Kommentar von Anne Hilger – Dortmund. Mit ein paar Tagen Abstand und viel Zynismus kann man der Dortmunder Polizei doch glatt zu ihrem Einsatz beim „Tag der deutschen Zukunft“ gratulieren. Ihr Kalkül ging am 4. Juni voll auf. Mit an die 5000 Einsatzkräften, taktischen Winkelzügen oder direkter Polizeigewalt – etwa Schlagstock, Fäusten, Umrennen oder Pfefferspray – ermöglichte sie 900 Neonazis, unbehelligt durch zwei Dortmunder Stadtteile zu marschieren. Der Protest der Nazi-GegnerInnen lief weitgehend ins Leere. Damit untermauerte die Stadt ihren Ruf, ein besonders angenehmes Pflaster für die rechte Szene zu sein. Die politisch Verantwortlichen in Dortmund sollten sich fragen, ob sie das wirklich wollen.
Die Rechten blieben unbehelligt von der Polizei, denn sie ging weder gegen Volksverhetzung noch gegen rassistische Hassparolen oder ein Hitler-Transparent vor. Und sie konnten marschieren, ohne durch den Anblick von AntifaschistInnen belästigt zu werden. Sie mussten sich bei ihrem Aufmarsch noch nicht einmal von Pressevertretern filmen lassen. Als ein Kamerateam bedrängt wurde, hielt die Polizei nicht etwa die Störer dazu an, die Pressefreiheit zu respektieren. Nein, sie ermahnte die Journalisten.
Von Protest in Hör- und Sichtweite konnte so gut wie keine Rede sein. So waren etwa bei der Nazi-Demo die Spiegelwürfel der Gruppe „Tools for Action“ und des Schauspielhauses allenfalls von Weitem und überwiegend verdeckt durch Polizeifahrzeuge zu erkennen. Der Aufmarsch der Rechten verlief „quasi hermetisch abgeriegelt von einem dichten Spalier an Einsatzhundertschaften der Polizei“, berichtete der „Westen„.
Als besonders effektiv erwies sich aus polizeilicher Sicht einmal mehr die Spaltung der Protestierenden in angeblich gewaltbereite „Linksautonome“ und ein eher bürgerliches Lager. „Demokratischer Gegenprotest in Sicht- und Hörweite, wie wir ihn in Dortmund sehen wollen“, lobte die Polizei in einer peinlichen Pressemitteilung die Versammlung „bunt statt braun“ des Arbeitskreises „Dortmund gegen Rechtsextremismus“. Ihm gehören über 15 Organisationen etwa aus dem gewerkschaftlichen und kirchlichen Spektrum an.
Gegen „Linksautonome“ und AntifaschistInnen baute die Einsatzleitung dagegen von vornherein eine martialische Drohkulisse auf. Sie ließ Wasserwerfer und Räumfahrzeuge auffahren. Pferde- und Hundestaffeln waren vor Ort, teils hochaggressiv auftretende Beamte aus 15 Bundesländern. Die Demosanitäter mussten 165 Verletzte behandeln. Das alles diente zur Einschüchterung und als klares Signal an die Bevölkerung: Hier müssen extrem gefährliche Leute, gar Schwerkriminelle unterwegs sein.
In Wahrheit verlief der Protest weit überwiegend friedlich – und wo nicht, muss die Eskalation nach unseren Beobachtungen nicht zwingend den meist jungen und idealistischen AntifaschistInnen angelastet werden. Das legen auch Augenzeugenberichte in verschiedenen Medien nahe. Die Polizei schrieb am Montag in einem Resümee von 13 verletzten BeamtInnen „durch Widerstandshandlungen, Stein- und Flaschenwürfe oder Reizgas“, also etwa selbst versprühtem Pfefferspray, dazu noch erkrankten, denen meist die Hitze nicht bekam. Bei 5000 Einsatzkräften hielt sich die Gewalt gegen Uniformierte offensichtlich sehr in Grenzen.
Geheimhaltung und Desinformation im Vorfeld. Kapern des ÖPNV. Stopps von Demozügen ohne oder mit fadenscheiniger Begründung. Stundenlanges Einkesseln von Nazi-GegnerInnen. Das Behindern journalistischer Arbeit durch Platzverweise wie im Fall zweier Berichterstatter der „Ruhrbarone“ oder Schikanen wie der völlig anlasslosen Aufforderung, den Presseausweis zu zeigen (siehe Video oben).
Scheinbar freundliche Lautsprecherdurchsagen, um DemonstrantInnen von ihrer angestrebten Route abzubringen. Der Versuch, dabei auch die Presse zu instrumentalisieren – mit der Ansage, die Protestierenden könnten sich doch darauf verlassen, dass die anwesenden Journalisten über ihr Anliegen berichten. Das scheinbar großzügige Dulden von Vermummung bei gleichzeitigem nahezu ununterbrochen Filmen des Protests auch in absolut friedlichen Situationen, was gegen geltendes Recht verstößt. Das alles gehörte am Samstag zum taktischen Arsenal.
Allein: Die Rechtsradikalen dankten der Polizei die Vorzugsbehandlung nicht. Am späten Abend wurde aus einer Gruppe von Neonazis heraus im Bereich Thusneldastraße Pyrotechnik gezündet. Als Polizisten ihre Personalien aufnehmen wollten, gab es Übergriffe auf die Beamten. Dabei soll die Gruppe Unterstützung von ungefähr 60 weiteren Personen aus dem rechten Spektrum erhalten haben.
Siehe auch „Kunstaktion stört Polizei und Neonazis“ und „Keine Zukunft für Neonazis“
Weitere Eindrücke von den Ereignissen am 4. Juni in Dortmund:
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