Von Anne Hilger – Ludwigsburg. Der Scala-Ehrenhof in Ludwigsburg war am Samstag, 16. Juli, am frühen Abend beim Auftritt von Esther Bejarano und der Microphone Mafia gut gefüllt. Es wurde still, als die 91-jährige Auschwitz-Überlebende auf die Bühne kam. Um die 200 Menschen dürften ihre Lesung und ihr Rap-Konzert verfolgt haben – „ziemlich gut für Ludwigsburger Verhältnisse“, findet Oliver Kube vom Organisationsteam von „Mut gegen Rechts“. Was ihn überdies freute: „Das Publikum war breiter aufgestellt als die letzten Jahre.“
„Hetze ist keine Meinungsfreiheit“, stellte Oliver Kube zur Eröffnung klar und erläuterte den Titel des Sommerfests: „Wir brauchen Mut, dagegen Widerstand zu leisten.“ Insgesamt blieb die Besucherzahl bei „Mut gegen Rechts“ nach unserem Eindruck aber hinter der früherer Veranstaltungen dieser Art zurück. Das mag daran gelegen haben, dass dieses Mal keine Demonstration vorausging. Möglicherweise lag es aber auch am neuen, im Schatten hoher Bäume jedoch durchaus angenehmen Ort oder an der Konkurrenz anderer Angebote. So gab es nahezu zeitgleich in der Landeshauptstadt eine große Demonstration gegen Stuttgart 21. Schade war es allemal: Vor allem das Workshop-Programm am Nachmittag hätte größere Resonanz verdient gehabt.
In Wien demonstrierten Linke mit Rechten
Der Putschversuch in der Türkei bestimmte am Samstagnachmittag viele Gespräche – vor allem die Befürchtung, er werde Recep Tayyip Erdogan freie Hand für noch stärkere Unterdrückung der Opposition und der kurdischen Bevölkerung verschaffen. Constantin Jungkind, Bundessprecher der Jungen Linken Österreichs, berichtete am Mikrofon empört, dass es in Wien eine gemeinsame Demonstration linker Kräfte und türkischer Nationalisten gegen den Militärputsch gab.
Die „Neue Linkswende“ hatte auf ihrer Facebook-Seite einen Aufruf zu der Demonstration „Gegen den Militärputsch in der Türkei“ unterstützt. Der Protest stammte unter anderem von der AKP-nahen „Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD)“. Die Kundgebung soll von Grüßen der faschistischen „Grauen Wölfe“ und Erdogan-Rufen geprägt gewesen sein.
Österreich als Versuchsfeld der neuen Rechten
Jungkind zufolge gab es mindestens fünf Verletzte aus linken Organisationen, darunter einer mit einer Kopfplatzwunde. Nach einem Bericht des „Neuen Deutschland“ bestätigte sich auch die Befürchtung des Sprechers der Jungen Linken, dass es Angriffe auf von Kurden geführte Lokale im 15. Bezirk geben werde.
„Rechtsruck in Deutschland und Österreich – Gemeinsamkeiten und Unterschiede“ war das Thema eines Workshops, den Constantin Jungkind am Nachmittag hielt. In ihm ging es auch darum, wie sich einheimische und migrantische Faschisten in Österreich gegenseitig stützen – „ein ganz widerliches Spiel, was da gespielt wird. Es ist wichtig, dass man das durchbricht“.
Demo für Alle als gefährliche Allianz
Parallel referierte Lucius Teidelbaum über die „Demo für Alle“. Ausgehend vom Protest gegen den baden-württembergischen Bildungsplan habe sich „eine Art Kulturkampf im Ländle“ entwickelt. Als die damalige grün-rote Landesregierung ihren Entwurf tatsächlich veränderte, meldete die „Junge Freiheit“ enthusiastisch, der „Widerstand“ habe Wirkung gezeigt.
Die AfD konnte in der Auseinandersetzung punkten. Sie war von vornherein im Spektrum der Demo-TeilnehmerInnen, die Teidelbaum als „konservativ und christlich fundamentalistisch“ beschreibt, an führender Stelle vertreten. Auf die Straße gingen Evangelikale und katholische Traditionalisten, wie sie sich etwa in der in Stuttgart ansässigen Piusbruderschaft finden – aber auch Neonazis und Kreisverbände der Jungen Union. Zu Recht sprächen AntifaschistInnen von „gefährlichen Allianzen“.
Religiöser Fundamentalismus dominiert
Zunächst kamen 700 bios 800 TeilnehmerInnen zu den Anfang 2014 begonnenen Demonstrationen in Stuttgart, die unter zunehmend massivem Polizeischutz standen. Zuletzt beteiligten sich kurz vor der baden-württembergischen Landtagswahl etwa 5000. In Anlehnung an die französische „Manif pour tous“-Bewegung nannten sich die Aufmärsche schließlich „Demo für Alle“. Organisiert von Hedwig von Beverfoerde, einer früheren Mitarbeiterin der AfD-Europaabgeordneten Beatrix von Storch, gab es eine zunehmende Professionalisierung und ein eigenes Design der Demo in kräftigem Rosa und Hellblau.
Das Themenspektrum erweiterte sich von der Ablehnung sexueller Vielfalt und Überhöhung des heterosexuellen Familienbilds hin zum allgemeinen Protest gegen die „Frühsexualisierung der Kinder“ und zur Forderung „Elternrecht wahren“. Zuletzt standen Parolen wie „Ehe bleibt Ehe“ im Vordergrund. Feindbild der Aufmärsche, die sich derzeit nach München zu verlagern scheinen, ist der „Genderwahn“. Aus Teidelbaums Sicht handelt es sich nicht nur um homophobe, sondern auch antifeministische Demonstrationen. Er empfahl, generell mehr Aufmerksamkeit auf religiösen Fundamentalismus zu richten – nicht nur auf christlich geprägten.
Argumente gegen rechte Parolen
Weitere Workshops am Samstagnachmittag beschäftigten sich mit Argumentieren gegen Rechts und „Niemand regiert die Welt – eine Aufklärung gegen Verschwörungstheorien“ mit Finn Blumberg. Im Argumentations-Workshop wurden Stategien von „partnerschaftlich-wohlwollend“ bis „ablehnend-konfrontativ“ vermittelt und in Rollenspielen zu zweit oder zu dritt an Aussagen wie „Ich will kein Flüchtlingsheim in meiner Nachbarschaft“ oder „Du solltest lieber deutschen Bedürftigen helfen“ ausprobiert.
Es ist nicht schwer, sich rassistisch zu äußern, oder gegen irgend etwas zu sein, so die Erfahrung der Teilnehmenden. Wer in die Enge getrieben oder widerlegt wird, springt einfach zur nächsten Parole – ein bewährtes Muster rechter „Argumentation“. Der Referent empfahl, solche Dialoge immer wieder durchzuspielen und mit Freunden zu üben – „das schafft Sicherheit“.
Überleben im Vernichtungslager
Während der Workshops füllte sich der Ehrenhof. Neben dem Essenszelt, wo etwa selbstgebackener Kuchen und vegetarischer Döner zu bekommen waren, gab es Stände des Antifaschistischen Aktionsbündnisses Stuttgart und Region AABS, außerdem der Freien ArbeiterInnen-Union FAU, des DemoZ Ludwigsburg und des Aktionsbündnisses Castor-Widerstand Neckarwestheim.
Nach einigen einleitenden Worten kam Esther Bejarano auf die Bühne, um aus ihrem Buch „Erinnerungen“ zu lesen. Sie überlebte den Holocaust und war Mitglied des Mädchenorchesters von Auschwitz. Es musste am Tor stehen und spielen, wenn die Arbeitskolonnen ausmarschierten und ins Lager zurückkamen – oder wenn neue Transporte mit Menschen ankamen, die dann vergast wurden. Auch Bejarano musste Steine schleppen. So ausweglos ihre Lage schien, so wollte sie doch überleben, schon allein, um sich an den Nazis zu rächen. Heute berichtet sie bei Lesungen von den Gaskammern und Todesmärschen – und rappt mit der Microphone Mafia gegen Rechts.
Urban Pirate Soundsystem zum Ausklang
Es gab im Ehrenhof auch ein Kinderzelt mit Pedalos, Stelzen, Spielzeug und Malsachen. An der großen Bühne war seitlich eine Chronologie rechter Aktivitäten in der Ludwigsburger Gegend in diesem Jahr angebracht, und es gab eine Ausstellung „Ach so ist das“ mit biografischen Comicreportagen der Zeichnerin Schradi über Lebensweise und Erfahrungen von LGBTI – Lesben, Schwulen, Bisexuellen, Transidenten, Transgendern und Intersexuellen. Zum Ausklang des Festivals spielte die Band Urban Pirate Soundsystem, die auch Motive alter Arbeiterlieder aufnahm. Ihr Sound kam beim Publikum gut an.
- Esther Bejarano
- Microphone Mafia
- Kutlu von Mikrophone Mafia
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