Von Christian Ratz – Mannheim. Im Atlantis-Kino unter Leitung von Erdmann Lange (Atlantis und Odeon Filmkunsttheater) hatte der etwa 13-minütigen Kurzfilm gegen Fremdenfeindlichkeit „Keine Kanacken an Bord?“ von Florian Erker bundesweite Premiere. Die Matinee am frühen Samstagnachmittag, 7. Mai, bot den knapp 100 BesucherInnen neben der Filmpremiere auch Poetry Slam, eine Podiumsdiskussion und themenbezogene Musik von Sprengler and Friends (hier ein Liedbeispiel).
Regisseur Florian Erker stand irgendwann im Spätsommer 2015 in der Kassenschlange eines Discounters in Mannheim. Er wurde Zeuge, wie eine türkischstämmige Frau mit Kopftuch nach dem Bezahlen ihres Einkaufs nochmals an die Kasse zurückkehrte, um mit dem ebenfalls türkischstämmigen Kassierer wegen einer Packung Kekse zu sprechen.
„Kopftuchgeschwader“ – eine Filmidee ist geboren
Dies schien wartenden Menschen in der Schlange zu viel zu sein. Fremdenfeindliche und rassistische Sprüche, wie „da kommt das Kopftuchgeschwader“ oder „früher hätte es dies nicht gegeben“ fielen. Sie empörten Erker, selbst Wahl-Mannheimer, zutiefst. Der Grund für den Eklat: Die Kundin hatte den Kassierer darauf hingewiesen, dass er vergessen hatte, die Packung Kekse abzukassieren. Unbezahlt wollte sie die Ware nicht mitnehmen.
Die Filmidee war geboren und sollte zunächst zu einem Beitrag über „Gutmenschen“ werden. Am 29. November 2015 berichtete die Rhein-Neckar-Zeitung erstmals über das Projekt: „Mit einem Kurzfilm will Florian Erker den ‚aktuellen Wahnsinn‘ darstellen, der, wie er sagt, zurzeit in Deutschland herrscht. Er bekommt ihn selbst mit voller Breitseite ab: Gewaltandrohungen, Beleidigungen, sogar Morddrohungen sind auf ihn eingeprasselt.“ „Ich bin wirklich schockiert“, habe er gesagt, als er zum Beweis sein Handy zückte. Er erhielt üble Facebook-Hasskommentare. Nicht nur er, vor allem seine Frau mache sich deswegen Sorgen. Doch der Filmemacher wolle sich nicht unterkriegen lassen.
Crowdfunding hilft bei der Finanzierung
Erker entwickelt das Drehbuch über die nächsten Monate hinweg. Verschiedene Änderungen gegenüber der ursprünglichen Idee fließen ein. Die Finanzierung wird über Crowdfunding realisiert; über 3000 Euro kommen auf diesem Wege zusammen. Ein Hauptsponsor wird in diesem Prozess noch eine besondere Rolle spielen.
Schauspieler werden gesucht und gefunden. An nur einem Tag, am 20. Dezember 2015, wird der Film auf Busfahrten zwischen Mannheim und Karlsruhe gedreht. Am Vortag wurden bereits bestimmte Sequenzen auf dem Areal einer historischen Mühle in Baden-Württemberg aufgenommen.
In jedem steckt eine Portion Rassismus
Hauptdarsteller Christian Birko-Flemming gelingt es auf geniale Art und Weise, die Ängste und teilweise paranoiden Vorstellungen in puncto Fremdenhass exakt umzusetzen (siehe die Teaser hier und hier). Unterstützt wird er dabei von nicht minder begabten und talentierten Kollegen. Die jüngsten in der Crew sind Erkers Söhne, wie der Regisseur den Beobachter News bei der After-Show-Party erzählt: „ ‚Alte Hasen‘ im Geschäft.“
Ist es ein Traum, was passiert mit einem Menschen, welche Erfahrungen hat dieser in seinem bisherigen Leben gesammelt, was hat die Person dazu gemacht, was sie heute ist und entsprechend manisch-düster-verwirrt agiert?
Jeder muss bei sich selbst anfangen
Antworten auf diese Fragen liefert der Film. Ein kommerzielles Interesse verfolgt er keines, sagt Erker. Im Interview mit Echo24.de wird er so zitiert: „Ich bin im Kontakt mit Arte und dem ZDF.“ Und auch auf Kurzfilm-Festivals soll ‚Keine Kanaken an Bord?!‘ zu sehen sein. Eine Veröffentlichung auf Youtube ist geplant.“ Erker erklärt: „Jeder muss bei sich selbst anfangen, damit die Welt ein besserer Ort wird. Und die jüngsten Wahlerfolge der rechten Parteien zeigen: die Aussage des Films ist aktueller denn je.“
Poetry trifft auf Podiumsdiskussion
Poetry-Slammer Christian Rehm fragt bei der Filmpremiere spitzzüngig „Seid Ihr manchmal neidisch?“ und zitiert Erich Kästner „Kennst Du das Land in dem die Kanonen blühen?“. In seinem Beitrag übersetzt er das Zitat, indem er sagt „Kennst Du das Land indem die Dämonen glühen?“. Sein kritisch nachdenklich, bissiger Beitrag kommt bei den Besuchern sehr gut an.
„Nichts gelernt“ lautet der Titel des nächsten Poetry Slam-Beitrags von Klaus Balbach, dem Hauptsponsoren der Filmproduktion. Bereits 1992 entstand sein Beitrag in Schrift und Wort – nach den Übergriffen auf Ausländer in den neuen Bundesländern. An diesem Samstag neu aufgelegt und um die Geschehnisse 2015 in Deutschland angereichert in aktualisierter Form, eingesprochen und vorgetragen. Ein Text, der es emotional in sich hat, der berührt.
Mit Fakten gegen Kriminalitätsangst
Der Moderator der Podiumsdiskussion Markus Sprengler begrüßte als Gäste Gerhard Fontagnier (unter anderem Mitglied des Stadtrats von Mannheim und Vorsitzender von Mannheim sagt Ja!), Nils Cooper (unter anderem Opernsänger und TV-Produzent (Harald-Schmidt-Show), Harry Blome (Polizeioberrat aus Hannover und Rechtsextremismus-Experte) und den Regisseur.
Markus Sprengler befragte die Teilnehmer. Gerhard Fontagnier berichtete von seiner langjährigen Erfahrung in Mannheim zum Thema Integration, Migration und gesellschaftlicher, kultureller Teilhabe für alle bedürftigen Mitmenschen. Darüber, dass die Kriminalität unter Asylsuchenden und Menschen mit Migrationshintergrund keineswegs höher als im Durchschnitt seines Bundeslandes liegt, informiert Harry Blome.
Er sagte: „Die Rechten nutzen Ängste und Vorurteile dazu, um ihre Meinung zu verbreiten. Die Fakten sprechen aber eine ganz andere Sprache: Durch die Zuwanderungen ist die Kriminalität nicht angestiegen.“ Sein Kollege, Kriminaldirektor Ulf Küch aus Braunschweig, hat eine empirische Studie erstellt. Sie ist unter dem Titel „Soko Asyl“ als Buch erhältlich und war auch schon Gegenstand einer NDR-Berichterstattung am 30. Januar 2016.
„Kunst gegen Rechts“ soll weitergehen
Nils Cooper berichtete über seine aktuellen Erfahrungen als Sprachlehrer an einer Waldorfschule in Mannheim und im Umgang mit Flüchtenden – im Kontext Mensch sein, Mensch werden, wo stehe ich, wo steht der andere flüchtende Sprachschüler? Was lerne ich daraus und wie gehe ich damit um, auch mit vermeintlichen Niederlagen?
Florian Erker bekräftigte seine Meinung zum Thema „gegen Fremdenhass“. Er kündigte an, dass das Konzept „Kunst gegen Rechts“ in Mannheim weitergeführt werden soll. Erdmann Lange und Altantis-Kino spenden den Erlös dieser Matinee an den gemeinnützigen Verein „Mannheim sagt Ja!“ für dessen Arbeit für Vielfalt und Integration, Hilfe – statt Hass.
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Weitere Bilder von der Filmpremiere
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