Von Matthias Jakoby und PeJo Berber – Berlin. Trotz Dauerregens demonstrierten 4000 bis 5000 Menschen am Sonntag, 6. März, – zwei Tage vor dem offiziellen Weltfrauentag – in Berlin für Gleichberechtigung, für mehr Freiheit, für mehr Rechte gegen die patriarchale Ausrichtung der Gesellschaft. Frauen und Männer, aber auch viele Homosexuelle, Transsexuelle und Menschen mit queeren Geschlechtsidentitäten nahmen teil und machten auf ihre Situation aufmerksam. Eine weitere Demonstration gab es zum Frauentag selbst in Kreuzberg und Neukölln.
Themen der Kundgebung am 6. März waren Benachteiligungen im Beruf, immer noch ungleiche Gehälter, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, aber auch sexuelle Gewalt – überhaupt Angriffe aufgrund der sexuellen Ausrichtung und der Geschlechtsidentität, außerdem die Homoehe. Verurteilt wurde ein „Feminismus von rechts“, der gemischt ist mit Rassismus und der Männern anderer Herkunftsländern pauschal unterstellt, nicht in der Lage zu sein, Frauen als gleichwertige Menschen anzusehen.
Nicht nur die Frauen und sexuelle Minderheiten in Deutschland, sondern in der ganzen Welt standen im Mittelpunkt. Eine Gruppe aus Südamerika klärte über den Tod von Berta Cáceres auf. Die honduranische Menschenrechts- und Umweltaktivistin war drei Tage zuvor tot aufgefunden worden. Geflüchtete prangerten ihre Behandlung in Deutschland an. Andere beschrieben das schlimme Schicksal, das Frauen im Einflußgebiet des IS erleiden müssen.
Unterschiedliche Positionen zu Sexarbeit
Auftakt war am Rosa-Luxemburg-Platz vor der Volksbühne um die Mittagszeit. Auf einer Bühne wurde eine Stunde lang ein Programm geboten, bei dem sich musikalische Einlagen und Redebeiträge abwechselten. Bemerkenswert waren dabei zwei direkt aufeinander folgende Reden über Prostitution und Sexarbeit, in denen diametral gegensätzliche Positionen zu diesem Thema bezogen wurden.
Während die erste Rednerin bessere Arbeitsbedingungen und rechtliche Absicherung forderte, verlangte die zweite eine komplette Abschaffung dieses Wirtschaftssektors. Davor hatte die Moderatorin von unterschiedlichen feministischen Strömungen gesprochen. Es gebe eben nicht nur einen Feminismus.
Ohne Polizei verlief die Demo störungsfrei
Nach einer Stunde setzte sich der Demonstrationszug Richtung Alexanderplatz in Bewegung. Nach dem ersten Abbiegen in eine Seitenstraße, die Memhardstraße, tauchte plötzlich eine Ein-Mann-Gegendemo auf, welche sich dann aber doch nicht traute, es mit den Frauen aufzunehmen und gleich wieder verschwand. Dem Alexanderplatz selber wurde kein Besuch abgestattet. Stattdessen ging es westlich an ihm vorbei, unter der S-Bahn-Brücke hindurch die Memhardstraße weiter in Richtung Dom.
Hier an der Spandauer Straße bog die Demo links ab auf die Karl-Liebknecht-Straße und zog in Sichtweite des Roten Rathauses vorbei nach Kreuzberg. Von mehreren Lautsprecherwagen ertönten Redebeiträge und Musik. Am Oranienplatz in Kreuzberg war gegen 15.30 Uhr Schluss. Die Demonstration verlief komplett störungsfrei. Die Polizei war kaum zu sehen, und es wurden weder Festnahmen noch Verletzte gemeldet.
Frauentags-Demo in Kreuzberg und Neukölln
Zwei Tage später versammelten sich am eigentlichen Weltfrauentag Frauen, Lesben und andere Menschen aus der Genderszene am Kotbusser Tor in Berlin-Kreuzberg. Gut 2000 Menschen zogen durch den Kiez bis zur Abschlusskundgebung mit Reden und Tänzen auf dem Oranienplatz. Es wurden die selben Themen wie am 6. März aufgegriffen und betont, dass alle ein sexuelles Selbstbestimmungsrecht haben.
Frauen aus dem Nahen Osten – vor allem Kurdinnen, aber auch Türkinnen und Frauen aus Nordsyrien – ergriffen offensiv und selbstbewusst die Initiative für mehr Frauenrechte und einen gemeinsamen Kampf gegen reaktionäre patriarchalische Strukturen.
Empörung über Kumpanei mit der Türkei
Angeprangert wurde vor allem die Türkei. Die AKP-Regierung ließ eine Demonstration zum Frauentag mit Tränengas, Gummigeschossen und Verhaftungen auflösen. Auf allgemeine Empörung stieß, dass dafür verantwortliche Politiker von Bundeskanzlerin Angela Merkel und der EU-Spitze aktuell umarmt werden. Es hieß, die Gefahr, von einem Mann erschossen oder totgeprügelt zu werden, sei in der Türkei ungleich größer, als bei einem Autounfall oder an Krebs zu sterben.
Am Ende der Demo gab es eine Festnahme. Eine Teilnehmerin soll ihr Gesicht mit einem Schal vermummt haben. Ansonsten waren auch am 8. März erstaunlich wenig Polizisten vor Ort. Von der Festnahme abgesehen verlief auch diese Demonstration absolut friedlich.
Bei der Demonstration wurde ein Aufruf für den 12. März verteilt, den wir hier dokumentieren:
„Die Rückendeckung für das türkische Erdoganregime durch die Bundesregierung ist ein skandalöser Affront gegen die internationale Frauenbewegung“
Aufruf zur Solidaritätsdemonstration gegen den türkischen Staatsterror am 12. März um 13 Uhr am Alexanderplatz:
„Die türkische Regierung huldigt patriarchalischen Strukturen, scheut sich nicht, in rassistisch geprägtem Rahmen Frauen besonders zu schänden und erniedrigen zu lassen und arbeitet eng mit den wohl frauenfeindlichsten rassistischen Terrorgruppen, dem Islamischen Staat, zusammen.
Das Totschweigen dieser Tatsachen in Europa ist ein Skandal. In dem von der Türkei attackierten Rojava sind es zu 40 Prozent die Frauen, die – autonom organisiert in der YPJ – sich und die Menschen in der Region vor den Angriffen des IS verteidigen, der durch Vergewaltigungen, Verschleppungen, sexuelle Folter und Frauenhandel existenzielle Bedrohung in besonderem Maße für Frauen ist.
Das 40-Prozent-Prinzip gilt in Rojava durchgängig. In den demokratischen Selbstverwaltungsstrukturen werden alle Entscheidungsfunktionen von einer gewählten Doppelspitze, einem Mann und einer Frau, bekleidet. BürgermeisterInnen einer Stadt arbeiten zu zweit. „Die freie Frau in Rojava“ ist kurdisch, arabisch, assyrisch oder armenisch – die Idee der „freien Frau als Grundlage einer freien Gesellschaft“ steht daher auch für eine internationalistische Perspektive !“
Die aktuelle Entwicklung fordert, ein Zeichen zu setzen. Die enge Zusammenarbeit von EU und Bundesregierung mit Erdogan und seinem Regime ist nicht nur nach den jüngstem Übergriffen ein Affront gegen Frauen und freie Presse. Sie richtet sich durchgängig gegen alle Demokraten, Oppositionelle, Gewerkschafter und Kurden. In der Osttürkei gibt es mit Duldung der EU Massaker.
Stehen wir auf gegen Krieg, Rassismus und Faschismus, für Toleranz und Demokratie!
Solidaritätsdemonstration: „Brecht das Schweigen – Stoppt den Krieg in Kurdistan“ am Samstag, 12. März 2016, um 13 Uhr, Berlin Alexanderplatz
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