Von Tape Lago – Mainz. In der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt demonstrierten mehr als 500 Menschen gegen rund 30 Anhänger der rechten Gruppierung „Karlsruhe wehrt sich“. Die Polizei war vor Ort mit mehr als 500 Beamten, erschwerte den Widerstand gegen „Karlsruhe wehrt sich“ und verhinderte alle Blockaden der Ansammlung von Neonazis, Rechten und „Besorgten Bürgern“.
AntifaschistInnen und andere BürgerInnen ließen sich dennoch nicht von dem großen Aufgebot Uniformierter beeindrucken und trugen trotz der massiven Polizeipräsenz, ihren Protest auf die Straße.
Protest in unmittelbarer Nähe der Neonazis und Rechten unerwünscht
Am Samstag, 20. Februar, einen Tag nach dem erfolgreichen Protest gegen die AfD vor dem Bürgerhaus in Finthen (wir berichteten), erwarte Mainz einen unruhigen Tag. Der Pegida-Ableger „Karlsruhe wehrt sich“ hatte eine Demonstration vor dem SWR-Funkhaus angemeldet und hatte vor, gegen die „Lügenpresse“ und „Systemmedien“ zu demonstrieren. Doch Ester Seitz, Demoanmelderin, Aktivistin der rechten und Neonazi-Szene und ihre Gefolge stießen auf einen breiten antifaschistischen und bürgerlichen Widerstand.
Am Früheren Nachmittag begann die Polizei mit den Absperrmaßnahmen und baute das „Gehege“ für die Rechten und Neonazis auf. Die AntifaschistInnen, die kurz nach 13 Uhr den Weg zum Fort Gonsenheim gefunden hatten, um im direkten Umfeld von „Karlsruhe wehrt sich“ zu protestieren, wurden von der Polizei zurückgedrängt und aufgefordert zu gehen.
Die Standplätze der Absperrgitter deuteten darauf hin, dass der Protest in unmittelbarer Nähe der Neonazis und Rechten unerwünscht war. Sie trafen gegen 14 Uhr ein. Einer ihre Anhänger wurde von der Polizei festgehalten, weil er eine unerlaubte Waffe bei sich trug. Die Stimmung am Fort Gonsenheim vor dem SWR-Funkhaus war sehr angespannt. Sigrid Schüßler, frühere NPD-Spitzenfunktionärin behinderte einen Pressefotografen bei seiner Arbeit und bezeichnete ihn als „Schweinehund“.
Pressefreiheit und Demokratie stets verteidigen
Rund 400 BürgerInnen, PolitikerInnen und JournalistInnen versammelten sich am früheren Nachmittag in der Wallstraße auf Höhe der Hausnummer 52, um ihre Solidarität mit der Presse kundzutun. Aufgerufen hatte das Bündnis für Pressefreiheit und unabhängige Berichterstattung. Unter dem Motto „Pressefreiheit stärken – Journalistinnen und Journalisten schützen“ startete die Kundgebung um 14 Uhr.
Die Bundestagsabgeordnete der Grünen Tabea Rößner, Sprecherin des Bündnisses, bedankte sich bei den TeilnehmerInnen und warnte vor Rückfall in düstere Zeiten. Presse- und Meinungsfreiheit seien ein Grundpfeiler der Demokratie. Sie forderte die TeilnehmerInnen und die Bevölkerung auf, die JournalistInnen bei ihrer Arbeit zu unterstützen.
Der Höhepunkt der Kundgebung für die Pressefreiheit war der Auftritt von Michel Friedman. „Die Lügenpresse, gelenkt und gehorsam, zentral gesteuert. Ich frage mich, wer steuert diese tausende Journalistinnen und Journalisten. Das sagt uns weder Pegida noch AfD“ sagte er kämpferisch. Wer von Lügenpresse spreche, zweifele auch an, dass es Freiheit überhaupt gibt, betonte Friedman und rief die TeilnehmerInnen und BürgerInnen Deutschlands auf, die Pressefreiheit und die Demokratie zu verteidigen.
Sigrid Schüßler diffamiert JournalistInnen als Verbrecher
Während die Kundgebung des Bündnisses für die Freiheit noch lief, startete die Protestaktion gegen die „Lügenpresse“ mit der Rede von Ester Seitz, der Demoanmelderin. Sie bezeichnete „etablierte Parteien“, Presse und Medien als Teil des „Systems“. Es sei angebracht, dass ihre Gruppierung vor dem SWR-Funkhaus gegen die „Lügenpresse“ demonstriere. Sie seien kein Pegida-Ableger, sondern Bürger.
Während sie sprach, ließ die Evangelische Kirche am Fort Gonsenheim die Glocken läuten, sodass Seitz nicht mehr zu verstehen war. Ihre Nachrednerin Sigrid Schüßler rief am Anfang ihrer Rede ihre Zuhörer auf, gegen die „Lügenpresse“ zu skandieren. Danach folgte eine Welle von „Lügenpresse-Geschreien“. Schüßler stellte sich selbst als Opfer des „Regimes“ dar, das auf Lügen beruhe. Sie bezeichnete die Bundesrepublik Deutschland als „Bananenrepublik“. Deutschland so Schüßler, sei die größte Schande die es jemals gab. Für sie seien JournalistInnen „Gesindel und Verbrecher“ die im Dienste eines Regimes arbeiten würden. Merkel werde verschwinden, fügte sie hinzu und prophezeite damit das Ende des „System-Merkels“.
Baldige Bildung eines totalitären Regimes
Blogger Michael Mannheimer bezeichnete JournalistInnen als „Kommunisten“, die ein Berufsverbot erhalten werden, wenn er und seine Gesinnungsgenossen erst einmal die Macht übernehmen. Offenbar steht demnach die baldige Bildung eines totalitären Regimes bevor. „Wir leben hier in Deutschland nicht mehr in einer Demokratie, sondern eine Partei- und Mediendiktatur“ sagte er.
Während der hassgeprägten Rede Mannheimers ließ die Kirche erneut die Glocken läuten. Die Kirche zeigte somit ihre Solidarität mit der Presse am Fort Gonsenheim. Ein Gegendemonstrant und Antifaschist, der sich unauffällig den Zugang zur rechten Kundgebung verschafft hatte, störte sie kurzzeitig. Er wurde von der Polizei entfernt, nachdem Seitz und Mannheimer sich bei den Beamten beschwert hatten.
Polizei verhinderte Blockaden des rechten Demozugs
Während die Neonazis und Rechten ihren Hass auf Presse, Medien und Politik verbreiteten, gelang es mehrere AntifaschistInnen, die vorgesehene Demoroute zu blockieren. Die Polizei kesselte die verschiedenen Gruppen jeweils ein und räumte anschließend alle Blockaden zum Teil mit Gewalt. Mit ihrem Großaufgebot setzte sie den Spaziergang der Rechten durch.
Es kam trotz der massiven polizeilichen Begleitung zu weiteren Blockaden, Jagd auf AntifaschistInnen und Rangeleien zwischen Rechten und GegendemonstrantInnen. So sei Sigrid Schüßler von einem vermeintlichen Gegendemonstranten angegriffen worden, hieß es. Entlang der Demonstrationsroute der „Presse- und Medien-Hasser“ formierten sich immer wieder Proteste und Blockadeversuche, die von der Polizei behindert und verhindert wurden. Die Polizei betrachtete ihren Einsatz als erfolgreich.
Unser Kommentar: Nach einem Spaziergang ohne Außenwirkung kehrte „Karlsruhe wehrt sich“ in sein Gehege zurück. Insgesamt blamierten sich Ester Seitz, Sigrid Schüßler, Michael Mannheimer und Holm Teichert von Pegida-NRW massiv. Angemeldet hatte Seitz 200 Teilnehmer. Doch gekommen war nur ein Haufen „Lügenpresse- und Merkel-Gegner“. Sie schafften es nicht, ihre Kritik gegen Presse, Medien und Politik klar zu formulieren. Ihre Veranstaltung war eine offene Bühne des Hasses gegen JournalistInnen und PolitikerInnen. Im Gegensatz zu „Karlsruhe wehrt sich“, zeigten die Gegendemonstranten und AntifaschistInnen, dass Presse- und Meinungsfreiheit ein Grundpfeiler unserer Demokratie ist, der stets verteidigt werden muss.
Die Erklärung des Bündnisses für Pressefreiheit im Wortlaut:
Menschen gehen auf die Straße und skandieren „Lügenpresse“. Journalistinnen und Journalisten werden öffentlich angeprangert, bedroht und tätlich angegriffen. Farbbeutel fliegen gegen ihre Häuser, Redaktionen werden beschmiert, fingierte Todesanzeigen veröffentlicht – das geschieht nicht irgendwo, sondern hier in unserem Land. Allein im Jahr 2015 wurden mindestens 29 Medienschaffenden in Deutschland von Teilnehmern rechtspopulistischer Veranstaltungen wie PEGIDA gewaltsam angegriffen. Es ist in unserer Demokratie aber völlig inakzeptabel, dass Journalistinnen und Journalisten zu ihrem Schutz nur noch unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen ihrer Arbeit nachgehen können.
Angesichts der weltpolitischen Lage und der Situation in Deutschland und Europa sind viele Menschen tief verunsichert. Diese Stimmung und die Angst der Menschen müssen wir ernst nehmen. Rechtsextreme und Verschwörungstheoretiker nutzen aber diese Stimmung und schüren Hass und Hetze, gerade auch gegen Medienschaffende. Begriffe wie „Lügenpresse“ oder „Systempresse“ dienen dabei dem Ziel, die Berichterstattung zu diskreditieren. Diese Agitation erinnert an düstere Zeiten. Sicher machen auch Redaktionen Fehler, und sie müssen sich der Kritik stellen. Aber der pauschale Vorwurf von PEGIDA-Anhängern, die Medien seien politisch gesteuert, entbehrt jeder Grundlage.
Die unabhängige Berichterstattung ist ein Grundpfeiler unserer Demokratie. Die Presse- und Meinungsfreiheit ist ein hart erkämpftes Gut. Journalistinnen und Journalisten brauchen Unterstützung und Schutz für ihre Arbeit.
Wir rufen alle Demokratinnen und Demokraten auf, sich an der Demonstration für Pressefreiheit und unabhängige Berichterstattung zu beteiligen. Wir werden nicht zulassen, dass eine aufgehetzte Menschenmenge lautstark die Aushöhlung von Grundrechten fordert, die unsere Verfassung garantiert. Gemeinsam wollen wir ein Zeichen setzen, dass plumpe Hetze in Mainz, in Rheinland-Pfalz, im ganzen Land kein Gehör findet.
Bündnispartner:
- Tabea Rößner, MdB (Grüne)
- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Rheinland-Pfalz
- CDU Rheinland-Pfalz
- SPD Rheinland-Pfalz
- Die Linke Rheinland-Pfalz
- Ver.di Rheinland-Pfalz/Saar
- Rheinhessen gegen Rechts e.V.
- DGB Rheinland-Pfalz/Saar
- Verband der Zeitungsverleger in Rheinland-Pfalz-Saarland e. V.
- AStA Universität Mainz
- Ring Christlich-Demokratischer Studenten Universität Mainz
- CampusGrün Mainz
- Reporter ohne Grenzen
- FDP Rheinland-Pfalz
- GEW Rheinland-Pfalz
- VRFF Die Mediengewerkschaft
- Stiftung PresseClub Mainz
- AK Zensur
- Freischreiber
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