Von Tom Guerrero und Alfred Denzinger – Ludwigshafen. Rund dreißig Männer und Frauen demonstrierten am Dienstagvormittag, 19. April, in Ludwigshafen gegen den Besuch des ungarischen Regierungs-Chefs Viktor Orban bei Alt-Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU). Aufgerufen hatten die Antifa Rheinpfalz mit weiteren Bündnispartnern. Das Medienaufgebot vor dem Privathaus Kohls in Oggersheim war enorm. Trotz eines übermächtigen Polizeiaufgebots wurde kein Protest in Hör- und Sichtweite zur AfD-Kundgebung zugelassen.
Der Protest richtete sich gegen einen als privat deklarierten Besuch mit starker Symbolkraft. Von der Öffentlichkeit wurde er als massive Kritik an der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und als Unterstützung Helmut Kohls für die Abschottung Ungarns verstanden. Der Altkanzler empfing den rechtspopulistischen, auf EU-Ebene umstrittenen und im eigenen Land massiv kritisierten ungarischen Regierungschef, auch „Stacheldraht-Orban“ genannt, nicht zum ersten Mal. Medienvertreter waren am Dienstag grundsätzlich ausgeschlossen. Am Ende des Tages zeigten sich Kohl und Viktor Orban dann doch noch für wenige Minuten der Presse.
Demozug durch Oggersheim
Die Antifa Rheinpfalz und ihre Bündnispartner hatten die Protestveranstaltung angemeldet, sobald bekannt wurde, dass der ungarische Regierungschef auf seiner privaten Tour durch Deutschland auch in Ludwigshafen am Rhein einen Stopp einlegen würde. Ihre Demonstration begann um 8.30 Uhr am Regionalbahnhof LU-Oggersheim. Bei einer Zwischenkundgebung am Hans-Warsch-Platz begrüßte der Anmelder und Versammlungsleiter die Anwesenden.
Natice Orhan-Daibel, Sprecherin der Privatinitiative „Bahnhofshelfer Mannheim“, berichtete von Erfahrungen aus der alltäglichen Arbeit mit in Mannheim gestrandeten Flüchtenden. Sie rief dazu auf, sich in die Lage der Menschen zu versetzen: „Stell dir vor, es ist Krieg und du musst fliehen. In einem kleinen Boot. Das Boot sinkt. Deine Mutter ertrinkt. Dein Sohn ertrinkt. Dein Vater wird an einer Grenze verprügelt. Deine Schwester erstickt in einem Transporter. Dein Bruder verdurstet in der Wüste. Und du bleibst an einem Stacheldrahtzaun hängen.“
Seit Anfang September hätten die Bahnhofshelfer Nacht für Nacht tausenden Menschen, die vor Krieg und Verfolgung geflohen sind, am Mannheimer Bahnhof bei ihrer Weiterfahrt geholfen. „Das war und ist uns nur möglich aufgrund der überwältigenden Hilfsbereitschaft der Bevölkerung, die uns mit Spenden und persönlichem Einsatz unterstützt“, sagte Orhan-Daibel.
Es sei die Pflicht jedes Menschen, anderen in Not zu helfen. In Deutschland werde das getan. Das Land habe seine Menschlichkeit bewahrt, es gebe in Deutschland keine Stacheldrahtzäune. Bei ihren Einsätzen am Bahnhof würden die Helfer Zeugen von Berichten über Gewalt an den Stacheldrahtzäunen, mit denen sich Europa gegen die Opfer von Krieg und Verfolgung abschottet, sagte die Rednerin. Menschen, die in ihren Heimatländern Gewalt, Krieg und Terror ausgesetzt waren und geflohen sind, berichteten nun von Gewalt, Krieg und Terror – in Europa.
Natice Orhan-Daibel berichtete von vielen Einzelschicksalen – auch von Menschen, die an den abgeschotteten Grenzen durch Stacheldraht verletzt, die von Soldaten geschlagen und verwundet wurden, die unter Mangel an Wasser, Nahrung und medizinischer Versorgung litten. „Das ist nicht Europa, Herr Orban“, rief sie aus. „Das ist nicht Deutschland, Herr Kohl! Deutschland – das ist die Bevölkerung, das sind die Menschen, die tagtäglich ihrem Herzen folgen, die sich tagtäglich für Menschen einsetzen, die aus ihrer Heimat fliehen mussten, um hier Schutz und Sicherheit zu finden.“
Im Anschluss erklärte ein Antifa-Vertreter, „solange es uns gibt, wird es in Deutschland keine Stacheldrahtzäune geben! Solange es uns gibt, wird unsere Polizei auf keine Geflüchteten schießen!“ Die vollständige Rede kann hier nachgelesen werden: Teil 1 / Teil 2.
Etwa zehn Polizisten auf jedeN DemonstrantIn – dennoch Protest in Hör- und Sichtweite vereitelt
Der Protestzug setzte sich fort in Richtung Marbacher-Straße zum Wohnsitz des Altkanzlers. Besonders auffallend war das überzogene Verhältnis zwischen der Anzahl der DemonstrantInnen und den eingesetzten Polizeibeamten. Der Demonstrationszug wirkte eher wie ein Umzug der Polizei, als eine Protestdemonstration.
AfD-Anhänger aus der Stadt hatten am vergangenen Wochenende „kurz vor Zwölf“ eine Gegendemonstration angemeldet, so der Polizeidirektor Uwe Traub von der Polizeidirektion Ludwigshafen im Gespräch mit Beobachter News. Ihre stationäre Veranstaltung weit ab des eigentlichen Geschehens wurde aber nur am Rande zur Kenntnis genommen. Eine Spontandemonstration der AntifaschistInnen in Richtung der AfD-Versammlung wurde zunächst von der Polizei gestoppt. Ein Beamter erklärte den DemonstrantInnen, ihre Spontandemonstration sei „noch nicht von höchster Ebene freigegeben worden“. Nach einer Besprechung der Polizeiführung über die Einschätzung der „Gefahrenlage“ wurde es schließlich einer kleinen Gruppe von maximal zehn Personen erlaubt, sich in Richtung der AfDler in Bewegung zu setzen. Die Spontandemonstration wurde jedoch von der Polizei rund 100 Meter vor dem gewünschten Ziel gestoppt. Somit wurde von der Polizei das Recht in Hör- und Sichtweite zur AfD zu demonstrieren unterbunden und ein „Beachtungserfolg“ unmöglich gemacht. Durch dieses zweifelhafte Vorgehen der Beamten wurde der eigentliche Versammlungszweck vereitelt. Das polizeiliche Verhalten dürfte somit einem Verbot der Gegendemonstration gleichzusetzen sein.
„Orban verpiss Dich, keiner vermisst dich“
Kurz vor 12 Uhr traf der ungarische Politiker mit seinem Tross in der Marbacher-Straße ein -samt Blumenstrauß und Präsenten. Die AntifaschistInnen skandierten „Orban verpiss Dich, keiner vermisst dich“, „Menschenrechte überall – Stacheldraht zu Altmetall“ und „Orban raus!“. Gut eine Stunde später trat Viktor Orban überraschend vor die Medienvertreter und ließ über einen Dolmetscher verlauten, die deutsch-ungarische Verbindung sei groß. Helmut Kohl sei „der am höchsten stehende Politiker in der EU“. Er dürfe nicht kritisiert werden. Kohl sei sein größtes Vorbild – ebenso und mindestens so wichtig für ihn, wie Papst Johannes Paul II. Um zirka 13.30 Uhr war die Veranstaltung beendet.
Es waren Medienvertreter aus dem In- und Ausland nach Oggersheim gekommen. Aus Sicht der Anwesenden war es enttäuschend, dass keine formelle Pressekonferenz abgehalten wurde und auch Anfragen nach einer Akkreditierung unbeantwortet blieben.
Folge uns!