Von unseren ReporterInnen – Dortmund. 5000 bis 6000 NazigegnerInnen stellten sich am Samstag, 4. Juni, gut 900 Neonazis entgegen, die sich in Dortmund zu einem so genannten „Tag der deutschen Zukunft“ trafen. Die Polizei hielt die beiden Lager mit starken Einsatzkräften getrennt und ermöglichte so den Aufmarsch der Rechten. 5000 Beamte aus mehreren Bundesländern waren im Einsatz. Sie hatten Wasserwerfer, Räumfahrzeuge und Hunde dabei. Auf beiden Seiten gab es Verletzte, die meisten durch den Einsatz von Schlagstock und Pfefferspray.
Immer wieder kesselte die Polizei GegendemonstrantInnen ein und ließ sie in der Sonne ausharren, um den rechten Aufmarsch durchzusetzen – so auch am frühen Abend die TeilnehmerInnen der Abschlussdemonstration des Bündnisses Blockado. Es ist fraglich, ob tatsächlich alle Proteste in Hör- und Sichtweite der Neonazis stattfinden konnten, wie es GegendemostrantInnen zusteht.
Nach Polizeiangaben gab es 22 Festnahmen. Mehrere Polizeibeamte seien „durch Widerstandhandlungen im Einsatzverlauf“ verletzt worden. Einsatzfahrzeuge der Polizei seien direkt an einer Polizeiwache durch Stein- und Brandsatzwürfe erheblich beschädigt worden. Auch GegendemonstrantInnen wurden verletzt.
Gleisbesetzung gegen Neonazis
Den ganzen Samstag über zogen Gruppen von AntifaschistInnen und anderen GegnerInnen der Rechten durch die Stadt. Immer wieder gab es Blockadeversuche. Eine geraume Zeit hielten Protestierende Gleis 2 im Dorstfelder S-Bahnhof besetzt, wo der Naziaufmarsch zum „Tag der deutschen Zukunft“ am frühen Nachmittag begann. Die Stadt Dortmund hatte via Twitter wissen lassen, was Oberbürgermeister Ullrich Sierau (SPD) vom Aufmarsch der Rechten hielt: Die Abkürzung „TddZ“ stehe für „Tag dumm dämlicher Zombies“.
Großen optischen Effekt erzielten die Protestierenden mit aufblasbaren Würfeln aus Silberfolie – eine Kunstaktion. Die Gruppe „Tools for action“ hatte 108 solcher Spiegelwürfel zusammen mit dem Schauspiel Dortmund an verschiedenen Versammlungsorten in der ganzen Stadt verteilt. Sie sollten als aufblasbare Barrikaden und Zeichen gegen Fremdenhass dienen, erklärte uns ein Sprecher – „als Zeichen, dass Dortmund eine Stadt der Kunst ist und nicht der Nazis“.
.
Polizisten schlitzen Aufblas-Spielzeug mit Messern auf
Die Polizei trennte in ihren Pressemitteilungen von Samstag streng zwischen angeblich zum Teil gewaltbereiten Linksautonomen und bürgerlich-demokratischen GegendemonstrantInnen. Von jeder Gruppe sollen an die 3000 vor Ort gewesen sein. Der Spiegelwürfel-Aktion konnten die Beamten aus Nordrhein-Westfalen, Bayern, Berlin, Rheinland-Pfalz, Hessen, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein offenbar nur wenig abgewinnen.
Als eingekesselte NazigegnerInnen an der Ecke Westfaliastraße / Sunderweg vor dem Künstlerhaus Dortmund versuchten, eine Polizeikette zu durchbrechen, kickten die Beamten die Würfel nicht nur weg, sondern schlitzten sie mitten im Gedränge mit Schlagstöcken und Messern auf. Übrig blieben von zwanzig Stück nur zwei – wenn auch leicht lädiert. Dieses Vorgehen löste Sprechchöre aus wie „Deutsche Polizisten schützen die Faschisten“ oder „Ohne Helm und ohne Knüppel seid Ihr nichts“. „Linksautonome Gewalttäter“ hätten die Spiegelwürfel „als Schutzbewaffnung missbräuchlich gegen Polizeibeamte eingesetzt“, teilte die Polizei später ihre Interpretation des Vorgangs mit: „Hierbei kam es zu Schäden an den Würfeln.“
Polizei gibt erst morgens Demoroute der Neonazis bekannt
Die Polizei hatte in den Vortagen viel Kritik dafür einstecken müssen, dass sie den Aufmarschort der Rechten geheim hielt (siehe auch „Keine Zukunft für Neonazis„). Sie gab die Route der Nazi-Demo erst am Samstagmorgen kurz nach 8 Uhr bekannt: „Der Aufmarsch von Rechtsextremisten musste für 13 Uhr, mit Startpunkt im Bereich des S-Bhf Dorstfeld, bestätigt werden. Über die Rheinische Straße führt die Demonstration über die Osning- und Arminiusstraße. An der Einmündung Rahmer Straße/Roßbachstraße soll eine Zwischenkundgebung stattfinden. Gegen 20 Uhr will der Veranstalter seine Versammlung am Bahnhof Huckarde-Nord beenden.“
Von Seiten der NazigegnerInnen gab es mehrere Veranstaltungen. Eine antifaschistische „Karthographische Aktion“ listete sie in einem Übersichtsplan auf. Das Bündnis Blockado traf sich um 11 Uhr am U-Bahnhof Hafen, die MLPD lud zu einer Kundgebung an den U-Bahnhof Huckarde Abzweig. Mitten im Stadtteil gab es ein „Multikulturelles Frühstück Huckarde gegen Rechts“. In Dorstfeld gab es am Westentor eine Demo „bunt statt braun“, außerdem ein ganztägiges Fest „nie wieder blöd“.
Demosanitäter behandeln Verletzte
Schon kurz nach dem Versammlungsbeginn von Blockado griff die Polizei ein – nach eigenen Angaben wegen eines Blockadeversuchs im Bereich der Mallinckrodtstraße / Hafenamt. Mehrere Hundert Personen seien vom Hafen aus in Richtung Dorstfeld und somit in Richtung des Versammlungsortes der Rechtsextremisten gerannt. An der Ecke Westfaliastraße /Sunderweg kesselte die Polizei an die 1000 Menschen ein. Immer wieder verlangte sie, einen Versammlungsleiter genannt zu bekommen. Es gab von allen Seiten Absperrungen und zum Teil auch Mini-Kessel mit nur wenigen Festgesetzten.
An dieser Stelle kam es zu dem Zwischenfall mit den Würfeln. Die Demosanitäter behandelten mindestens zehn Verletzte mit Prellungen und Atemwegsreizungen durch Pfefferspray – in einem Fall auch mit einem Arm- und Nasenbruch. Laut Polizei wurde auch ein Beamter durch einen Flaschenwurf verletzt. Insgesamt seien drei Polizisten verletzt worden.
Polizei hält GegendemonstrantInnen erneut fest
Kurz vor 13 Uhr ließ die Polizei, die zuvor die ganze Zeit Einzelne ohne ersichtlichen Grund gefilmt hatte, die Versammelten durch die Treibstraße abziehen – allerdings nur in enger Polizeibegleitung. Ausbruchsversuche in Richtung der Seitenstraßen unterbanden die Beamten rigoros. Sie führten die DemonstrantInnen bis kurz hinter das Westentor, ließen sie aber an der Abzweigung der Unionstraße nicht weiterziehen.
Als Begründung führte die Polizei in einer betont freundlichen Lautsprecherdurchsage eine „für uns nicht vorhersehbar Gefährdungslage in der Rheinischen Straße“ an. Trotz der prallen Sonne ließen sich die Versammelten nicht dazu bewegen, nach rechts in die Unionstraße abzubiegen. Stattdessen ließen sie sich auf dem Asphalt nieder. Das Warten verkürzte ihnen Musik wie die Internationale oder „Bella ciao“.
Polizei lobt bürgerlichen Protest als vorbildlich
Die größte Protestversammlung dürfte die des Arbeitskreises Dortmund gegen Rechtsextremismus gewesen sein, die vom Dortmunder U-Turm über die Rheinische Straße losmarschierte. „Der bürgerlich demokratische Gegenprotest läuft hier bislang vorbildhaft friedlich“, lobte die Polizei in einer Mitteilung an die Presse. Und weiter:
„Demokratischer Gegenprotest in Sicht- und Hörweite wie wir ihn in Dortmund sehen wollen: Friedlich und kreativ hat die Versammlung des Arbeitskreises Dortmund gegen Rechtsextremismus (Bündnis aus 18 verschiedene Organisationen, u.a. DGB, Verdi, Christen gegen Rechts) in Absprache mit der Dortmunder Polizei den Rechtsextremisten im der Bereich Rheinische Straße / Nähe Wittener Straße ihre Meinung kundgetan.“
Nazi-Gegnerinnen gedachten der Opfer des NSU
Kurz nach 18 Uhr startete am Nordmarkt die Abschlussdemonstration von Blockado. Es wurde Pyrotechnik wie Bengalos gezündet. Die Polizei filmte. Nach einer Viertelstunde kesselte die Polizei die Demo in der Mallinckrodtstraße ein. Es seien Straftaten begangen, etwa Böller gezündet worden, nannte sie als Begründung. Überdies habe es im schwarzen Block Vermummungen gegeben. Die Polizei hielt den Kessel fast zwei Stunden aufrecht – wohl vor allem, um den ungestörten Abzug der Neonazis nach einer Zwischenkundgebung auf den Marktplatz von Huckarde über den S-Bahnhof Huckarde abzuwarten. Mehrere RednerInnen geißelten dieses Vorgehen der Polizei.
Von der Schützenstraße kam eine weitere Gruppe von GegendemonstrantInnen dazu. Sie blieb entgegen dem Wunsch der Polizei, sich mit den Eingekesselten zu vereinen, etwa eine halbe Stunde auf der Kreuzung stehen, bis die Ordnungskräfte abzogen. Nach einer Schweigeminute für Mehmet Kubasik, der vom NSU ermordet wurde, zog die Demonstration weiter zum Hauptbahnhof.
Die Rechte verlas verbotene Parolen
Zu dem Neonazi-Aufmarsch hatte die Partei Die Rechte aufgerufen, Michael Brück hatte ihn angemeldet. Er verlas die Auflagen. Detailliert gab er bekannt, welche Parolen untersagt waren – und brachte sie genau dadurch unter die Leute. Auch die Reden wirkten eher radikal.
Die Demonstration begann gegen Viertel vor drei. Die Polizei stoppte sie einmal wegen Vermummung. Die TeilnehmerInnen konnten jedoch schon bald wieder weiterlaufen. Am Rand der Route standen immer wieder kleinere Gruppen von Gegendemonstranten, deren Parolen auch verhalten zu vernehmen waren. Bei der Zwischenkundgebung standen sich Neonazis und GegendemonstrantInnen im Bereich des Marktplatzes nahezu gegenüber. Sonst drang wenig vom Protest des Tages ans Ohr der Rechten.
Hinter einem der Absperrgitter am Marktplatz in Huckrade stand die Gruppe Tools for action mit ihren Spiegelwürfeln. Die Würfel wurden immer weiter nach vorne und schließlich auf die Polizei weitergereicht. Die Polizei versuchte, einzelne AktivistInnen herauszugreifen. Daraufhin wurde sie mit Gegenständen wie leeren Flaschen beworfen.
Weitere Bilder des Tages
Folge uns!