Von Alfred Denzinger – Backnang. Die Polizei erwartete weniger als 200 Menschen zur Kundgebung gegen die AfD-Veranstaltung in Backnang. Dies meldete der Radiosender 107.7 vor den anstehenden Protesten. Der AfD-Kreisverband Rems-Murr empörte sich am 23. Februar in einer Pressemitteilung über den „Versuch linksgrüner Kreise“, mit wenig verhüllten Gewaltdrohungen aufzuhetzen. Als Beweis führte die Partei unter anderem an, dass dies schon „an der primitiven Parole ‚No AfD‘ zu erkennen ist“. Gekommen ist es am Donnerstag, 25. Februar, aber dann doch ganz anders. Rund 700 AfD-GegnerInnen folgten dem Aufruf unter dem Motto „Keine Ruhe den rechten Hetzern“. Und Gewalt gab es von ihrer Seite auch nicht.
Die DemonstrantInnen versammelten sich eine Stunde vor Beginn der AfD-Veranstaltung auf dem Schillerplatz. Ein sehr buntes und breites Protestpublikum hatte sich eingefunden. Nach mehreren Reden zogen etwa 400 TeilnehmerInnen zum Backnanger Bürgerhaus und sorgten dort für lautstarken Protest. Gewalt war lediglich seitens der AfD-Besucher zu verzeichnen. Sie griffen Demonstranten vor dem Bürgerhaus an und bedrohten einen Pressefotografen.
AfD-Anhänger müssen durch den Hintereingang
Vor dem Bürgerhaus blockierten den AfD-GegnerInnen den Haupteingang zur Veranstaltung durch ihre bloße Anwesenheit. Die Polizei griff nicht ein. Verspätet eintreffende BesucherInnen der AfD-Veranstaltung konnten den Veranstaltungssaal nicht über den Haupteingang erreichen. Sie mussten einen Umweg zum Hintereingang in Kauf nehmen.
Ein Mann, der zur AfD-Veranstaltung über den Haupteingang wollte, fiel zunächst durch aggressives Geschrei auf. Als er damit wohl nicht zum gewünschten Erfolg kam, wurde er handgreiflich. Die Blockade wich nicht zurück. Der angriffslustige AfD-Fan wurde von der Polizei eindringlich ermahnt, die Handgreiflichkeiten sofort einzustellen. Das hielt ihn aber nicht davon ab, im Weglaufen nach einem Gegendemonstranten zu schlagen. Der Angreifer und sein Begleiter wurden letztlich von der Polizei weggeführt.
Angriff auf einen Pressefotografen und fotoscheuer AfD-Security
Ein weitere AfD-Besucher versuchte ebenfalls, durch die blockierende Menschenmenge zum Haupteingang zu gelangen. Auch er wurde verbal und körperlich übergriffig. Ihn störte es offenbar enorm, dass dieses Geschehen von unserem BN-Fotografen dokumentiert wurde. Er versuchte, unseren Mitarbeiter anzugreifen. Einige DemonstrantInnen bildeten sofort eine schützende Kette zwischen dem Angreifer und unserem Mitarbeiter. Da der aufgebrachte AfD-Fan weiterhin lautstark Drohungen ausstieß, wurde auch er von der Polizei aus der Menge geführt.
Als extrem fotoscheu präsentierte sich ein AfD-Sicherheitsmann. Er versuchte sein Gesicht laufend vor Pressefotografen zu verdecken. Ob es reines Schamgefühl war, was ihn dazu bewegte, beantwortete er nicht. Bei einer Polizeikontrolle von auffälligen Security-Mitarbeitern bei einer AfD-Veranstaltung am 19. Februar in Mainz fand die Polizei Waffen. Zu Art und Typ der Waffen wollte die Polizei aus „ermittlungstaktischen Gründen“ keine Auskunft geben (wir berichteten).
Spontandemo der AfD-GegnerInnen – umherschweifende Neonazis
Kurz vor 20 Uhr formierte sich eine Spontandemonstration, die ein paar Straßenzüge um das Bürgerhaus in Richtung Bahnhof führte. Vor dem Hintereingang der Veranstaltungsräume wurde der Protest dann nochmals lautstark, bevor sich die Demonstration endgültig auflöste.
Auf einem gegenüberliegendem Parkplatz hielt die Polizei eine kleine Gruppe von Menschen fest. Nach Aussage von AfD-Gegnern handelte es sich um Personen aus dem rechtsradikalen Spektrum. Die AJRM (Antifaschistische Jugend Rems-Murr) erklärte, in der Stadt seien einige gewaltbereite und teils bewaffnete Neonazis unterwegs gewesen und hätten versucht, im Umfeld der Gegenkundgebung DemonstrantInnen einzuschüchtern.
Unzulässiger Angriff auf die Versammlungsfreiheit
Das Ordnungsamt Backnang hatte nach Angaben des Veranstalters versucht, rechtswidrige Auflagen durchzusetzen. Per Auflagenbescheid sei unter anderem festgesetzt worden, dass eine Liste mit Namen und Adressen der OrdnerInnen einzureichen sei. Nach Widerspruch und Klageankündigung mit Fristsetzung habe das Amt diese Auflagen nochmal „überprüft“ und drei Minuten vor Ablauf der Frist zurückgenommen.
Eine bunte RednerInnen-Liste sorgte für Abwechslung auf dem Schillerplatz
„Die AfD kooperiert mit Faschisten“, sagte ein Sprecher der AJRM (Antifaschistische Jugend Rems-Murr). Die Partei befürworte Atomkraft und sei gegen Abtreibung. Sie sei homophob und ganz bestimmt „keine Alternative“. Er erhielt für seine Rede – die hier nachgelesen werden kann – starken Beifall.
Bei der Kundgebung auf dem Schillerplatz erklärte Dagmar Uhlig, Landtagskandidatin der Linken, die AfD sei nicht nur in Backnang, sondern auch im ganzen Rems-Murr-Kreis, in ganz Baden-Württemberg und im ganzen Land nicht willkommen. Die AfD stehe außerhalb einer offenen, demokratischen und egalitären Gesellschaft. Es sei an der Zeit, „dass wir alle gemeinsam und energisch für eine weltoffene Gesellschaft eintreten“. Der vollständigen Redebeitrag kann hier nachgelesen werden.
Kristos Thingilouthis, politischer Geschäftsführer der Piratenpartei Deutschland betonte, die Rattenfänger von der rechtspopulistischen AfD hätten „in Deutschland nichts zu suchen“. Die AfD sei keine demokratische Partei und müsse ausgegrenzt werden. Am Ende seiner Rede betonte er, „wir sind multikulti und da bin ich stolz drauf“.
Der Vertreter der Grünen, Götz Poppitz, hob hervor, die AfD sei „eine normale“ Partei. Er erntete dafür heftige Buhrufe. Anschließend versuchte er diese Aussage zu relativieren. Den Redetext gibt es hier.
Für die Jusos begann André Thumm eine Rede mit den Worten, „wir ‚links-grün-faschistischen Gutmenschen-Terroristen‘ haben uns heute getroffen, weil wir aus den Deutschen ‚homosexuelle Islamisten‘ machen wollen, die die Kultur nördlich von Gibraltar ausnahmslos ausrotten“. Zumindest könne man das meinen, „wenn man so manchen ‚Vollpfosten-Kommentar‘ auf Facebook Glauben schenkt. Doch warum sind wir wirklich hier? Weil wir ein Zeichen setzten wollen. Ein Zeichen gegen rückwärtsgewandte rechtsextremistische Politik. Ein Zeichen für eine menschliche, solidarische und freie Gesellschaft.“ Der Redetext kann hier nachgelesen werden.
Eine Vertreterin der Initiative Rems-Murr nazifrei! schickte ihrer Rede voraus, dass sie hier für keine Partei spreche. Dafür erhielt sie starken Applaus und wohlwollende Zurufe. Gewalt gegen Flüchtlinge sei kein ostdeutsches Problem, erklärte sie, und erinnerte auch an den Brandanschlag auf eine noch unbewohnte Asylbewerberunterkunft im benachbarten Weissach im Tal im August 2015. Der vollständige Redebeitrag kann hier nachgelesen werden.
Bei allen veröffentlichten Redetexten gilt das gesprochene Wort.
Auch die Jusos schlossen sich dem Bündnis an
Die Jusos hatten ursprünglich den Aufruf des Bündnisses gegen die AfD nicht unterzeichnet. Sie riefen zunächst zu einer eigenen Kundgebung gegen die AfD vor dem Bürgerhaus auf. Wenige Tage vor der Veranstaltung schlossen sie sich dann doch noch dem Bündnis an und verzichteten auf eine eigene Kundgebung.
Petry, von Storch und Co.
Die AfD erreichte mit ihrer Veranstaltung rund 700 BesucherInnen. Neben ihrem Spitzenkandidaten zur Landtagswahl, Jörg Meuthen, traten auch Frauke Petry und Beatrix von Storch auf. Petry und von Storch fielen in der jüngsten Vergangenheit durch ihre Äußerungen zum Schusswaffengebrauch an den deutschen Grenzen auf.
Als Meuthen in seinem Redebeitrag ausrief, dass „Zäune wirken!“, gab ein Mann aus dem Publikum lautstark zurück: „Die Menschen, die hierherkommen, sind in Not!“. Zum Ende der Rede von Meuthen verbreitet sich ein heftiger Gestank unter den AfD-ZuhörerInnen. Die Backnanger Kreiszeitung berichtete, dass draußen DemonstrantInnen von der Oberen Bahnhofstraße aus Buttersäure-Beutel gegen das Bürgerhaus geworfen hätten. Genau dort hin, wo die Luft für die Lüftungsanlage angesaugt wird. Das Bündnis, das die Gegenproteste organisierte, widersprach. Vielmehr hätten rechte AktivistInnen versucht, mit Stinkbomben die Menschen vor dem Bürgerhaus zu vertreiben.
Essen für die AfD? Nö!
Eine Etage unter den Veranstaltungsräumen der AfD befinden sich die „Backnanger Stuben“. Der Betreiber Sascha Wolter erklärte, dass er sein Restaurant an diesem Tag nicht öffnen wird. „Nicht weil wir zurückweichen, sondern weil wir damit ein Zeichen setzen wollen. Auch wenn es ein denkbar kleines ist, aber diese Tür bleibt, auch wenn wir uns als Restaurant politisch neutral positionieren wollen, für die Herrschaften geschlossen.“
Positives Fazit der AntifaschistInnen
Insgesamt zog Thomas P., Sprecher der Antifaschistischen Jugend Rems-Murr, ein positives Fazit: „Zwar ist es der AfD dank einer überregionalen Mobilisierung gelungen, den Saal zu füllen. Allerdings haben wir dem einen deutlichen und lokalen Protest entgegen gestellt. Und das ohne große Namen oder finanzielle Mittel.“
Breites Bündnis gegen die AfD
Zur Protestkundgebung hatte das Bündnis „Zusammen gegen Rechts – Gemeinsam für Vielfalt im Rems-Murr-Kreis“ aufgerufen. Die Unterstützer des Aufrufs:
Initiative Rems-Murr nazifrei!
Aktion Jugendzentrum Backnang
Antifaschistische Jugend Rems-Murr (AJRM)
Antifaschistische Aktion [Aufbau] Stuttgart
Jusos Rems-Murr
Grüne Jugend Rems-Murr
Piratenpartei Rems-Murr
Die Linke Rems-Murr
DKP Rems-Murr (Deutsche Kommunistische Partei)
OV Die Grünen
Folge uns!