Von PeJo Berber – Berlin. Der Ostermarsch in Berlin war diesmal direkt im Kiez, wo die Leute wohnen. Treffpunkt Oranienplatz, mitten in Kreuzberg. Nicht zentral in Mitte. Nach langer Zeit am Ostersamstag, 26. März, endlich Sonnenschein. Es sind mehr als 2000 Leute gekommen . Also nicht genug, aber spürbar mehr als letztes Jahr. Bedeutet das schon, die Friedensbewegung sei im Aufwind, wie einige Teilnehmer meinten? Ein Rundgang.
Auf jeden Fall bewegt sich was in Berlin. Das zeigt der Demoaufruf „Soziales Berlin für alle, Rassisten stoppen!“ eines breiten Bündnisses für Samstag, 16. April. Beginn ist um 13 Uhr am Oranienplatz. Unter dem Motto „Wir lassen uns nicht spalten“ werden Bleiberecht, guter Wohnraum, Arbeit und Bildung für alle gefordert (siehe unten im Wortlaut).
Der Deal mit Erdogan ist eine moralische Bankrotterklärung
Die Reden beim Ostermarsch am Karsamstag sind so gut, dass die meisten Menschen aufmerksam zuhören und klatschen. Neben den klaren Standardforderungen wie Austritt aus der Nato, endlich Stopp der rapide steigenden Waffenlieferungen, wendet sich der Protest in den Reden und Transparenten gegen die Doppelmoral deutscher „Friedenspolitik“ und die wachsenden Einmischversuche weltweit.
Die neue als Verantwortung kaschierte Politik der Bundesregierung sei ein Spiel mit dem Feuer. Statt die Ursachen zu bekämpfen, verschärfe sie die Konflikte. Völkerrechtswidrige und nach deutschem Recht halblegale Kriegsaktionen wie die militärischen Übergriffe der Türkei in den Nordirak und nach Syrien oder der von deutschem Boden gesteuerte Drohnenkrieg der USA würden geduldet oder direkt unterstützt.
Besonders sichtbar war der Protest gegen die politische Aufwertung und finanzielle Unterstützung der Türkei, die nun im Nahen Osten mit Rückendeckung der Bundesregierung und der EU ein Haupthindernis bei den Friedensbemühungen in und um Syrien darstelle. Eine moralische Bankrotterklärung auch der schmutzige Deal auf dem Rücken der Flüchtlinge, das Wegschauen vor der systematischen Hetzjagd auf Demokraten, vor Massakern an der kurdischen zivilen Bevölkerung und einem aufziehenden Bürgerkrieg in der Türkei.
Starkes Interesse an SAV-Kongress gegen Krieg und Kapitalismus
An anderer Stelle von Freitag bis Sonntag zog ein „Gespenst“ in Berlin ein. In den Räumen der Rosa-Luxemburg-Stiftung wurden die Sozialismustage der Sozialistischen Alternative SAV abgehalten. Von Veranstaltern und Besuchern hieß es im Anschluss begeistert: „Mit 420 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus vierzig Städten und elf verschiedenen Ländern war ‚Der Kongress gegen Krieg, Rassismus und Kapitalismus‘ vom 25. bis 27. März in Berlin ein Riesenerfolg, der alle Erwartungen sprengte. In dreißig Workshops, drei Plenumsveranstaltungen und drei Aktionen wurde diskutiert, Gegenwehr geplant und wurden Erfahrungen aus Aktivitäten in Linke, Linksjugend Solid, Gewerkschaften und antirassistischer Bewegung und dem Widerstand gegen den Kapitalismus ausgetauscht.“
Dabei waren neben vielen SAV-Aktiven der stellvertretende Vorsitzende der Linken Tobias Pflüger, die Verdi-Sekretärin Janine Balder, der lunapark21-Herausgeber Winfried Wolf, die Mieteraktivisten Kalle Gerigk und Rouzbeh Taheri, die antikapitalistische Rapperin Thawra und viele andere. „Den größten Eindruck hat aber sicherlich der kritische Kommunist und antifaschistische Widerstandskämpfer hinterlassen, der zwei Wochen zuvor seinen einhundertsten Geburtstag feiern konnte“, berichten die Veranstalter weiter (siehe „Herzlichen Glückwunsch, Theo Bergmann!„).
Beeindruckend waren auch Berichte über die wachsende linke Widerstandsbewegung in den angelsächsischen Ländern. Darletta Scruggs von Socialist Alternative in den USA und Peter Taaffe vom Komitee für eine Arbeiterinternationale debattierten Charakter und Bedeutung der Wahlkampagne von Bernie Sanders in den USA, wo es eine neue Offenheit für sozialistische Ideen gibt, vom Linksruck in der Labourparty in GroßBritanien und Laura Fitzgerald aus Irland berichtete vom Wahlerfolg der Linken, dem ungebrochenen Widerstand gegen die Wassergebühren und Austeritätspolitik.
Erneuter Protest gegen die Zusammenarbeit mit Erdogan
Am Sonntag versammelten sich parallel etwa 200 Menschen am Kotbusser Tor, um der Ermordung eines Gewerkschafters und Lehrers durch türkische Faschisten 1980 zu gedenken. In der Rede wurde das Treiben faschistischer türkischer Organisationen in Deutschland aufgezeigt. Ebenso, wie blind die deutschen Behörden diesem bedrohlichen Treiben aktuell zuschauen angesichts der engen Zusammenarbeit mit dem türkischen Erdogan-Regime.
Vertreter von demokratischen Organisationen, insbesondere der kurdischen Freiheitsbewegung, würden stattdessen in ihrer Arbeit verstärkt behindert oder wie die PKK verboten bleiben. In einer weiteren engagierten Rede wurde hervorgehoben, dass insbesondere die kurdische Freiheitsbewegung gegen Nationalismus, Rassismus, Sexismus und religiöse Bevormundung kämpfe und in den Heimatgebieten, aber auch hier wie an jedem Ort dieser Erde für ein basisdemokratisches Zusammenleben aller Völker, Glaubensrichtungen und Geschlechter eintrete.
Es gab noch viele „linke“ österliche Ereignisse in Berlin. Zum Beispiel Treffen von „Berlin für Alle“, auf denen versucht wird , den Widerstand sozialer Bewegungen zu bündeln gegen Wohnraum-, Bildungs- und sonstige Versorgungsnotstände als Folge einer jahrelangen Sparpolitik bei öffentlichen Ausgaben.
Und dann noch die vielen Ostermärsche ins Grüne bei Sonnenschein. Selbst hier hat auf einer Bank am See die Kritik an der neoliberalen Politik ihre Spur hinterlassen, an der untauglichen Ursachenbekämpfung der Banken- und Finanzkrise. Auf die Rücklehne hat ein weiteres Gespenst „Bad Bank“ gesprüht.
Der Aufruf des Bündnisses soziales Berlin gegen Rassismus für den 16. April, 13 Uhr, am Oranienplatz im Wortlaut:
WIR LASSEN UNS NICHT SPALTEN!
Weltweit sind laut UNO 60 Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Unterdrückung und Ausbeutung – so viele wie noch nie seit dem zweiten Weltkrieg. Einige von ihnen finden den Weg nach Berlin. Die Zustände für Geflüchtete sind nach wie vor nicht tragbar. Noch immer warten viele tagelang in der Kälte, um registriert zu werden oder müssen in Turnhallen oder Behelfsunterkünften schlafen. Gleichzeitig gibt es freien Wohnraum und ungenutzte Immobilen, die aus spekulativen Gründen leerstehen. So kostet das ehemalige Bundesinnenministerium mit seinen 850 leeren, beheizten Räumen, welches sich in direkter Nachbarschaft zum LaGeSo befindet, den Staat monatlich über eine halbe Million Euro.
BLEIBERECHT, GUTER WOHNRAUM, ARBEIT UND BILDUNG FÜR ALLE
Auch schon länger hier lebende Menschen haben es zunehmend schwerer, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Mehrere zehntausend Wohnungen fehlen in Berlin und jährlich werden nur etwa halb so viele gebaut wie nötig wäre. Der öffentliche Dienst ist unterfinanziert und die Kolleg*innen in den Bürgerämtern und Krankenhäusern chronisch überlastet. Schüler*innen müssen in viel zu großen Klassen und viel zu oft auch in Containern unterrichtet werden. Schon jetzt fehlen in Berlin mindestens 10 Schulen, wenn die Planung nicht sofort beginnt, werden es im Jahr 2030 rund 80 sein.
Egal, ob du seit 70 Jahren oder drei Monaten in Berlin lebst, egal, ob du aus Wedding, Dortmund oder Syrien kommst: Wer sich die teure Eigentumswohnung oder den Privatunterricht nicht leisten kann, ist auf die soziale Infrastruktur der Stadt angewiesen.
Das Kaputtsparen hat die städtische Infrastruktur nicht erst seit dem Ankommen von mehr Geflüchteten an seine Belastungsgrenzen gebracht.
Wir brauchen dringend Investitionen in Bildung, Wohnraum und Soziales!
Statt weiter Geflüchtete zu entrechten, sie in Lagern unterzubringen, ihnen das Arbeiten zu verbieten und zu drohen, sie zurück in Krieg, Armut und Diskriminierung abzuschieben, brauchen wir ein wirkliches Recht auf Asyl und gleiche Rechte für alle hier Lebenden!
KEINEN FUSSBREIT DEN RASSISTEN UND FASCHISTEN
Fast täglich mobilisieren Rassisten, Rechtspopulisten und Faschisten, um gegen Migrant*innen zu hetzen. Brandanschläge auf Flüchtlingswohnheime und körperliche Angriffe gegen Migrant*innen, Flüchtlingshelfer*innen und Andersdenkende sind zunehmend an der Tagesordnung.
Die Rechten behaupten, die Geflüchteten seien Schuld an der Wohnungsnot, den beschlagnahmten Turnhallen und dem Geldmangel der Bezirke und nutzen so die gesellschaftliche Unterfinanzierung für ihre Propaganda.
Wir stellen uns ihnen entgegen und lassen uns nicht spalten! Die Grenzen verlaufen nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen oben und unten!
Wir fordern:
- Das Recht auf Asyl für alle Menschen, die vor Krieg, Unterdrückung, Diskriminierung und Armut fliehen – Nein zur Festung Europa!
- Gleiche Rechte, kostenlose Bildung und gesellschaftliche Teilhabe für alle hier lebenden Menschen
- Bezahlbaren Wohnraum schaffen! Für ein massives kommunales Wohnungsbauprogramm und die Beschlagnahmung von spekulativem Leerstand
- Für eine schnellstmögliche dezentrale Unterbringung von Geflüchteten in Wohnungen
- Für die Schaffung von neuen Stellen im öffentlichen Dienst für Bildung, Kinderbetreuung, Wohnungsbau, Bürgerämter. Nein zur Schuldenbremse!
- Die Reichen sollen zahlen: Sonderabgabe für Millionäre, um Sozialprogramme zu finanzieren
- Schluss mit rechter Hetze – Rechtspopulisten und Faschisten offensiv entgegentreten!
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