Von unseren ReporterInnen – Bruchsal. Die bundesweit vom Verfassungsschutz beobachtete Kleinstpartei „Die Rechte“ hatte für Samstag, 19. März, eine Kundgebung in Bruchsal angemeldet. Im Vorfeld wurde befürchtet, dass bis zu 500 Teilnehmer aus dem Neonazi-Spektrum dem Aufruf der vom baden-württembergischen Verfassungsschutz als „rechtsextrem“ eingestuften Partei folgen. Am Ende fanden nur maximal 120 Neonazis den Weg nach Bruchsal. Zehnmal soviel GegendemonstrantInnen waren da, um ihren Protest in Hör- und Sichtweite der Neonazis kundzutun.
Die Polizei war vor Ort mit rund 500 Beamten im Einsatz. Die Neonazis forderten in Anwesenheit der Polizei die Rückkehr zum Nationalsozialismus. Es war ein schwarzer Tag für AntifaschistInnen und Demokraten in Bruchsal.
Ursprünglich wolle „Die Rechte“ ihren „Tag der Heimattreue“ schon am 12. März abhalten, einen Tag vor der Landtagswahl in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz. Das Bündnis „Wir für Menschlichkeit“, dem 44 Initiativen aus allen gesellschaftlich relevanten Bereichen angehören, organisierte Gegenkundgebungen, Demozug und ein Bürgerfest für ein buntes Bruchsal und gegen rechte Hetze. Es mobilisierte mehr als 1300 Menschen. Gruppen von AntifaschistInnen unterstützten die Gegenveranstaltung.
Die Polizei ging hart vor, um die Kundgebung der Rechten durchzusetzen. Bei mehreren Auseinandersetzungen wurden etwa 30 AntifaschistInnen verletzt und mehr als 80 in Gewahrsam genommen. Nach Angaben der Polizei wurden sechs Beamte verletzt. Auch berichteten Augenzeugen, dass Neonazis GegendemonstrantInnen durch die Stadt jagten.
Mit Schlagstock und Pfefferspray gegen Antifa-AktivistInnen
Am Vormittag war es beim Saalbach-Center in der Prinz-Wilhelm-Straße zu einer Konfrontation zwischen Polizeikräften und meist sehr jungen Antifa-AktivistInnen gekommen. Nachdem sich rund 300 AntifaschistInnen aus dem ganzen Südwesten am Bahnhof in Bruchsal versammelt hatten, zogen diese lautstark durch Bruchsal zur angemeldeten Kundgebung des Antifaschistischen Aktionsbündnisses Karlsruhe.
Nach einem kurzen Zwischenstopp zog die Gruppe weiter in Richtung des Kundgebungsplatzes der Neonazis. Dabei kam es an einer nicht abgesperrten Straße zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Die sichtlich überforderten Beamten schlugen mit Fäusten und Schlagstöcken zu und sprühten massiv Pfefferspray in die Menge. Insgesamt hatte das Vorgehen nach unseren Beobachtungen eher den Charakter einer Schlägerei als einer geordneten polizeilichen Maßnahme.
Pressevertreter mit Pfefferspray attackiert
Auch ein Pressevertreter der Beobachternews wurde zielgerichtet mit Pfefferspray attackiert, verletzt und mit dem Schlagstock bedroht. Nach diesem Zwischenfall kam es zu einer regelrechten Hetzjagd auf die AntifaschistInnen, die sich in alle Richtungen zerstreuten. Dabei nahm die Polizei auch kein Rücksicht auf Verletzte, die zum Teil hilflos am Boden lagen.
Rund 30 Demonstranten hatten Zuflucht im Parkhaus des REWE-Supermarktes gesucht, als eine BFE-Einheit begann, sie unter lautem Gebrüll zusammenzutreiben. Auch hierbei wandte die Polizei massiv Gewalt an. Die eingekesselten AntifaschistInnen mussten teilweise über sechs Stunden im Kalten ausharren, ein Teil wurde zur Gefangenensammelstelle gebracht.
Vorgeworfen wird ihnen Landfriedensbruch sowie Verstöße gegen das Versammlungsgesetz. Repressiv ging die Polizei auch gegen Journalisten vor. Sie wurden auf verschiedene Art behindert, zum Beispiel durch den Versuch, ihnen vorzugeben, was sie zu fotografieren und wo sie sich aufzuhalten hätten. Auch wurden ihre Presseausweise abfotografiert.
Demosanitäter versorgen 31 Patienten
Die Polizei hat nach eigenen Angaben 82 Personen in Gewahrsam genommen. Zwei Polizeibeamte seien hierbei verletzt worden. Bei den „festgesetzten Angreifern“ habe sie „mitunter zahlreiche Vermummungsgegenstände, Zahnschutz und Pyrotechnik aufgefunden“. Weiteren 38 Personen erhielten einen Platzverweis.
Kurz nach 15 Uhr kam es erneut in der Nähe des Saalbach-Centers zu einem Tumult. Spezialkräfte führten einen Antifa-Aktivisten im brutalen Polizeigriff ab. Der junge Mann zog sich durch die Festnahme eine blutende Platzwunde über dem rechten Auge zu. Demosanitäter und Mitarbeiter der Sanitätsgruppe Süd-West waren voll beschäftigt. 31 Patienten mussten versorgt werden. Die Demosanitäter zählten 17 Verletzte durch Einwirkung von Pfefferspray, sechs Verletzungen in Gesicht und Kopf durch stumpfe Gewalteinwirkung, fünf Prellungen an Extremitäten, zwei Schürfwunden, eine Verstauchung.
Zeichen gegen populistische Hetze und Fremdenhass
Das aus über 40 Initiativen bestehende Bündnis „Wir für Menschlichkeit“ brachte mehr als 1300 BürgerInnen auf die Straßen Bruchsals. Um 13 Uhr begann die Hauptkundgebung auf dem Friedrichsplatz. Unter anderem sprachen die Bruchsaler Oberbürgermeisterin Cornelia Petzold-Schick und der IG-Metall Bevollmächtigte Eberhard Schneider. Sie machten in ihren Ansprachen deutlich, dass rechtsextremen und rassistischen Parolen in Bruchsal entschieden widersprochen werden und ein sichtbares Zeichen gegen populistische Hetze und Fremdenhass gesetzt werden müsse. „Bruchsal darf kein Aufmarschgebiet für rechte Umtriebe werden“, forderte Bernhard Schneider. „In Bruchsal haben wir 1200 Flüchtlinge und 400 ehrenamtliche Helfer. Wir haben die Rechten nicht eingeladen, hierher zu kommen“, stellte Oberbürgermeisterin Petzold-Schick klar.
Der bunte und laute Demozug mit hunderten Teilnehmern aus allen gesellschaftlich relevanten Organisationen zog vom Friedrichsplatz zum Viktoriapark in Sichtweite der Nazi-Veranstaltung. Dort wurden erneut Ansprachen gehalten. Neben dem DGB-Landesvorsitzenden Nikolaus Landgraf sprachen viele weitere Redner von Parteien, Kirchen und bürgerlichen Initiativen. Die DemoteilnehmerInnen – AktivistInnen der Antifa voran – machten mit Gesang und Sprechchören laut und friedlich ihren Unmut in Richtung Neonazis deutlich.
Neonazi-Kundgebung auf Schotterparkplatz am Bahnhof
Der etwa 80 Mitglieder zählende baden-württembergische Landesverband der „Rechten“ trat mit der Absicht an, den „Tag der Heimattreue“ – von „volks- und heimattreuen Kräften“ organisiert – zu einer jährlich festen Veranstaltung im Südwesten zu machen. Politisch betrachtet ist die Partei bedeutungslos. Ziel des „Tages der Heimattreue“ sei „die Verbundenheit und der Kampf für Heimat, Volk und Vaterland, unabhängig von Parteibuch und Zugehörigkeit zu Organisationen“ – so steht es auf der Homepage der Kleinstpartei. Auf der Straße wolle man „gegen die Zerstörung des Volkes protestieren und Missstände offen anprangern“.
Die Neonazi-Kundgebung, zu der anfänglich nur 60, im Verlauf des Tages maximal 120 Personen kamen, spielte sich auf einem Schotterparkplatz in Bahnhofsnähe ab. Anwesend waren Ester Seitz, Aktivistin der Neonazi-Szene, Johannes Welge („Die Rechte Hildesheim“), Philipp Hasselbach (Kreisvorsitzender „Die Rechte“ München), die Neonazis der „Kameradschaft Zweibrücken“, die „Berserker Pforzheim“ und Anhänger von „Karlsruhe wehrt sich“.
Bei der Veranstaltung waren nur Reichsfahnen zu sehen. Nicht gesichtet wurde der in Bruchsal und Karlsruhe als Rechtsaktivist gescheiterte Matthias Bückle (früher „Steh auf für Deutschland“), ebenso wenig der NPD-Funktionär und Landtagskandidat Jan Jaeschke aus Weinheim, der nach dem Misserfolg seiner Partei bei der Wahl am 13. März als NPD-Kreisvorsitzender Rhein-Neckar zurücktrat.
„Deutschland den Deutschen“
Am Bahnhof wurde massiv gegen Geflüchtete und die etablierten Parteien gehetzt, außerdem Angela Merkel und ihre Regierung aufgefordert, die „Asylflut“ zu stoppen. Aus Sicht der Redner der Kleinstpartei „Die Rechte“ findet in Deutschland einen „Bevölkerungsaustausch“ mit MigrantInnen und Flüchtlingen statt. Sie forderten „Deutschland den Deutschen“.
Nach ihrer Kundgebung, die von lauten Gegenprotesten begleitet wurde, setze sich der Demonstrationszug kurz nach 15 Uhr in Bewegung. Davor wurde der Lausprecherwagen der Neonazis, ursprünglich für den Demozug nicht angemeldet, nach Rücksprache mit den Versammlungsbehörden genehmigt. Die Neonazis zogen vom Bahnhof durch die lange Bismarckstraße, wo sie eine Zwischenkundgebung abhielten.
Hetze gegen Kanzlerin und Medien
Dort sprachen unter anderem Philipp Hasselbach (Kreisvorsitzender „Die Rechte“ München) und Ester Seitz, Anführerin von „Karlsruhe wehrt sich“. Beide forderten Merkel „ihrer „schlechten Asylpolitik“ wegen zum Rücktritt auf. Die Bundeskanzlerin überflute Deutschland absichtlich mit Flüchtlingen. Das sei eine Gefahr für die deutsche kulturelle Identität.
Sie forderten zudem die sofortige Schließung der Grenzen und einen Aufnahmestopp für Flüchtlinge. Ester Seitz warf den Medien und der Presse Propaganda in der Flüchtlingsfrage vor. Sie bezeichnete Medien und Presse als „Lügenpresse“. Die „Invasion von Flüchtlingen“, meinte Seitz, sei ein „Völkermord an Deutschland“. Der „Türkei-Deal“ mit der EU sei die Umwandlung illegaler Migration in legale Migration. Wegen der „Überflutung“ werde es in Deutschland sehr bald einen „Bürgerkrieg“ geben.
Neonazis: „Nationalsozialismus jetzt“
Nach ihrer Zwischenkundgebung zogen die Neonazis weiter in die Richtung Bahnhof. Während ihres Aufmarschs, der von lauten Antifa-Protesten begleitet wurde, skandierten sie „wer Deutschland nicht liebt soll Deutschland verlassen“. Sie verlangten „Nationalsozialismus jetzt“.
Dies in Anwesenheit starker Polizeikräfte, die sich jedoch zurückhielten. Zu unserer Frage, ob der Aufruf zum Nationalsozialismus in der Öffentlichkeit nicht verfassungswidrig sei, äußerte sich die Polizei wie folgt: „Wir haben Spezialisten von uns, die diese Demonstration dokumentieren. Es wird alles gefilmt und ausgewertet. Falls Straftaten begangen wurden, werden diese angezeigt und die Straftäter juristisch verfolgt“. Bis zum Bahnhof ging die Hetze gegen MigrantInnen und Flüchtlinge weiter.
Neonazis schlagen einen Passanten nieder
Immer wieder übten am Samstag Kleingruppen von Neonazis gezielt Gewalt gegen Einzelpersonen aus. Dies reichte vom Bierflaschenwurf auf das Ende des bürgerlichen Demozugs bis hin zur brutalen Attacke auf einen Passanten in der Nähe einer Einkaufspassage in der Innenstadt. Er wurde zusammengeschlagen.
Die Polizei war mit hunderten Kräften im Einsatz, nahezu das gesamte Arsenal des staatlichen Apparats wurde aufgeboten: Helikopter, Hundeführer, Spezialkommandos, Zivilbeamte, Motorradstreifen. Dennoch waren die Beamten nach unseren Beobachtungen nicht zur Stelle, als es zu den Angriffen auf Einzelpersonen kam. Um 17.30 Uhr war die Hauptveranstaltung offiziell zu Ende. Gegen 17.40 Uhr verfrachteten Polizeibeamte auch die letzten Neonazis in die abfahrenden Züge, soweit sie nicht schon zuvor in Minivans nach Zweibrücken oder Pforzheim aufgebrochen waren.
Polizei: Bahngleise vorübergehend gesperrt
„Die Veranstaltung des Aktionsbündnisses verlief aus polizeilicher Sicht mit bis zu 700 Teilnehmern ebenfalls störungsfrei“, heißt es in der Pressemitteilung der Polizei. Es sei aber während der Demonstration zu einer Auseinandersetzung zwischen Teilnehmern und Personen gekommen, die sich im Luisenpark aufhielten. Eine unbeteiligte Person sei durch Flaschenwürfe aus der Versammlung heraus am Kopf getroffen worden.
Die Polizei berichtet überdies, „Personengruppen des linken Spektrums“ hätten gegen 15 Uhr versucht, eine Polizeisperre an der Salinenstraße zu durchbrechen und Pfefferspray versprüht. Vier Polizeibeamte hätten dadurch Verletzungen davongetragen. Die Polizei habe ebenfalls Pfefferspray eingesetzt. Ein Teil der Gruppe habe anschließend versucht, über die Gleiskörper des Bahnhofs zum Versammlungsort der Rechten zu gelangen, weshalb kurzfristig der Zugverkehr gesperrt wurde. In diesem Zusammenhang seien „fünf Personen des linken Spektrums“ vorläufig festgenommen worden.
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