Von Angela Berger – Fellbach. In jeder Hinsicht unerwünscht: So musste sich eine selbsternannte Gruppe „Fellbach-wehrt- sich“ fühlen, die für Freitag, 17. Juni, zu einer Kundgebung in Fellbach bei Stuttgart aufrief. Im Vorfeld kündigte sie auch einen „Spaziergang“ an. Daraus wurde aber absolut nichts. Letztlich kamen nur 11 Personen – unter ihnen der Anmelder der Versammlung Michael Stecher, überdies Ester Seitz. Trotz Mikrofon hatten sie bei über 500 GegendemonstrantInnen rund um die Lutherkirche keinerlei Chance, Stimmung gegen Geflüchtete zu machen. Ihre Reden wurden von Trommeln und Trillerpfeifen übertönt.
Ein breites Bündnis (siehe unten) hatte unter dem Motto „Fellbach ist und bleibt bunt – Gegen Rassismus, Sexismus und Homophobie“ zum Protest aufgerufen und eine Kundgebung auf dem Platz zwischen Lutherkirche, Rathaus und Alter Friedhof angemeldet. Auf dem Marktplatz vereinigten sich drei Gegendemonstrationen zu einer Spontanversammlung. Die kleine Gruppe von Reichsbürgern wurde von etwa 30 bis 40 Polizeibeamten abgesichert.
Menschenkette als Schutzwall für Geflüchtete
Zeitgleich zu der Gegenkundgebung an der Lutherkirche gab es an den Standorten der Flüchtlingsunterkünfte beim Max-Graser-Stadion und dem alten Freibad eine Menschenkette unter dem Motto „Gegenaktion für ein friedliches Zusammenleben in guter Nachbarschaft“. Der „Freundeskreis für Flüchtlinge“ wollte mit dem „menschlichen Schutzwall“ deutlich machen, dass er zu den Geflüchteten steht und standhaft bleiben will. An der Menschenkette beteiligten sich etwa 180 Menschen – unter ihnen auch Geflüchtete aus Syrien und dem Irak. Danach gab es ein „Fest der Solidarität“, bei dem die Fellbacher Unterstützung von umliegenden Asyl-Freundeskreisen bekamen.
Bei der Gegenveranstaltung sprach als erster Redner Tim Haller vom Bündnis Rems-Murr nazifrei!. Man könne die Facebookgruppe „Fellbach-wehrt-sich“ und ihre Hetze zwar belächeln. Doch da eine Kundgebung und ein anschließender „Spaziergang“ zum ehemaligen Freibad angekündigt wurde, sei es an der Zeit, aktiv zu werden. Fraglich sei jedoch, wie viele der Anhänger der Hetzgruppe das „wehrbedürftige Fellbach“ überhaupt kennen.
Aufwind im weltweiten Rechtsruck – aber nicht für „Fellbach-wehrt-sich“
Täglich würden auf der Facebookseite negative Stimmungsmache und diskriminierende Artikel veröffentlicht. Hauptsächlich werde gegen Geflüchtete und angeblich kriminelle Ausländer gehetzt. Der Anmelder Michael Stecher sei aus dem Spektrum der „Reichsbürgerbewegung“, eine Mischung aus Verschwörungstheorie und rechter Politsekte. Kern deren Ideologie sei das Festhalten an Deutschland mit den Grenzen von 1914.
Begleitet werde diese Ideologie von Rassismus, Antisemitismus und „irgendwelchen seltsamen Verschwörungstheorien“. In dem weltweiten Rechtsruck als Reaktion auf verschiedene Krisen bekämen solche Gruppierungen zunehmend Aufwind. Dagegen müsse man gemeinsam und solidarisch eine Gegenkultur stärken und den Rechtsruck so stoppen. „Wir sind heute nach Fellbach gekommen um zu zeigen, dass hier in Fellbach und im gesamten Rems-Murr-Kreis kein Boden für rechte Gewalt entstehen soll. Wir sind für ein solidarisches Miteinander ohne Diskriminierung“ so Tim Haller.
Janka Kluge verweist auf Vernetzung der Rechten
Zweite Rednerin war Janka Kluge, Landessprecherin der VVN-BdA. Auch sie forderte alle auf zu zeigen, dass weder in Fellbach, noch in Stuttgart und auch nicht im Rems-Murr-Kreis Platz für Rassisten und Rassistinnen sei. Sie erwähnte die Vernetzung der „Weiße Wölfe Terror Crew“ im Kreis und die Kontakte auch zum NSU.
Im März 2016 gab es bundesweite Razzien gegen die „Weiße Wölfe Terror Crew“. Alexander S. aus Fellbach war der württembergische „WWT-Sektionsleiter, der auch in der NPD aktiv war. Die Stuttgarter Nachrichten berichteten darüber. Auch in Fellbach gab es verschiedene neonazistische Gruppen, sagte Janka Kluge, und es gebe sie noch.
Auch die AfD im baden-württembergischen Landtag berufe sich immer wieder auf Nazipropaganda, die eindeutig widerlegt worden sei wie im Fall Wolfgang Gedeon. Die antisemitischen Positionen des Abgeordneten könnten dazu führen, dass sich die Landtagsfraktion spaltet. Janka Kluge rief auch dazu auf, am Montag um 9 Uhr im Landgericht in Stuttgart den 2. Prozesstag im Berufungsverfahren gegen zwei Antifaschisten zu unterstützen.
Ester Seitz kündigt Dienstaufsichtsbeschwerde an
Nach dieser Rede bewegte sich ein Großteil der TeilnehmerInnen der Gegenkundgebung auf die andere Seite der Lutherkirche, um auf dem Marktplatz näher und hörbarer den Protest gegen die rechte Versammlung kund zu tun. Ester Seitz, die sonst mit schriller Stimme auf rassistischen Pegida- und anderen rechtsradikalen Veranstaltungen vor allem in Karlsruhe auftritt, beschwerte sich bei der Polizei, weil sie trotz Mikrofon und Lautsprecheranlage nicht zu hören war.
Sie kündigte auch eine Dienstaufsichtsbeschwerde wegen angeblich mangelnden Schutzes durch die Polizei an. Jedes Mal, wenn einer der Redner des rassistischen Bündnisses das Mikro ergriff ertönten die Gegenproteste aus Trillerpfeiffen, Musik und lauten Rufen. So konnte man nur einzelne Wortfetzen hören. Auch wurden Tomaten, Eier und Pyrofackeln in Richtung der rassistischen Kundgebung geworfen.
Polizei legt sich für Pressefreiheit ins Zeug
Michael Stecher, der Anmelder der Kundgebung von „Fellbach-wehrt-sich“, ging einen Journalisten der Beobachter News mit lautem Geschrei an und verlangte, seinen Presseausweis zu sehen. Dann versuchte er, an die Kamera des Fotografen zu greifen. Die Einsatzleitung der Polizei ging jedoch sofort dazwischen und verteidigte vehement die Pressefreiheit – eine Erfahrung, die wir leider nicht immer machen (siehe unseren Bericht aus Mainz „Empörung über Neonazi-Angriff auf Pressefotografen„).
Auffällig war, dass sich keine bekannten Neonazis aus dem Rems-Murr-Kreis in Fellbach zeigten. Offensichtlich ist die rechte Szene im Rems-Murr-Kreis gespalten. Nachdem die Versammlung von „Fellbach-wehrt-sich“ offiziell beendet worden war, stand die Abreise der 11 Teilnehmerinnen an. Sie standen zwischen Lutherkirche und Rathaus. Vor und hinter ihnen gab es Gegenproteste.
Spontandemo zieht zum Bahnhof
Lange Zeit passierte nichts. Manche bekamen den Eindruck, die Polizei spiele auf Zeit und warte ab, bis die GegendemostrantInnen einfach gehen. Doch die Protestierenden blieben. Schließlich fuhr die Polizei mit mehreren Kleinbussen und Blaulicht über die Kirchhofstraße auf den Versammlungsort zu. Sie stoppte die Wagen aber, als sich DemonstrantInnen in den Weg stellten. Auf der anderen Seite war es ähnlich. Die Polizeikräfte fuhren ihre Fahrzeuge wieder rückwärts heraus und parkten auf der Tainer Straße.
Währenddessen formierte sich eine Spontandemonstration mit rund 150 TeilnehmerInnen. Sie bewegte sich ohne Polizeibegleitung und mit lauten Parolen durch die Fellbacher Innenstadt in Richtung Bahnhof. Es wurden Pyrofackeln entzündet und Flyer verteilt, die bei sehr vielen BürgerInnen Zuspruch fanden.
Polizei räumt abziehenden Rechten den Weg frei
Auf Höhe der Stuttgarter Straße gab es einen Zwischenfall. Ein PKW fuhr auf die Demo zu, drehte dann plötzlich ab, und aus dem Auto wurde rechtsradikales Infomaterial geworfen. Danach fuhr der Wagen davon. Kurz vor dem Bahnhof, wo sich die Spontandemo auflöste, hängten sich drei bis vier Polizeifahrzeuge ans Ende des Demonstrationszuges an.
In der Zwischenzeit war der Großteil der 11 Rechten wohl durch das Rathaus geschleust worden. Zwei Personen blieben noch beim Fahrzeug mit Anhänger. Gerade, als die Polizei die Hamburger Gitter öffnete, um sie wegfahren zu lassen, kam ein Teil der Spontandemo zurück. Nur durch heftiges Schubsen konnten die Polizeibeamten den Weg frei machen. Die Rechten fuhren mit überhöhter Geschwindigkeit in Richtung Kirchhofstraße – eigentlich ein verkehrsberuhigter Bereich – davon.
Die Mitglieder des Bündnisses „Fellbach ist und bleibt bunt“:
DIE PARTEI OV Fellbach
Linksjugend [’solid] Stuttgart
NO PEGIDA Stuttgart
Bündnis Aufstehen gegen Rassismus Stuttgart
attac Fellbach
Jusos Stuttgart
Jusos Rems-Murr
Linksjugend [’solid] Baden-Württemberg
Die Linke Fellbach-Kernen
Antifaschistische Jugend Rems-Murr
Antifaschistisches Aktionsbündnis Stuttgart
ÖkoLinX-Antirassistische Linke im Gemeinderat Ludwigsburg
Bündnis 90 / Die GRÜNEN, Ortsverband Fellbach
Zusammen Kämpfen Stuttgart
Rems-Murr nazifrei!
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