Interview: Alfred Denzinger und Anne Hilger – Stuttgart. Pegida, AfD und rechte Kleinparteien wie „Der Dritte Weg“ machen sich breit. Die NPD veranstaltete Anfang November einen Bundesparteitag in Weinheim. Wie geht die Linke mit dem Rechtsruck um? Meistens, aber nicht überall unterstützen ihre örtlichen Vertreter antifaschistische Aktionen. Wir sprachen darüber mit Bernd Riexinger, dem Parteivorsitzenden und Spitzenkandidaten für die baden-württembergische Landtagswahl.
Beobachter News (BN): Nimmt die AfD der Linken bei der Landtagswahl Stimmen weg?
Bernd Riexinger: Nicht direkt. Die Wählerwanderung im Westen, auch in Baden-Württemberg zur AfD ist annähernd gleich null. Was ich nicht ausschließen kann: Wir hatten zwischen 2005 und 2010 relativ viele Protestwähler, die Linke gewählt haben und zuletzt gar nicht mehr wählten. Es ist nicht auszuschließen, dass ein Teil dieser Wähler jetzt zur AfD geht. Ansonsten nährt sich die AfD fast ausschließlich aus der CDU und dem Nichtwählerlager. Mit fast allen anderen Parteien gibt es mehr Schnittstellen als mit uns.
BN: Wie soll man überhaupt mit rechtslastigen Parteien umgehen?
Bernd Riexinger: Das erste ist, dass man als Partei klare Kante zeigt gegen Rassismus, rechtspopulistische oder gar rechtsradikale Positionen. Wenn man wie die anderen Parteien Teile der Forderungen der Rechten erfüllen – Pegida und die AfD können ja abhaken, was die große Koalition schon umgesetzt hat –, macht man sie natürlich hoffähig. Weil man indirekt sagt, ihr habt ja recht. Man muss also klare Kante zeigen.
Auf der anderen Seite ist es extrem wichtig, die soziale Frage in den Vordergrund zu stellen. Rechtspopulistische, zum Teil auch nationalistische oder nazistische Positionen nähren sich aus der sozialen Unsicherheit, aus den Zukunftsängsten und einem Bedrohungsgefühl der Leute. Man muss immer wieder deutlich machen, dass die Probleme nicht von den Flüchtlingen verursacht sind, sondern dass einerseits der Kapitalismus zu dieser sozialen Polarisierung führt und dass sie auf der anderen Seite durch die Politik der letzten zwanzig Jahre verstärkt wurde. Da muss die Linke deutlich machen, dass sie Alternativen dazu hat.
Das dritte ist ganz sicher, dass wir einen weltweiten Maßstab brauchen. Der Wunsch vieler Kleinbürger, das eigene Wohnzimmer von der Welt fernzuhalten, ist utopisch. Man muss den Zustand der Welt mit thematisieren. Die Kriege, die soziale Ungleichheit, unsere Waffenexporte, unsere Außenpolitik sind die Verursacher der großen Flüchtlingsströme.
BN: Bringt das NPD-Verbotsverfahren etwas?
Bernd Riexinger: Das Verbot wäre wichtig, um ein Symbol zu setzen. Grundsätzlich glaube ich aber nicht, dass man durch ein Parteienverbot ernsthaft die rechten Kräfte bekämpft. Man sieht auch, dass momentan zumindest im Westen nicht die NPD der Hauptanziehungspunkt für rechte und rechtspopulistische Positionen ist, sondern die AfD, die diese Positionen in viel raffinierterer Art und Weise aufgreift, so wie es in anderen Ländern schon längst der Fall ist. Dort sind es auch in erster Linie rechtspopulistische Parteien wie die Front national oder die FPÖ, die natürlich Schnittstellen haben zu den neonazistischen und ganz rechten Kräften.
BN: Warum hat gerade Baden-Württemberg eine rechte und rechtsextreme Tradition über die NPD und die Republikaner zur AfD, obwohl hier sehr viele Nationen unkompliziert zusammenleben und es wirtschaftlich besser geht als in vielen anderen Regionen?
Bernd Riexinger: Es gibt wirklich eine Traditionslinie. In den Gebieten, wo die Republikaner sehr stark waren, ist heute die AfD sehr stark. Und die Republikaner waren dort stark, wo auch in den dreißiger Jahren die NSDAP sehr stark war. Es setzen sich bestimmte autoritäre Denk- und Erklärungsmuster fort. Vor allem, wenn es keine Linke gibt. Wo die Linke schwächer ist, ist die Rechte umso stärker.
BN: Welche Rolle spielen die sozialen Faktoren?
Bernd Riexinger: Man kann keine simple Linie von der eigenen materiellen Situation zu bestimmten Einstellungsmustern ziehen. Sie resultieren aus einem komplexen Geflecht, das sich aus der eigenen materiellen Lage ergibt, aber auch aus anderen Faktoren. Es sind ja gar nicht immer die Leute, denen es schlecht geht, die so geradlinig rechts wählen – sondern eher Leute, die ihren Status und ihre Lebensweise bedroht sehen und die sich abschotten wollen.
Vor 10, 15 Jahren gab es eine Untersuchung, dass zum Beispiel junge männliche Facharbeiter in Großbetrieben anfällig waren für rechte Positionen, weil sie das extreme Konkurrenzdenken ihrer Betriebe in der globalisierten Welt übernommen und verinnerlicht hatten in einer gewissermaßen sozialdarwinistischen Form. Die Rechten leben ja immer von einem Bedrohungsszenario: dass die Juden oder die Juden und Bolschewiken oder die Flüchtlinge oder andere Länder uns bedrohen. Sie bauen ein Bedrohungsszenario auf, das aber nie eines vom Kapital oder vom Kapitalismus ist. Das wirkt in vielfältiger Weise.
BN: Wie soll eine linke Bewegung mit NPD-Parteitagen oder rechtspopulistischen Aufmärschen wie den „Demos für Alle“ umgehen? Wäre es besser, kein Aufhebens um sie zu machen?
Bernd Riexinger: Nein, das glaube ich nicht. Ein Ansatz ist es schon zu sagen, man überlässt die öffentlichen Plätze nicht den Rechten und den Nazis, sondern man zeigt, dass es auch Gegenkräfte gibt, indem man demonstriert oder die öffentlichen Plätze besetzt. Aber das reicht bei Weitem nicht aus, da die Ideologien auf ganz anderen Feldern wirken. Sie haben eine gesellschaftliche Ursache, und die muss man mit angehen. Du wirst den Nazismus und rechtspopulistische Kräfte nicht bekämpfen können, ohne die soziale Ursache dieser Ideologien mit anzugehen.
BN: Welche Ursachen sind das genau?
Bernd Riexinger: Rechte Kräfte sind insofern beharrend, dass sie sagen, wir schotten das ab, was wir haben, oder sie nutzen soziale Nöte, die schon lange da sind und mit den Flüchtlingen gar nichts zu tun haben – etwa Wohnungsnot oder Langzeitarbeitslosigkeit. Die Rechten finden Sündenböcke, fast immer auf einem rassistischen Hintergrund, und lenken dadurch prächtig davon ab, wer die wahren Verursacher des Problems sind. Es gab immer schon eine Neigung von denen unten oder – noch stärker – von denen in der Mitte, sich nach unten abzugrenzen und zu treten und nach oben zu buckeln.
BN: Wie kann die Linke darauf reagieren?
Bernd Riexinger: Sie muss zwei Sachen machen: Eine gute Aufklärungsarbeit über die wahren Zusammenhänge leisten, aber sie muss auch – und das ist leichter gesagt als getan – ein Hoffnungsträger für eine andere gesellschaftliche Zukunft sein, damit die Leute sagen, was uns die Linke bietet, ist viel attraktiver als das, was die Rechte bietet. Es reicht nicht, dagegen zu sein – man muss schon auch einen anderen Horizont eröffnen.
BN: Den öffentlichen Raum den Rechten nicht überlassen – das läuft ja nicht konfliktfrei. Wie weit kann man gehen? Befürworten Sie Formen des zivilen Ungehorsams?
Bernd Riexinger: Ja, auf alle Fälle. Man muss klar sagen, womit man es hier zu tun hat: Man hat es oft mit sehr gewaltbereiten rechten Kräften zu tun. Die meisten Anschläge und die Überfälle auf Flüchtlingslager gingen von den Rechten aus, nicht von anderen Kräften. Man muss sagen, dass man es mit einer völlig brutalen und menschenfeindlichen Ideologie zu tun hat. Wenn da ein Platz besetzt oder eine Straße dicht gemacht wird, finde ich das relativ harmlos gegenüber den Kräften, mit denen wir es da zu tun haben. Man muss auch fragen, was löst diese Ideologie aus an Aggressivität und Brutalität in der Gesellschaft. Da darf man nicht die Dinge gleichsetzen und Äpfel mit Birnen vergleichen.
BN: Sie würden zum Beispiel eine Sitzblockade für legitim halten?
Bernd Riexinger: Natürlich, wie haben immer gesagt, bei „Dresden nazifrei!“ oder in anderen Bündnissen, dass ziviler Ungehorsam in Ordnung ist.
BN: Werden Sie persönlich bedroht?
Bernd Riexinger: Ja, wir kriegen alle, die ganze linke Führung, regelmäßig nicht nur Hass-E-Mails, sondern auch konkrete Morddrohungen. Morgen wird einer vorbeikommen mit der Glock, und der wird dir drei Kugeln in den Kopf schießen. Ich lasse mich nicht besonders davon beeindrucken, aber ein komisches Gefühl bekommt man dann manchmal schon. Bei konkreten Bedrohungen nehmen wir Kontakt mit der Polizei auf. Auch in den sozialen Netzwerken ist längst eine Grenze zusammengebrochen. Was da an Hass und Bedrohungen geäußert wird, ist schon übel – und noch viel übler gegen die Flüchtlinge und gegen die, die an vorderster Front mit ihnen kämpfen. Das ist unerträglich, und das darf die Gesellschaft niemals akzeptieren.
BN: Werden auch in Baden-Württemberg Büros der Linken angegriffen?
Bernd Riexinger: Das geschieht eher in östlichen Bundesländern, aber dort regelmäßig. Etwa in Sachsen, in andern Ländern auch. In Baden-Württemberg werden eher unsere Plakate kaputt gemacht und heruntergerissen, übermalt oder sonst was.
BN: Wir wollen das Thema Weinheim noch einmal ansprechen. Dort hielt die NPD ihren Bundesparteitag ab. Dagegen gab es starken Protest. Ein Vertreter der Linken distanzierte sich bei einer Kundgebung von der Antifa. Wir waren an beiden Tagen vor Ort. Aus unserer Sicht war es die Polizei, die Gewalt ausgeübt hat. Wenn es von Antifa-Seite überhaupt zu Gewalt gekommen sein sollte, dann als Reaktion. Wie positioniert sich die Linke da?
Bernd Riexinger: Auf dem Landesparteitag haben wir eine Resolution gegen den Polizeieinsatz in Weinheim verabschiedet und uns ausdrücklich von der Polizeigewalt distanziert. Bei Aufmärschen von Rechten ist ziviler Ungehorsam völlig legitim. Davon würde ich mich auch nicht distanzieren. Aber ich halte nichts davon, sich einen Barrikadenkampf mit der Polizei zu liefern. Das bringt in aller Regel nichts. Aber ich glaube nicht, dass die Linke weiterkommt, wenn sie versucht, sich von antifaschistischen Kräften zu distanzieren.
Wir haben immer den klaren Kurs gefahren, sowohl die bürgerlichen Bündnisse vor Ort zu unterstützen, als auch die antifaschistischen Bündnisse vor Ort. Ich glaube, das ist auch richtig. Du brauchst einerseits die Leute, die konsequenter und mutiger sind. Aber es muss auch gelingen, die Masse der Bevölkerung anzusprechen, die ja in ihrer Mehrheit nicht rechts, aber oft passiv ist. Man muss schauen, dass man beide Kräfte mobilisiert.
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