Von unseren ReporterInnen – Mainz. Gut vierzig Männer und Frauen aus Frankfurt, Mainz und Umgebung versammelten sich am Samstag, 21. Mai, vor dem Hauptbahnhof der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt, um für die Pressefreiheit zu demonstrieren und gegen die Bedrohung von Journalisten durch rechte Schläger zu protestieren. Vorausgegangen war der Angriff eines mutmaßlichen Neonazis und Hooligans auf einen Fotografen der Beobachter News eine Woche zuvor.
Wie berichtet, war unser Kollege Tape Lago bei einer antifaschistischen Demonstration gegen die AfD in Mainz von einem mutmaßlichen Neonazi und Hooligan von Hertha BSC Berlin zu Boden gebracht worden. Er hatte eine Attacke der Rechten auf die Demonstration dokumentieren wollen. Ein Polizist, der unmittelbar neben dem Angreifer stand, griff nicht ein. Stattdessen schob die Polizei unserem Kollegen eine Mitverantwortung in die Schuhe: Er habe trotz Aufforderung der Rechten weiterfotografiert. Genau das ist auch die Aufgabe eines Journalisten. Zuletzt erhielt Tape Lago auch noch einen halbstündigen Platzverweis (siehe „Empörung über Neonazi-Angriff auf Pressefotografen„).
Zu der Kundgebung für die Pressefreiheit hatte die Gruppe Autonomal eingeladen. Sie hatte auch zusammen mit der Antifa Rheinpfalz zu der Demonstration aufgerufen, bei der es zu dem Übergriff auf unseren Kollegen kam. Unter anderem beteiligte sich eine Delegation aus Frankfurt. Annette Ludwig von „NoFragida“ gestaltete ihre Rede über Repression und rassistische Tendenzen in der Gesellschaft als Dialog.
Alfred Denzinger, Chefredakteur und Herausgeber de Beobachter News, ging auf die Einzelheiten des Angriffs auf unseren Kollegen ein (siehe seine Rede unten im Wortlaut). Aus seiner Sicht handelte es sich nicht um einen Einzelfall. Pressevertreter sind immer wieder Übergriffen oder staatlicher Repression ausgesetzt.
Erst vor kurzem wurde ein Berliner Fotograf Opfer einer Hausdurchsuchung. Die Polizei suchte bei ihm Aufnahmen der Blockupy-Proteste 2015 in Frankfurt, um gegen AktivistInnen vorgehen zu können. Während der Proteste gegen den AfD-Bundesparteitag am Stuttgarter Flughafen wurden fünf Journalisten – unter ihnen ein Fotograf der Beobachter News – ganztägig von der Polizei festgehalten. Auch sonst sind polizeiliche Schikanen und Pressebehinderungen an der Tagesordnung.
Die Kundgebung für die Pressefreiheit in Mainz wurde von zwei Polizisten beobachtet, die Videokameras hatten und die Aufschrift „Videoaufzeichnung“ auf dem Rücken trugen. Ein Polizist forderte, nicht fotografiert zu werden. Selbst für seine Uniform wollte er ein Persönlichkeitsrecht am eigenen Bild geltend machen, als handle es sich um den Geßlerhut im „Wilhelm Tell“. Allerdings müssen es TeilnehmerInnen öffentlicher Versammlungen, auch Polizisten, hinnehmen, fotografiert zu werden. Ob eine Veröffentlichung der Aufnahme sachlich geboten ist und eine Rechtsgrundlage für sie besteht, prüft im Anschluss die Redaktion.
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Die Rede des Herausgebers der Beobachter News Alfred Denzinger im Wortlaut:
Liebe Kundgebungsteilnehmerinnen,
liebe Kundgebungsteilnehmer,
ich freue mich, dass ich die Möglichkeit bekomme hier zu Euch zu sprechen.
Mein Name ist Alfred Denzinger. Ich bin der verantwortliche Redakteur des Magazins Beobachter News.
Wir haben uns heute hier versammelt, weil uns die Angst um gewisse Entwicklungen in diesem Land verbindet. Die Angst, dass die Pressefreiheit in unserem Land immer mehr ausgehöhlt wird.
Wie kommen wir zu einer derartigen Annahme?
Heute vor einer Woche stand nur wenige Meter von hier mein Kollege Tape Lago und ging pflichtbewusst seiner Arbeit nach. Er fotografierte bei der Auftaktkundgebung einer antirassistischen Demonstration das Geschehen. Eigentlich eine absolute Selbstverständlichkeit für einen Fotojournalisten. Was soll er denn auch sonst machen. Er machte also einfach nur seinen Job. Soweit so gut.
Eine Gruppe von Neonazis und Hooligans beabsichtigten offenbar, die antirassistische Demonstration zu stören und zu stoppen. Es kam zu verbalen Entgleisungen zwischen den verschiedenen Lagern.
Während dieser Auseinandersetzungen dokumentierte mein Kollege das Geschehen. Während er seine Tätigkeit ausübte, griff ihn ein mutmaßlicher Neonazi und Hooligan mit voller Wucht an. Tape fiel daraufhin mitsamt seiner Fotoausrüstung auf den Boden und verletzte sich. Soweit so schlecht.
Dieses Ereignis ist an sich schon völlig inakzeptabel. Es ist nicht hinnehmbar, dass Journalisten bei der Ausübung ihrer Tätigkeit angegriffen werden.
Aber der Höhepunkt dieses pressefeindlichen Angriffs ist nicht der Angriff selbst, sondern die Tatsache, dass dies alles unter den Augen der Polizei geschah, die es nicht für notwendig hielt, einen Pressevertreter bei der Ausübung seiner Arbeit zu schützen. Das ist doch wohl eine der vornehmsten Aufgaben der Polizei in einem demokratischen Rechtsstaat.
Bevor der Angreifer auf unseren Fotografen zustürmte, stand ein Polizist neben ihm. Der Beamte hätte den Angreifer an seiner Attacke gegen meinen Kollegen hindern können. Es hätte gereicht, den Mann einfach festzuhalten. Offensichtlich hatten die Beamten kein Interesse, die Pressefreiheit zu schützen.
Aber es kam noch schlimmer am Samstag letzter Woche. Anstatt sich schützend vor den Journalisten zu stellen und den Angreifer dingfest zu machen, beschuldigten die Beamten meinen Kollegen. Er habe den Angriff durch das Fotografieren ausgelöst. Er sei von dem Angreifer mehrmals aufgefordert worden, ihn nicht aufzunehmen. Dies war jedoch nach Angaben des zweiten anwesenden Fotografen der Beobachter News nicht der Fall.
Unabhängig davon, ob diese Darstellung der Wahrheit entspricht gilt: Ein Journalist hat im Rahmen seiner Berichterstattung das Recht und die Pflicht, das Geschehen zu dokumentieren.
Zuletzt erhielt der zu Boden gebrachte Fotograf noch einen halbstündigen mündlichen Platzverweis von der Polizei für das Bahnhofsviertel.
Hier wurde ein Opfer zum Täter gemacht.
Arbeiten hier Neonazis und Polizei Hand in Hand?
Seit den Ereignissen um den NSU nicht undenkbar.
Das werden wir nicht hinnehmen!
Gegen den Angreifer wurde Strafanzeige erstattet.
Rechtliche Schritte gegen die beteiligten Polizeibeamten werden geprüft.
Wir lassen uns als Journalisten nicht zu Freiwild erklären!
Ist dieses Ereignis vom letzten Samstag ein Einzelfall? Eine einmalige Verfehlung von überforderten Beamten? Ist unsere Empörung unangebracht und übertrieben? Schön wär´s.
Die Entwicklungen der letzten Monate und Jahre sprechen eine andere Sprache.
Hausdurchsuchungen bei Journalisten und die Beschlagnahme von Arbeitsgeräten und Datenträgern. Zuletzt vor zwei Tagen bei einem Kollegen in Berlin. Ihm wird nicht etwa eine Straftat vorgeworfen. Weit gefehlt! Es soll sich um eine Durchsuchung bei einem Zeugen handeln. Die Ermittlungsbehörden suchen Bild- und Tonmaterial über die Blockupy-Proteste 2015 in Frankfurt, um mögliche Straftäter zu belangen. Hausdurchsuchung bei einem Zeugen? Kennen die verantwortlichen Stellen unser Presserecht nicht? Haben sie noch nie etwas von unserem Zeugnisverweigerungsrecht als Journalisten gehört? Oder ist ihnen die rechtliche Situation schlicht und ergreifend einfach egal?
Bei den Protesten gegen den Bundesparteitag der AfD in Stuttgart vor drei Wochen wurden fünf Journalisten festgenommen. Auch ein Fotograf der Beobachter News war unter ihnen. Sie wurden wie Schwerverbrecher behandelt. Sie wurden mit Kabelbinder gefesselt, teilweise bis auf die Unterhose entkleidet und bis zu elf Stunden in einer Zelle eingesperrt. Erkennungsdienstliche Behandlung eingeschlossen. Sieht so Pressefreiheit aus? Waren da welche bei Erdogan in der Lehre?
Auf Pegida-Demonstrationen kommt es regelmäßig zu Übergriffen auf JournalistInnen. Pöbeleien, Sachbeschädigungen, Faustschlägen und Angriffen – auch mit Pfefferspray sind an der Tagesordnung. Es gibt bereits Kolleginnen und Kollegen, die nur noch unter Personenschutz zu derartigen Demonstrationen gehen. So beispielsweise beim MDR in Sachsen. Ist das so von der Polizei und diesem Staat gewollt? Ich fordere die Polizei auf, ihren gesetzlichen Auftrag zu erfüllen: Schützen sie Journalistinnen und Journalisten bei ihrer Arbeit!
Rechte Gruppierungen erstellen Steckbriefe mit Porträt-Fotos von kritischen Journalisten und verbreiten diese im Internet. Auch von meiner Person gibt es entsprechende Dinge im Netz. Darunter Kommentare wie beispielsweise: „Weiß man wo das Schwein wohnt? – Ja, siehe Adresse unter dem Bild!“ Warum wird gegen diese Aufrufe nicht von staatlicher Stelle vorgegangen? Will uns dieser Staat nicht schützen? Müssen wir uns letztendlich wirklich selber schützen? Dies wäre eines Rechtsstaats unwürdig.
Polizisten behindern uns regelmäßig bei unserer Arbeit auf Demonstrationen. Im harmlosesten Fall geschieht das durch „sich vor die Kamera stellen“ in Situationen, die die Polizei nicht dokumentiert haben will. Hierzu gehören Gewaltübergriffe von Polizisten auf DemonstrationsteilnehmerInnen und Festnahmesituationen.
Aber es kommt regelmäßig auch zu körperlichen Übergriffen von Polizisten auf MitarbeiterInnen der Beobachter News. Die harmloseste Variante hierbei ist das Stoßen. Weiter geht es über Pfeffersprayeinsatz gegen unsere Fotojournalisten, bis hin zu massiver Gewaltanwendung.
So geschehen zum Beispiel bei einer Demonstration 2014 in Stuttgart. Da griffen mehrere Polizisten einen Kollegen an, brachten ihn zu Boden und verletzten ihn dabei so schwer, dass er über ein halbes Jahr arbeitsunfähig war.
Auch ich selbst wurde schon von Polizeibeamten massiv körperlich angegriffen. So beispielsweise im letzten Jahr bei einer Demonstration gegen eine NPD-Kundgebung in Weilheim/Teck. Auch dort versuchte die Polizei, die Täter-und Opferrolle zu vertauschen. Gegen mich laufen seither Ermittlungen wegen angeblicher Beleidigung und wegen einem angeblichen Verstoßes gegen das Recht am eigenen Bild. Ich sehe diesen Repressionen allerdings mit großer Gelassenheit entgegen.
In Pforzheim wurde ein Fotoreporter der Beobachter News von einem Beamten am Hals gepackt, nachdem er den Übergriff auf eine Sanitäterin dokumentiert hatte. Der Beamte drückte zu und sagte, dass es Pressefreiheit hier nicht gäbe.
In Stuttgart wurde ich vor wenigen Monaten von Neonazis unter den Augen der Polizei bedroht und beleidigt. Die Polizei griff nicht ein. Sie verweigerte zunächst auch noch die Anzeigenaufnahme. Zwischenzeitlich wurden die Ermittlungen wegen Beleidigung von der Staatsanwaltschaft eingestellt. Begründung: Kein öffentliches Interesse.
- Pfefferspray-Angriff auf Fotojournalisten der BN
- Polizist zu unserem Fotografen: „Pressefreiheit gibt es hier nicht!“
Die Liste ließe sich fortsetzen.
Weder Angriffe von Neonazis, noch der polizeiliche Schutz dieser Attacken, noch polizeiliche Repressionen werden daran etwas ändern: Die Berichterstatter der Beobachter News werden auch weiterhin ihr besonderes Augenmerk auf Neonazis und auf das Vorgehen der Einsatzkräfte bei Versammlungen und Demonstrationen richten.
Wir werden auch weiterhin im Sinne der Pressefreiheit auf Demonstrationen und politischen Veranstaltungen sein!
In diesem Sinne:
Man sieht sich… auf der Straße! 😉
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