Von Anne Hilger – Stuttgart. Es war eine würdige Feier, als der restaurierte Gedenkstein für die von den Nazis ermordete Widerstandskämpferin Lilo Herrmann wieder eingeweiht wurde. Etwa 100 Gäste kamen am Montagabend, 20. Juni, zu Ehren der 1938 hingerichteten Kommunistin auf das Gelände bei der Uni Stuttgart. Das Hornbläserquartett des Universitätsorchesters spielte, und eine lange Reihe von Rednern erinnerten an das Wirken der mutigen jungen Frau, die in Stuttgart studierte. Doch jetzt ist das Entsetzen groß: Der Gedenkstein wurde erneut geschändet und mit schwarzer Farbe beschmiert – bereits zum dritten Mal. Derzeit ist er mit Plastikfolie verhüllt.
Lilo Herrmann wurde 1909 geboren. Sie war Studentin der technischen Hochschule Stuttgart und kämpfte als junge Mutter gegen die Nazis. Sie wurde im Dezember 1935 verhaftet, 1937 vom “Volksgerichtshof” zum Tod verurteilt und kurz vor ihrem 30. Geburtstag zusammen mit Stefan Lovász, Josef Steidle und Artur Göritz in Berlin-Plötzensee hingerichtet.
Initiator war der Stadtjugendring
Am 20. Juni 1988, ihrem 50. Todestag, stellte der Stadtjugendring Stuttgart den von den Bildhauern Herbert Goeser und Joachim Sauter geschaffenen Gedenkstein auf. Daran war auch die VVN-BdA beteiligt. Einige ihrer Mitglieder hatten Lilo Herrmann noch persönlich gekannt und verdankten deren Schweigen vor der Gestapo in der Haft viel. Karola Bloch, einst “Rote Studentin” in Berlin, hielt bei der Einweihung eine Ansprache.
Die Uni Stuttgart zeigte sich in den späten Achtzigern alles andere als begeistert von dem Gedenkstein für ihre kommunistische Studentin. Sie konnte ihn jedoch nicht verhindern, da er auf Landesgelände stand. Inzwischen hat die Universität ihr Archiv ausgewertet und weite Teile ihrer Geschichte im deutschen Faschismus aufgearbeitet. Die Archivare stießen auch auf neue Quellen über Lilo Herrmanns Verbindungen zur TH Stuttgart nach 1933. Die Haltung der Hochschule zu der Widerstandskämpferin hat sich verändert.
Dieses Mal restaurierte die Uni den Stein
Die Universität sandte eine Delegation zur Wiedereinweihung des Steins, der an alle erinnern soll, die in der Nazizeit von der Einrichtung ausgegrenzt, vertrieben und von den Nazis gequält, verjagt oder ermordet wurden. Gleichzeitig soll er ein Bezugspunkt für alle sein, die sich im Sinne Lilo Herrmanns gegen alte und neue Nazis engagieren.
Das Universitätsbauamt leitete die Restaurierung des Steins in einer Fachwerkstatt. Finanziert wurden die Arbeiten durch Spenden. Günther Klein vom Personalrat und die Öffentlichkeitsreferentin der Studierendenvertretung Verena Mösle hielten Ansprachen. Die Hornisten des Universitätsorchesters David Föll, Thomas Herzig, Oliver Schnorr und Christoph Stuhler spielten.
Seit ihrer Schulzeit Kommunistin
Lothar Letsche vom Landesvorstand der VVN-BdA leitete die Feier. „Der Stein sieht noch schöner aus als vor 28 Jahren“, befand er und übermittelte den Dank der Familie Lilo Herrmanns aus Berlin. Die Widerstandskämpferin wuchs gut behütet in einem bürgerlichen Elternhaus auf. Ihr Vater war Ingenieur. So zog die Familie mehrfach um. Die Tochter wurde in Frankfurt politisiert und schloss sich in Wilmersdorf dem Sozialistischen Schülerbund an.
Von 1929 bis 1931 studierte sie an der TH Stuttgart Chemie. Gleichzeitig setzte sie ihre politische Arbeit fort. 1930 wurde sie wegen Verteilens eines Flugblatts zu einer Geldstrafe verurteilt. Später zog Lilo Herrmann wieder nach Berlin und studierte Biologie. Nachdem sie von der Hochschule verwiesen worden war, schlug sie sich als Kinderpflegerin durch.
Ihr Sohn wuchs bei den Großeltern auf
Am 15. Mai 1934 brachte sie ihren Sohn Walter zur Welt. Den Namen seines Vaters behielt sie für sich. Er wurde erst 1991 bekannt: Es war der Stuttgarter KPD-Funktionär Fritz Rau, der noch vor der Geburt seines Kindes 1933 im Gefängnis Moabit totgeschlagen wurde. Lilo Herrmann arbeitete im Büro ihres Vaters und für den geheimen Nachrichtenapparat der KPD.
Sie behielt immer einen Bezug zu Stuttgart. Ihr Kontaktmann war Adolf Butz. Das jedoch fanden die Nazis nie heraus. Er betonte später immer wieder, sein Leben ihrem Schweigen zu verdanken. Butz gehörte 1947 zu den Gründern der VVN in Stuttgart. Er starb 1975. Auch seiner werde mit dem Gedenkstein gedacht, sagte Letsche.
Rote Nelken und eine ganz persönliche Erinnerung
Zu den bewegendsten Momenten der Feier gehörte, als Lilo Sigloch, Tochter des Widerstandskämpfers Anton Hummler, von ihrer ganz persönlichen Beziehung zu Lilo Herrmann berichtete. Sie wurde sechs Wochen nach deren Hinrichtung geboren. Ihre Eltern waren Freunde, Kameraden und Genossen der jungen Kommunistin – und nannten ihre Tochter nach ihr. Im September 1944 starb auch Anton Hummler auf dem Schafott.
Konni Lopau legte im Namen der DKP Nelken am Gedenkstein nieder. Sie erinnerte daran, dass Lilo Herrmann gegen Krieg und Militarisierung kämpfte. Heute habe man es erneut mit der Planung eines Angriffskriegs und Aufrüstung zu tun. Die Bundesregierung erhebe einen Weltmachtsanspruch, die Nato wolle die Weltordnung „aktiv gestalten“. Dem stünden Armut und Sozialabbau gegenüber. „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“, forderte sie.
Widerstand forderte und fordert Mut
„Auch heute ist es uns noch wichtig, dass das Gedenken an den Zweiten Weltkrieg nicht zu kurz kommt“, sagte Verena Mösle im Namen der Studierendenvertretung. Nur kleine Gruppen von Studierenden hätten sich einst den Nazis widersetzt. Die NSDAP habe bei Studierendenwahlen überdurchschnittliche Ergebnisse erzielt. Das sei heute angesichts einer „bunt gemischten“ Studierendenschaft schwer vorstellbar.
Um so wichtiger sei es zu wissen, dass es damals viel Muts bedurfte und gefährlich war, sich gegen die Regierenden zu stellen. „Ich bin froh, dass die Uni den Stein restauriert hat“, sagte Mösle.
Unrecht kam auch aus der Hochschule selbst
Der Personalrat befürwortete den Stein von Anfang an, betonte Günther Klein. Man lege auch immer wieder Blumen an ihm nieder. In der NS-Zeit seien nach Erkenntnissen des Universitätsarchivs fast elf Prozent der Professoren von der Universität entfernt worden, einer habe sich das Leben genommen. Zu den Verfolgten hätten jedoch auch zahlreiche Zwangsarbeiter gehört. Es habe 279 gegeben, doch nur von 150 von ihnen seien die Namen bekannt.
„Wer waren die Täter?“, fragte Klein: „Die traurige Wahrheit ist: Das Unrecht kam nicht nur von übergeordneten Stellen, sondern auch aus der Hochschule selbst. Da wurde manche Rechnung beglichen.“ Er schlug einen Bogen zur aktuellen Situation: „Unterkünfte von Asylsuchenden brennen, als hätten sie nicht schon genug durchgemacht.“ In vielen Landesparlamenten sitze überdies eine Partei, „bei der die Grenzen zum Faschismus fließend sind und Rassismus zum Programm gehört.“
Wachsamkeit weiterhin nötig
Der Vorsitzende des Stadtjugendrings Jörg Titze erinnerte daran, wie der Gedenkstein 1988 in einer „Nacht- und Nebelaktion“ aufgestellt wurde. Es sei wichtig, sich nicht nur zu erinnern, sondern zu erkennen, dass Nationalismus in vielen Ländern wieder salonfähig wird.
Verbale Brandstiftung und Hetzreden gehörten in Deutschland mit Pegida und der AfD wieder zum Alltag. „Wieder werden Menschen aufgrund ihrer Herkunft geschlagen und brennen Häuser“, warnte Titze: „Wir sollten auch in Zukunft wachsam sein, mutiger sein und den rechten Hetzern entgegentreten.“
Den Idealen der Menschlichkeit treu geblieben
Ilse Kestin sprach im Namen der IG Metall, die den Stein wieder aufstellte, als er vor 16 Jahren schon einmal beschmiert wurde. Die Degradierung, die mit den Nürnberger Rassegesetzen begann, habe in den Vernichtungslagern geendet. „Wir gedenken mit Lilo Herrmann stellvertretend all jener, die Widerstand geleistet haben. Sie wurden hingerichtet, weil sie den einfachsten Idealen der Menschlichkeit treu geblieben sind.“
Eine der Lehren aus der Geschichte sei die Gründung der Einheitsgewerkschaft gewesen. „Die Grenze zwischen Revanchismus und gewalttätigem Rechtsradikalismus ist längst gefallen“, sagte sie. Die Männer und Frauen des Widerstands hätten „ein friedliches und antikapitalistisches Deutschland“ aufbauen wollen, wie es im Schwur von Buchenwald heißt. „Nach wie vor gilt: Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrachen“, betonte Kestin.
Als Mutter weiter im Widerstand
Annemarie Raab von der GEW (Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft) ging noch einmal auf Lilo Herrmanns persönliche Geschichte ein. Sie sei als Kommunistin davon überzeugt gewesen, dass Adolf Hitler „nichts Gutes mit den Menschen vorhatte“. Dass sie ihre politische Arbeit trotz des hohen Risikos auch als junge Mutter fortsetzte, zeige, dass sie sehr überzeugt von ihr gewesen sein müsse. Die meisten GEW-Mitglieder seien in der Erziehungs- und Bildungsarbeit tätig und hätten die Aufgabe, den Anfängen zu wehren – wenn es nicht schon zu spät und der Rechtsruck zu weit sei.
„Studieren war für Frauen damals nicht selbstverständlich. Sie muss eine besondere Frau gewesen sein, und sie hatte Eltern, die zu ihr hielten.“ Raab erinnerte auch an den Zusammenhang zwischen Rüstungsexporten aus Deutschland und den Flüchtlingen, die nun Schutz suchten. „Es ist gut, richtig und wichtig, dass der Gedenkstein wieder da ist“, sagte sie: „Passen wir auf ihn auf.“ Ihre anklingende Befürchtung erwies sich als nur zu berechtigt. In der Nacht auf den 7. Juli wurde der Stein erneut geschändet.
Sie kämpfte gegen Kapitalismus und Faschismus
Als letzter Redner sprach Jens Heidrich vom Linken Zentrum Lilo Herrmann in Stuttgart-Heslach. Es hatte einen Infotisch am Rand der Feier aufgebaut. Nebenan gab es bei der GEW Kuchen, Knabbereien und Getränke. Heidrich berichtete, wie Aktive aus dem sozialen Zentrum Subversiv und AktivistInnen der Stuttgarter Linken 2010 das Theater Rebstöckle kauften und das nahezu baufällige Haus in der Böblinger Straße zweieinhalb Jahre lang überwiegend in Eigenarbeit renovierten.
Das Zentrum wurde 2012 eröffnet und solle ‚“die Linke spektrenübergreifend zusammenführen“. Mit Lilo Herrmann als Namensgeberin habe man nicht nur eine Widerstandskämpferin gegen den deutschen Faschismus würdigen wollen, sondern auch eine Frau, die als Kommunistin ihr Engagement „mit dem Einsatz für eine Überwindung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung verknüpfte“.
„Für uns heißt erinnern zu handeln“
Sie habe im aufkommenden Faschismus „die Zuspitzung der gesellschaftlichen Widersprüche, die zugespitzte Ausbeutung und Verwertung von Menschen nach kapitalistischer Logik“ erkannt. Sie habe ihren antifaschistischen Kampf mit dem zur Überwindung aller Verhältnisse verknüpft, „in denen der Mensch ein geächtetes und geknechtetes Wesen ist“.
Dieser Kampf sei heute aktueller den je. Es seien die Rechten, die nun mit einfachen Antworten auf die Fehler eines eigentlich menschenunwürdiges System Konjunktur hätten. Lilo Herrmanns entschlossenes Engagement könne und müsse Vorbild sein. „Für uns heißt erinnern zu handeln“, beschrieb er das Selbstverständnis des Zentrums: „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!“
Weitere Bilder von der Einweihungsfeier
Folge uns!