Stuttgart. Die Cannstatter Holzbrücke an der Wilhelma muss für das Bahnprojekt Stuttgart 21 weichen. Die Abrissarbeiten begannen in der Nacht vom 3. auf den 4. Juni. Sie wandten sich dagegen, die beliebte Fußgängerbrücke dem umstrittenen Großprojekt zu opfern. Zehn AktivistInnen blockierten am Abend den Fußgängersteg, bis die Polizei die Brücke gegen 9 Uhr räumte. AktivistInnen zufolge gab es etwa 40 weitere UnterstützerInnen rund um die Blockade. Die Abrissarbeiten fanden in der Nacht statt.
Die Bundesstraße B10 wurde im Bereich der Wilhelma für das Wochenende erneut komplett gesperrt. Weder Autos noch die Stadtbahnen der U14 konnten entlang des Neckars rollen. Dafür arbeiteten sich seit Freitag Abend die Bagger und die Autokräne voran. Unter anderem wurde damit begonnen, die Cannstatter Holzbrücke abzureisen. Aus diesem Anlass besetzten ungefähr zehn Aktivistinnen die Brücke. Noch während sie sich auf der Brücke befanden, wurde hinter ihnen ihr Aufstiegsweg weggebaggert. Als die Dunkelheit wenig später eingesetzt hatte, saßen die meisten von Ihnen auf den Holzplanen.
Von der anderen – noch intakten – Brückenseite her rückte gegen 9 Uhr die Stuttgarter Polizei an und begann mit der Räumung. Nach einer halben Stunde waren alle Personen zur Unterführung der Eisenbahnbrücke auf der anderen Neckarseite gebracht worden, wo ihre Personalien aufgenommen wurden. Ob die AktivistInnen nach der Personalienfeststellung gehen durften oder mit auf ein Revier kommen mussten, war vor Ort nicht eindeutig zu klären. Der verantwortliche Einsatzleiter sagte lediglich, die AktivistInnen würden „wie normale Bürger behandelt“.
Kommentar: Die Brücke am River Kwai – Steter Tropfen höhlt den Stein
Von Michael Janker – Stuttgart. In den vergangenen Jahren wurden in der gesamten kapitalistischen EU immer mehr unnütze Bauprojekte gestartet, die außer der Bereicherung korrupter Politiker und Wirtschaftslobbyisten sowie der Zerstörung der Natur und wertvoller Kulturgüter für niemanden einen Nutzen brachten. Stuttgart 21 ist eines dieser nutzlosen Projekte, und jedeR, der in Stuttgart und Umgebung seinen Lebensmittelpunkt hat, weiß, was seit Baubeginn alles zerstört wurde. Hier sei nur kurz an den Schlossgarten und den Rosensteinpark erinnert.
In den Abendstunden des 3. Juni begann der Abriss der bei vielen Menschen sehr beliebten Neckar-Fußgängerbrücke zwischen Rosensteinpark und dem Cannstatter Wasen. Um ein Zeichen des Protestes gegen diese weitere sinnlose Zerstörung zu setzen, wurde die noch völlig intakte Brücke auf der Rosensteinparkseite unmittelbar vor Beginn der Abrissarbeiten von einer Gruppe von AktivistInnen besetzt. Das schien die ausführende Baufirma nicht zu stören. Sie begann die Abrissarbeiten mit dem großflächigen Abbaggern der Erdmassen im Vorfeld der Brücke trotzdem.
Den AktivistInnen gelang es bis gegen 22 Uhr, die Brücke besetzt zu halten. Dann drangen die in großer Zahl eingesetzten Einsatzkräfte der Polizei auf die Brücke vor und begannen mit der Räumung. Mehrere der AktivistInnen wurden dabei äußerst unsanft über das vom Regen aufgeweichte Baustellengelände getragen und dann unter einem angrenzenden Brückenbogen streng bewacht einzeln durchsucht.
Überraschend große Zahl von PolizistInnen
Nach Angaben der BeamtInnen war zunächst sogar geplant, die AktivistInnen in eine Gefangenensammelstelle zwecks Personalienabgleich zu bringen. Darauf wurde aber nach längeren Diskussionen glücklicherweise verzichtet. Vermutlich wollten die Cops ihr Feierabendbier in Ruhe genießen. So entließen sie gegen 23 Uhr alle Beteiligten aus dem Brückenbogen-Gewahrsam – allerdings nicht, ohne Strafanzeigen wegen „Hausfriedensbruchs“ und üppige Platzverweise für das ganze Wasen-Gelände auszusprechen.
Platzverweise konnte man an diesem Abend aber auch dafür bekommen, dass man am anderen Ende der Brücke über einen der völlig frei zugänglichen Treppenabsätze zum Neckar hinabstieg, um dort am Uferbereich einen Abendspaziergang mit anschließender Baustellenbesichtigung zu unternehmen. Solcherlei Unterfangen führte dazu, dass eine überraschend große Anzahl von Cops das mit doppelter Gitterabsperrung gesicherte Ende der Brücke auf der Seite des Cannstatter Wasen komplett umstellte.
Zuletzt hagelte es erneut Platzverweise
Einer der bedauernswerten Beamten war sogar gezwungen, sich in den feuchten Straßenschmutz zu werfen, nur um Kopf und mitgeführte Kamera durch den schmalen Spalt zwischen dem unteren Ende der Absperrung und dem Erdboden zu zwängen. Vermutlich wollte er für sein persönliches Poesiealbum noch einige Bilder von der Brücke anfertigen, bevor sie für das weitere Fortbestehen des globalen Kapitalismus endgültig plattgemacht wurde.
Am Neckarufer selbst waren mehrere Greiftrupps der Polizei unterwegs. Sie zerrten jeden, der sich dort angeblich unbefugt aufhielt, unsanft die Böschung hinauf. Oben angekommen, erhielt er ebenfalls einen Platzverweis für das Innere der Baustelle und eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs.
Ein klares Zeichen an die Herrschenden
JedeR AktivistIn, die/der sich für die immer drängenderen und vielfältigeren Probleme dieser Gesellschaft auf der Straße einsetzt, macht immer wieder Bekanntschaft mit den Cops. Eigentlich sollte es nicht überraschen, aber manche Äußerungen dieser Herrschaftsverteidiger tun es dann doch immer wieder. Es fallen Worte wie „der Platz ist gesäubert“ oder „man soll doch die gleich die ganze Brücke mitsamt den Leuten drauf abreißen, dann wär endlich Ruh“. An ihnen erkennt man sehr gut, wes Geistes Kind solche Zeitgenossen sind.
Festhalten lässt sich, dass es natürlich nicht gelang, den Abriss der Brücke zu verhindern. Solche entschlossenen Aktionen senden aber auch immer wieder klare Zeichen an die Herrschenden, dass es ihnen nicht gelingt, ihre Interessen ohne Widerstand durchzusetzen. Da gilt der alte Sinnspruch: Steter Tropfen höhlt den Stein.
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