von Mikis Theodorakis. Er berichtete auch von der griechischen Insel Lesbos, auf der Freiwillige die Rettung und Versorgung tausender aus der Türkei übersetzender Flüchtlinge sicherstellen. Die Helfer würden jetzt von Nato-Militärs verdrängt – „das ist der Wahnsinn“, rief Zierock aus. Auch die Gruppe „Sam Rasta“ machte Musik.
Die Auftaktkundgebung selbst eröffnete Claus Schreer vom Aktionsbündnis gegen die Nato-„Sicherheitskonferenz“ mit einer Rede über „Nato-Krieg-Armut-Flucht„.
Er prangerte die immer größere Kluft zwischen Arm und Reich auf der Welt an. 2,4 Milliarden Menschen müssten mit weniger als zwei Dollar am Tag auskommen, Millionen stürben an Hunger. „Die Nato ist eine Kriegsallianz zur Durchsetzung der wirtschaftlichen Interessen der westlichen Staaten“, sagte er.
Eindringliche Appelle von Bedia Özgökce Ertan und Konstantin Wecker
Die Demo-Auflagen wurden verlesen, und es sprach Bedia Özgökce Ertan, Rechtsanwältin und Abgeordnete im Türkischen Parlament über Deutschland, die Türkei und die Kurden. Ihre Rede wurde ins Deutsche übersetzt.
Der Liedermacher Konstantin Wecker mahnte aufzupassen, „dass das Meinungsklima in Deutschland nicht so vergiftet wird, wie es zum Teil schon ist“. Er warnte vor dem „offensichtlichen Wiederauferstehen des europäischen Faschismus“ und einer Spaltung der Linken: „Man muss gemeinsam aufstehen, um das zu verhindern.“
Der Demozug wurde von der Motorradgruppe „Kuhle Wampe“ angeführt. Während der über den Lenbachplatz, den Platz der Opfer des Nationalsozialismus und den Odeonsplatz zum Marienplatz zog, bildete sich in der anderen Richtung eine Protestkette durch die Fußgängerzone über die Neuhauser Straße und die Kaufingerstraße. Es gab zwar kleinere Lücken, doch die Umzingelung des Tagungsorts der „Sicherheitskonferenz“ gelang.
Braun: Es gibt keinen Frieden mit der Siko
Als die DemoteilnehmerInnen auf dem Marienplatz ankamen, empfing sie die Internationale vom Band. Es dauerte geraume Zeit, bis sich die Menschenmenge vor dem Bühnenwagen versammelt hatte. Die Nato sei ein „Dinosaurier des kalten Krieges“, eröffnete Reiner Braun die Schlusskundgebung. Bei dem Zusammentreffen im „Bayerischen Hof“ handele es sich im Kern um eine Kriegskonferenz. „Hier treffen sich die Profiteure des Krieges. Deshalb gibt es keinen Frieden mit der Siko – sie kann nicht demokratisiert, sondern nur abgeschafft werden“.
Er forderte, nein zu sagen zur deutschen Beteiligung an Interventionen. Frieden in Europa könne es nur mit Russland geben. Wer ihn wolle, müsse als erstes aufhören, „die Nato permanent nach Osten zu erweitern“, forderte er unter Applaus: „Wir können mit Russland über Demokratie und Menschenrechte reden – aber nur bei einer Politik der Kooperation“. Nein sagen müsse man auch zur „Kumpanei mit dem despotischen System in der Türkei“.
Claudia Haydt: Wie ein Feuerwehrzug mit Flammenwerfern
Claudia Haydt von der Informationsstelle Militarisierung warnte eindringlich vor der weiteren Eskalation der Lage in Syrien und einer drohenden Ausweitung des Konflikts. Sie begann mit einem Zitat aus dem Satiremagazin „Postillion“: „Immer mehr Länder bombardieren Syrien, um den Syrienkrieg zu beenden.“ Dabei gebe es ohne den Krieg gegen den Irak und ohne das US-Gefangenenlager Abu Ghraib „dieses Ungetüm“ von IS nicht. Die Nato setze jetzt „die gleichen Rezepte wieder ein, um angeblich Ordnung und Frieden zu schaffen – so geht das nicht.“
„Es ist, als würde ein Feuerwehrzug vor einem brennenden Haus auffahren und hätte den Flammenwerfer dabei“, beschrieb Haydt die Situation. Sie freue sich für die Menschen, dass die so genannte Syriengruppe nun einen Waffenstillstand in Aussicht stelle: „Wir stehen am Scheideweg, die Diplomatie wirklich ernst zu nehmen oder weiter zu eskalieren.“ Wenn jedoch die Türkei und Saudi Arabien gleichzeitig ankündigten, Bodentruppen schicken zu wollen, sei das „an Zynismus nicht mehr zu überbieten“. „Lasst das sein!“, so der Appell der Rednerin. Deutschland stecke mitten drin in dem Konflikt, der sich nur beenden lasse, indem man den Nachschub an Waffen und andere Unterstützung für die Kriegsgegner einstellt. „Es ist schäbig, dass zu dieser Politik jetzt auch noch die Flüchtlingsabwehr in der Ägäis kommt“, sagte Haydt.
Mike Nagler: „Dem Rassismus entgegentreten“
Zum Auftakt der Schlusskundgebung hatten „Die Ruam“ gespielt. Jetzt hatte die Punkrock-Gruppe ANTI FLAG aus Pennsylvania ihren Auftritt. Sie begleitet seit Jahren die amerikanische Friedensbewegung. Sie hat auch hierzulande begeisterte Anhänger jeden Alters, zeigte die aufkommende Stimmung.
Der Moderator monierte nach ihrem Auftritt, dass die Polizei im Hintergrund des Platzes junge DemonstrantInnen unter dem Vorwand filze, sie hätten sich vermummt: „Wir bitten, das zu lassen“, forderte er.
Eine weitere viel beachtete Rede kam von Mike Nagler von Attac. Er schlug einen großen Bogen. Seit dem Zweiten Weltkrieg seien nicht mehr so viele Menschen auf der Flucht gewesen wie heute. Man müsse ihnen helfen und dem aufkommenden Rassismus entgegentreten. Der heutige Rassismus komme jedoch nicht von ungefähr. Er werde seit Jahren von Politik und Medien geschürt.
Kapitalismus und Demokratie sind unvereinbar
„Erscheinungen wie Pegida oder die AfD passen wunderbar ins neoliberale Konzept der Bundesregierung. Die Frage nach den Verhältnissen, die dazu führen, das Menschen für rassistische Parolen empfänglich werden wird viel zu selten gestellt“, sagte Nagler. Und weiter: „Verhältnisse wie Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, wachsende soziale Ungleichheiten usw. sind eine entscheidende Ursache für die Verführbarkeit von Menschen mithilfe einfacher rassistischer Formeln. Tatsache ist, dass es immer die vom Kapitalismus hervorgebrachten Krisen waren und sind, die dem Faschismus die Anhänger zutreibt.
Die meisten Geflüchteten kämen aus Ländern, die durch Nato-Interventionen ins Chaos gestürzt wurden. Wenn es um Macht und Profit gehe, würden elementare Menschenrechte und das Völkerrecht außer Kraft gesetzt. Doch solange sich mit Krieg Geld verdienen lässt, werde es auch Kriege geben. Nagler zitierte Rosa Luxemburg: „Solange das Kapital herrscht, werden Rüstung und Krieg nicht aufhören.“ Kapitalismus und Demokratie seien niemals miteinander vereinbar. Eine wirklich demokratische Gesellschaft lasse das Vermögen denen, die es erarbeitet haben.
Heike Hänsel fordert Solidarität und Menschlichkeit
Schon während der Rede Naglers kam Regen auf. Heike Hänsel, Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken, hatte den undankbaren Part, als letzte zu sprechen. Viele hatten sich wegen des zunehmend schlechten Wetters und der fortgeschrittenen Zeit schon auf den Rückweg gemacht. Hänsel fasste sich kurz. Sie stellte einen Zusammenhang zwischen dem Weltwirtschaftsforum in Davos und der Siko in München her, wo Pläne zur Durchsetzung der wirtschaftlichen Interessen geschmiedet würden.
„Bald schon werden Nato-Kriegsschiffe gegen die Schlauchboote mit Frauen und Kindern in der Ägäis eingesetzt. Es ist Beihilfe zum Mord, was da passiert“, empörte sich die Abgeordnete der Linken. Die Freiwilligen, die auf Lesbos helfen, bekämen jetzt Strafbefehle als angebliche Schlepper. „Wir halten die Fahne der Solidarität und Menschlichkeit hoch“, versprach Hänsel. Sie könne nur staunen, in welchem Tempo die Bundesregierung „uns inzwischen in Kriegseinsätze schickt“ – 17 Auslandseinsätze der Bundeswehr gebe es mittlerweile. Die imperiale Politik der Bundesregierung werde immer deutlicher: „Dagegen braucht es unseren Widerstand“.
Mit den 130 Milliarden Euro, die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen fordere, ließe sich vielen im sozialen Bereich tun und die Infrastruktur ausbauen. „Doch dieses Geld geht in Tod und Vernichtung. Das müssen wir stoppen“, forderte Hänsel, ehe „Prinz Chaos“ ins kulturelle Programm der Schlusskundgebung überleitete. Weitere Musikbeiträge hatte es auch zur Protestkette gegeben.
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